Pädiatrie -

Wie steht es um das Wohl unserer Kinder?

Zu jedem Jahreswechsel wird Bilanz gezogen - warum nicht auch einmal für die jüngste Altersgruppe unserer Gesellschaft, die ja bekanntermaßen unsere Zukunft ist. Aus der Fülle der Aufgaben und Probleme, die Kindheit und Jugend schon immer mit sich bringen, sei Blick zurück und nach vorne gestattet.

Nach jahrelangem inhaltlichem und politischem Taktieren und Diskutieren gibt es in Hessen erstmalig eine reale Chance, das hohe Gesellschaftsgut „Kindeswohl und Kinderschutz“ in der Verfassung zu verankern. Seit der Verabschiedung eines bundesweiten Kinderschutzgesetzes 2010 ruht die Hoffnung aller sozialpädiatrisch aktiven Verbände - vom Berufsverband der Kinder und –Jugendärzte bis zum Kinderschutzbund - auf der längst überfälligen Parlamentsentscheidung in Wiesbaden im kommenden Frühjahr.

Durch dieses Gesetz wird einerseits die gesellschaftliche Wertschätzung unserer Kinder dokumentiert und andererseits eine eindeutige juristische Grundlage zur Ahndung bei Gefährdung und Verletzung des Kindeswohles geschaffen.

Mit einer hohen Dunkelziffer gehen aktuelle Expertenschätzungen von mehr als einer Million Übergriffen an Kindern und Jugendlichen pro Jahr mit steigender Tendenz aus.

In der UN-Menschenrechtskonvention von 1972

wird der Begriff „Kindeswohl“ definiert:

„Jedes Kind hat das Recht auf eine bestmögliche Entwicklung und Förderung seiner körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Fähigkeiten“

Vor- und Fürsorge - also den Schutz aller Minderjährigen – haben zwei regionale Institutionen auf ihre Fahne geschrieben, die im vergangenen Jahr ein Jubiläum feiern konnten.

Der „Arbeitskreis gegen Gewalt“ wurde 1992 als Modellprojekt im Lahn-Dill -Kreis ins Leben gerufen. Er hat sein Ziel einer effektiven Vernetzung von Institutionen, die sich mit Gewalt in all ihren Facetten beschäftigen, in der rauen Alltagswirklichkeit trotz Personal - und Finanzmittelenge mit großer Hartnäckigkeit und Erfolg umgesetzt. Sozial- und Jugendamtskreisbehörden, Schule, Polizei, Staatsanwaltschaft sowie Richter und Ärzte kooperieren gezielt kollegial, interdisziplinär seit vielen Jahren zum Kindeswohl. Ihr überzeugendes Konzept wurde seit 25 Jahren in regelmäßigen Treffen kritisch immer weiterentwickelt. Zahlreiche Ehemalige sowie derzeit Aktive erfuhren in den neuen Räumen der Kreisverwaltung in Wetzlar das ihnen für ihr persönliches Engagement gebührende Anerkennung von allen Seiten.

Der „Kinderschutzbund Wetzlar“ besteht seit 40 Jahren und kämpft in Zeiten, in denen sich viele Lebensbereiche rasant verändern, ebenfalls mit großem Einsatz um das Wohl unserer Kinder und Jugendlichen: Gegen Gewalt aller Art, Diskriminierung, neue Armut, körperliche und seelische Verwahrlosung. Ehren- und hauptamtliche Mitarbeiter leisten vielfältige individuelle und familiäre Sozialhilfe im Not- und Krankheitsfall oder in regelmäßiger Kinderbetreuung im Krankenhaus. Mit einem eindrucksvollen Festakt in der Musikschule wurde ihr Einsatz von verantwortlichen Politikern der Region sowie dem Kinderschutzbund des Landes Hessen ausdrücklich gewürdigt. Dass Kinderarmut in unserer „reichen“ Gesellschaft ein großes – und bisher ungelöstes, ja erschreckend zunehmendes Problem darstellt, bezeichnete die langjährige Vorsitzende Fr. Gudrun Geißler sehr zu Recht als „eine Schande für unsere Gesellschaft“.

In seinem beeindruckenden Festvortrag forderte Dr. Bartels von der Unikinderklinik Frankfurt eine flächendeckende Versorgung mit „Kinderschutzambulanzen“, die als qualifizierte Anlaufstelle für jeden Hilfesuchenden – Tag und Nacht geöffnet sein müssen!

Auf dem Gebiet des Kinderschutzes wird jede helfende Hand ebenso dringend benötigt wie eine deutlich größere, von Spenden unabhängige, gesicherte finanzielle Basisfinanzierung durch die kommunale und landesweite Sozial/Finanzpolitik. Ausreichende „äußere“ Rahmenbedingungen sollten selbstverständliche Voraussetzung für alle Kinderschutzprojekte sein. Gleichgültig, ob sie mit großem privatem Engagement z.B. Kinderbetreuung, diverse Vereinsaktivitäten, Phantastische Bibliothek oder in Institutionen wie z.B. Albert-Schweitzer-Kinderdorf, Frauenhäuser, Flüchtlingshilfe Mittelhessen oder Caritas, Diakonie, Malteser, Johanniter oder Rotem Kreuz sowie den Kirchen geleistet werden.

Aus der humanitären Forderung der Vereinten Nationen ergeben sich für die Kindergesundheitspolitik hohe Ansprüche auf regelmäßige, individuelle Fürsorge und medizinische Vorsorgen: Bereits vor und während der Schwangerschaft durch Hebammen bis zur Jugendgesundheitsuntersuchung (J1-und J2) im Alter von 15 Jahren. Frühe Förderung, Kindertagesstätten, Vorschule und Schule - möglichst als Ganztagsangebot mit gesunder Küche - und mit Inklusion, wo immer dies qualitativ gesichert möglich ist, sollten zur Regelbetreuung werden.

Dass die Durchsetzung dieser Zielvorgaben derzeit oft am Fehlen qualifizierten Personales, baulicher Kapazitäten und unzureichender Finanzmittel nicht scheitern darf, sollte Ansporn für alle Verantwortlichen sein, hartnäckig um Verbesserungen zu kämpfen. Die seit 2015 entstandene zusätzliche gewaltige humanitäre Aufgabe bei der Versorgung einer großen Zahl von Flüchtlings-familien darf nicht zu Lasten ihrer durch die Flucht häufig tief traumatisierter Kinder gehen. Auch ihnen stehen alle sozialen und medizinischen Leistungen, die wir für unsere Kinder in Anspruch nehmen, im gleichen Umfang zu – einschließlich Integrationsangebote zur Bewältigung des Alltagslebens z.B. Sprachkurse und Teilnahmeangebote am Gemeinschaftsleben.

Kinder- und Jugendärzte beobachten seit Jahrzehnten eine dramatische Zunahme

an „neuer Morbidität“ (Krankheit), die durch den „modernen Lebensstil“ provoziert wird: Übergewicht durch Bewegungsmangel (motorische Defizite, Skelettschäden), Ernährungsfehlverhalten („zu viel, zu fett, zu süß“ = drohender Diabetes mellitus, Hochdruck, Herzbeschwerden), Verhaltensstörungen wie ADHS, Depressionen, Essstörungen, Anorexie (Magersucht), dissoziale, emotional labile Umgangsformen mit Aggression, Risikoverhalten, Verwahrlosung, Suchtverhalten mit Medienmissbrauch, Alkohol, Nikotin oder Drogen. Diese häufig fatalen Fehlentwicklungen zu vermeiden und fachgerecht zu behandeln, wird uns alle auch im neuen Jahr intensiv beschäftigen.

Ein Thema, das nie an Aktualität verliert, ist die Impfmedizin. Eigentlich ein Bereich, der in einer Zivilisationsgesellschaft mit hohem medizinischen Wissensstand und entsprechend verantwortungsbewusstem Verhalten seiner Erwachsenen, eigentlich längst „abgehakt“ sein sollte.

Impfungen sind im weltweiten Konsenus nahezu nebenwirkungsfrei, sehr gut verträglich. Sie schützen zuverlässig von der Schwangerschaft bis ins hohe Alter vor impfpräventablen Infektionskrankheiten. Geimpft wird nach dem aktuellen Impfkalender der STIKO (Ständige Impfkommission am Bundes-gesundheitsministerium), in dem die notwendige Grundimmunisierung sowie alle erforderlichen Auffrischimpfungen detailliert festgelegt werden.

Experten sehen teilweise erhebliche Impfdefizite in unserer BRD

. . . bei der Auffrischimpfung MMRV (Masern, Mumps, Röteln und Windpocken) im zweiten Lebensjahr (U7), aktuell schwere Epidemie im Flüchtlingsdrama in Bangladesch

. . . bei der Auffrischung von Diphterie, Keuchhusten und Tetanus

  • im Vorschulalter (U9 - nach der Erkenntnis, dass insbesondere der Keuchhustenschutz im Schulalter nur zu 35 % ausreicht. „Durchbruchserkrankungen“ gerade älterer Personen und ungeschützter Schwangerer und deren Neugeborene können so verhindert werden.
  • . . bei der oralen Rotavirus Impfung - gegen Brechdurchfall bei Säuglingen
  • . . bei der jährlichen Influenza- (Grippe) Impfung

Empfehlung: alle chronisch kranken Kinder, Erwachsene ab 60. Lbj. alle Personen im medizinischen Bereich mit Patientenkontakt, Schwangere können noch bis zum 6. Schwangerschaftsmonat geimpft werden; Kinder (2.-17. Lbj.) auch mit Nasenspray, Senioren mit Wirkverstärker, denn im Alter steigt das Risiko schwerer Verläufe stark an.

Seit Herbst 2017 müssen Apotheker den vom Arzt rezeptierten Vierfachimpfstoff aushändigen!

. . . HPV (Humanes PapillomaVirus): Schutz gegen Gebärmutterhalskrebs also Krebsvorsorge sowie hartnäckige Genital(Feig)warzen, Mundschleimhautläsionen bis zu Krebs - auch bei Männern als Spätfolge nach einer Infektion

Empfehlung: Mädchen im 9. -14. Lebensjahr (J1) – auch noch später; Impfung für Mädchen und Jungen in Australien und England bei sehr hoher Durchimpfungsrate von 90% beeindruckende Wirkung. In Deutschland bisher leider nur ca. 35 %!

. . . Auffrischimpfung Diphterie, Pertussis, Diphterie alle 10 Jahre – Polio- nur noch einmal

. . . Zeckenimpfung (FSME) empfehlenswert für alle, die in „Risikogebieten“ leben oder dort Urlaub machen.

Impfung bedeutet immer Schutz und Verantwortung für mich selbst oder Schutzbefohlene, gleichzeitig aber auch für meine Mitmenschen.

Bisher sprachen Impfärzte eher rustikal von „Herdenschutz“ heute treffender vom „Schutz der Gemeinschaft“

Alles Gute für Sie – vor allem Gesundheit und Frieden im neuen Jahr!

 

weitere Information erhalten Sie über:

Bundesweite medizinische Kinderschutzhotline Rufnummer: 0800-1921000

Kinderschutzbund-wetzlar.de

Aktueller Impfkalender: Gesundes-Kind.de

kinderaerzte-im-netz.de

 

Über den Autor

Dr. med. Josef Geisz
Dr. med. Josef Geisz
Kinder-Jugendarzt/Allergologie, Wetzlar

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