Linkshändigkeit – eine Normalvariante mit Handicap

Die Idee für diesen Beitrag im „Gesundheitskompass“ kam mir zum Kita - oder Schulanfang 2017 für viele Kinder vor wenigen Wochen.

Wie geht es unseren kleinen Linkshändern? Gerade sie brauchen in besonderem Maße unsere Aufmerksamkeit, Verständnis und die kompetente Hilfe der „Normalhändigen“.

Wie heißt es doch oft im Alltag? „Das kann ich doch mit links“= ist kinderleicht, sich“ linkisch“ anstellen, jemand“ linken, nicht die linke, weil „falsche“ Hand reichen oder gar ein hessischer tollpatschiger „Linksdatsch“ (engl. to touch- berühren) zu sein, zeugen von vielleicht nur flapsiger –auf jeden Fall aber liebloser Stigmatisierung. Diese Einstellung hat leider eine jahrtausende lange Tradition, denn schon im alten Testament schafft Gott alles mit seiner „Rechten“ und Matthäus würde sich lieber die rechte Hand abschneiden . . .und alle Gerechten sitzen sowieso zur Rechten des Herrn.

Wenn auch die gesellschaftliche Akzeptanz der Linkshändigkeit in den letzten Jahrzehnten vielerorts gewachsen ist, lohnt es sich, das aktuelle Wissen um diese gar nicht so seltene Besonderheit auf zu frischen.

Linkshändigkeit ist – ebenso wie links dominante Füßigkeit – weder eine schlechte Angewohnheit noch eine Krankheit, sondern eine Normvariante. Seit Jahrmillionen entwickeln sich beide Hirnhälften unter ständigem, hoch differenzierten Informationsfluss und anatomischer Arbeitsteilung. Bestimmte Fähigkeiten und Funktionen unseres Gehirnes sind jedoch nur in einer Hemisphäre lokalisiert (lateralisiert). Dies ist bei Rechtshändern die linke Seite, bei echten Linkshändern erstaunlicherweise nur in 5 % die rechte Hirnseite.

Die Bevorzugung einer Hand (Dominanz) ist beim Menschen wie Primaten einerseits genetisch aber auch weltweit soziokulturell bedingt. Experten berichten über 60-70% echte Rechtshändigkeit, 5-10 % echte Linkshändigkeit und 20-30 % Beidhändigkeit.

Jungen und Mädchen sind gleichermaßen betroffen.

Noch ungeklärt ist die Beobachtung, dass selbst eineiige Zwillinge mit identischem Erbgut nicht immer beide Links- oder Rechtshänder sind. Die Hand/Fußdominanz konnte bisher trotz eingehender Forschung auf keinem Gen lokalisiert werden. Sind beide Eltern Linkshänder erben Kinder nur zu 26 % die Linksdominanz. Deutlich häufiger als Rechtshänder bieten Linkshänder eindrucksvolle beidhändige Leistungsfähigkeiten. Warum unter Links- häufiger als bei Rechtshändern in weltweiten Studien hirnorganische Auffälligkeiten, sowie Verhaltens/Lern und Sprachprobleme diagnostiziert werden, ist ungeklärt und Forschungsgebiet vieler Neurobiologen und Psychologen.

Die früher alltägliche Diskriminierung und daraus resultierende gesellschaftliche Isolation samt Zwangsumschulungsmaßnahmen lassen sich gut als Auslöser psychosomatischer Erkrankungen vorstellen. Alle Vorurteile gegen Linkshänder sind ungerechtfertigt.

Es gibt keinerlei Zusammenhang zwischen Linkshändigkeit und Intelligenz, Kreativität, Allergien oder gar der Lebenserwartung.

Linkshänder malen, schreiben und handwerkeln ebenso gut wie ihre „rechtshanddominanten“ Mitmenschen.

Diagnostik:

Neugeborene und Säuglinge zeigen in den ersten Monaten keinerlei Handpräferenz, sie hantieren beidhändig. Etwa ab dem 5. Monat zeigt sich langsam in der Feinmotorik eine Seitenbevorzugung, sie spielen und greifen aber oft noch mit beiden Händen. In der routinemäßigen Entwicklungsdiagnostik der Kindervorsorgen prüft der Kinderarzt gezielt das beidseitige Hand- und Greifspiel. Eindeutige fein- und grobmotorische Seitenunterschiede müssen immer zeitnah fachärztlich abgeklärt werden, um bisher unerkannte neurologische – motorische, sowie angeborene oder geburtsbedingte Schädigungen früh zu erfassen.

Etwa ab dem 3. Geburtstag ist eine verlässliche Beurteilung möglich. Greifen, Malen oder Fangen erfolgt mit einer Hand deutlich spontaner, kräftiger und geschickter als mit der anderen, wobei Eltern auch dann noch einen wechselnden Handeinsatz beobachten. Spätestens vor dem Schulbeginn sollte die Schreibhand festgelegt sein – eigentlich bereits schon in der Vorschulphase der Kita. Es hat sich jedoch in vielen Studien gezeigt, dass bei der einfachen Frage nach der bevorzugten Hand von Eltern und selbst später den direkt Betroffenen oft keine verlässliche Antwort gegeben wird.

Sprechen Sie das Thema bei ihrem Pädiater und erneut bei der Einschulungsuntersuchung an. Spezifische Testverfahren stehen Kinderneurologen oder spezialisierten Ergotherapeuten zu ausführlicher Diagnostik zur Verfügung.

Aufgabenbeispiele für Tests zur Handprefärenz und Handleistungsdominanz unter Beurteilung von beidseitiger Feinmotorik und Schnelligkeit

  • Malen und Kritzeln
  • Figuren punktiert nachzeichnen
  • Figuren ausschneiden
  • Reißverschluss öffnen
  • Rhythmus klopfen
  • Nagel hämmern
  • Perlen auffädeln
  • Papier knüllen
  • Würfeln
  • Ball werfen und vom Boden aufheben
  • Kämmen
  • Bonbon auswickeln
  • Abwehrreaktionstest
  • Zähne putzen
  • Kästchen öffnen
  • Papier in Umschlag stecken usw.

Die erzielten Leistungen werden jeweils nach vorgegebenem Schema ausgewertet.

Einbeiniges Hüpfen gibt Aufschluss über das dominante Bein.

Da Linkshändigkeit - ohne zusätzliche medizinisch relevante Befunde – eine Normvariante aber keine Krankheit ist, bedarf sie keinerlei Therapie oder irgendwelcher „Umschulungsmaßnahmen“, wie diese bis 1970 von Schulbehörden noch vorgeschrieben waren!

Wie können wir einem Linkshändigen das Leben erleichtern?

Entscheidend für eine optimale Förderung und Anleitung ist unsere Grundeinstellung mit empathischer Akzeptanz verbunden mit frühzeitiger kompetenter Hilfestellung sowie Schutz vor jedweder Hänselei oder Mobbing.

Viele Alltagshandlungen und Bewegungsabläufe müssen so früh wie möglich immer wieder eingeübt werden. Natürlich mit links, aber auch wechselseitig, immer spielerisch, nie mit dem zwanghaften Ziel einer Umpolung. Umerziehungsstrategien können die festgelegte Hirnfunktion nicht verändern, im Gegenteil: Es kommt fast zwangsläufig zu Über- auch Unterbelastung. Diese Strategie führte in der Vergangenheit oft zu Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen, ablehnender Trotzhaltung, Verlust des Selbstwertgefühles mit seelischen Störungen wie Ängsten, Einnässen, vegetativen Symptomen bis hin zur Epilepsie oder Depressionen.

Jede – auch noch so gut gemeinte - systematische „Umschulung“ eines linkshändigen Menschen ist erfolglos und kann großen Schaden anrichten!

Gut ausgebildete und aufmerksame Erzieherinnen informieren die Eltern bereits in der Kita oder Spielgruppen über ihre Beobachtungen: Schwierigkeiten beim Kritzeln, Malen, Schreiben und Greifen oder Fangen und bieten ihre Hilfe an. Mancherorts gibt es bereits Schulvorbereitungskurse. Wiederholte, liebevolle Anleitung zu einer lockeren Schreib- und Malhaltung, Schreibgeräte für Linkshänder, freie Sicht bei der „schräg nach rechts oben“ empfohlenen Blatthaltung, ausreichend Bewegungsraum auf der Schulbank: Linkshänder grundsätzlich links neben Rechtshänder sitzen lassen sowie aufmerksame Rücksichtnahme sind unverzichtbare und gerne angenommene Unterstützung.

Orthopäden kennen erhebliche Langzeitschäden durch verkrampfte Haltungen beim Linksschreiben an Hand- Schulter und Wirbelsäulengelenken.

Wenn sich Eltern überfordert fühlen, gibt es fachkompetente Anleitung, auch vielerorts gezielte Kursangebote für jede Altersklasse.

Selbstverständlich sollten jedem Linkshänder alle von einer emsigen Industrie in Kaufhäusern, Online Shops und Katalogen angebotenen Linkshänderalltagsgebrauchsgegenstände zur Verfügung stehen: Schere, Essbesteck, Messer, Spitzer, Stifte, Computermäuse, Werkzeuge, Gartengeräte aller Art usw. Selbst Musikinstrumente werden für Linkshändigkeit angeboten: Geige, Gitarre, gute Flöten oder Blechblasinstrumente benötigen eine Spezialkonstruktion, es gibt auch eigene Griffanleitungen für linkshändige Gitarrenspieler.

Werden Linkshänder erwachsen, haben sie sich meist eine große Routine im Umgang mit ihrer Linkshändigkeit angeeignet, doch auch ihr Alltag wird immer wieder erschwert z.B. bei der Bedienung von banalen Geräten wie einem Geldautomaten: Der Einwurfschlitz ist rechts, so dass man ständig „verdreht“ steht oder die normale Motorsäge wird schnell zur lebensgefährlichen Waffe, so dass ihr Einsatz einer Spezialanleitung bedarf.

Auch erwachsene Linkshänder finden in Spezialkatalogen und Versandhäusern reichlich Hilfe zum Ausgleich ihres Handicaps.

Mit einigem gutem Willen und Beharrlichkeit geht aber ziemlich alles...

Unsere Gesellschaft ist leider immer noch unverändert „rechtshändig“ ausgerichtet“, leider auch da, wo es heute schon technische Möglichkeiten zur Umrüstung gibt.

An Politiker und Pädagogen kam zuletzt von der „Ersten deutschen Beratungs- und Informationsstelle für Linkshänder“ auf dem Internationalen Linkshändertag in München die klare Forderung nach mehr gezielter Aufmerksamkeit und Gewichtung bei der Ausbildung von Kita- Fachkräften, Pädagogen und Berufsausbildern sowie mehr gezielte staatliche Fördergelder für praktische Hilfskurse und schnellere Umsetzung bei der Realisierung von vorliegenden Patentanträgen für Linkshänderhilfen aller Art.

Jedwede gedankenlose, diskriminierende Äußerung über einen Linkshänder sollte in unserer Gesellschaft ganz selbstverständlich der Vergangenheit angehören.

Weitere Information über Literatur, Kurse oder Hilfsmittel erfahren Sie über:

www.linkshaender-beratung.de
Erste deutsche Beratungs- und Informationsstelle für Linkshänder
BZgA: kindergesundheit-info.de
kinderaerzte–im-netz.de

Über den Autor

Dr. med. Josef Geisz
Dr. med. Josef Geisz
Kinder-Jugendarzt/Allergologie, Wetzlar

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