Wenn das Wandern keinen Spaß mehr macht –
die Krux mit dem Knie!

Am Anfang war es nur ein gelegentliches Ziehen am Morgen – häufig nach Wanderungen auf dem Vogelsberg. Ein paar Schritte nach dem Aufstehen und die Schmerzen ließen meist schnell wieder nach – das Kniegelenk hatte sich „eingelaufen“. Irgendwann wurde das Knie auch dick und die Beschwerden lagen zum Teil auch ohne Belastung beim Ruhen auf dem Sofa vor. Spätestens jetzt sollte der Besuch bei einem Arzt Klarheit schaffen. Eine ausführliche Befragung, Untersuchung und ein abschließendes Röntgenbild erbrachten die Diagnose: Arthrose (Knorpelverschleiß) des Kniegelenkes!

Ein typischer Verlauf eines Patienten mit einer Arthrose des Kniegelenkes (Gonarthrose) – aber wer ist bevorzugt betroffen?

Zahlreiche Risikofaktoren können die Entstehung einer solchen Arthrose fördern. Dazu gehören genetische Faktoren, Alter, Geschlecht (Frauen), Übergewicht und außergewöhnliche körperliche Belastungen, wie beispielsweise bei einem Fliesenleger. Sog. sekundäre Gonarthrosen können zum Beispiel auf dem Boden einer Fehlstellung des Beines (O- oder X-Bein), nach schwerwiegenden Verletzungen oder im Rahmen anderer Allgemeinerkrankungen auftreten.

Starke Beschwerden, doch dann wurde es wieder besser – warum?

Nicht selten zeigen sich die Beschwerden beim Arztbesuch deutlich gebessert. Dies mag viele Gründe haben, man sollte jedoch folgendes berücksichtigen: Die Arthrose stellt eine in Schüben verlaufende chronische Entzündung des Gelenkes dar, was die zumindest in den Anfangsstadien häufig angegebene wechselnde Beschwerdesymptomatik und die sog. „Wetterfühligkeit“ erklärt. Eine ausführliche Patientenbefragung liefert häufig richtungsweisende Hinweise:

Während die Beschwerden in den Anfangsstadien nur nach Belastung angegeben werden (Belastungsschmerz) und sich nach ein paar Metern nach dem Aufstehen vom Essenstisch wieder bessern (Anlaufschmerz), geben Patienten mit einem vollständigen Verschleiß des Knorpels Schmerzen auch ohne Belastung des Gelenkes an (Ruheschmerz). Eine dumpfe, nicht exakt lokalisierbare Schmerzsymptomatik spricht eher für eine Gonarthrose, während der stechende Schmerz und eventuelle Gelenkblockierungen auf einen Meniskusschaden hinweisen. Angaben über Beschwerden beim Treppab- oder Bergablaufen, vor allem hinter der Kniescheibe, können auf einen Verschleiß zwischen Oberschenkelknochen und Kniescheibenrückfläche hindeuten. Häufig wird auch über ein Gefühl der Instabilität oder einer zunehmenden O- oder X-Bein-Fehlstellung sowie eine Bewegungseinschränkung und Schmerzhinken in fortgeschrittenen Stadien berichtet.

Die typischen Zeichen einer Kniegelenksarthrose – Schmerzen und Funktionsverlust!

Im Anschluss an die Patientenbefragung folgt die Untersuchung des betroffenen Gelenkes. Ein hinkendes Gangbild fällt bereits bei der Inspektion auf. Nicht selten findet sich bei fortgeschrittener Arthrose eine eingeschränkte Beweglichkeit. Das Kniegelenk lässt sich nicht mehr in vollem Umfang strecken oder beugen. Eine Schwellung spricht für eine vermehrte Bildung von Gelenkflüssigkeit als Ausdruck der Entzündung („aktivierte Arthrose“). Der Gelenkerguss kann wiederum zu Beschwerden beim Beugen und zur Ausbildung einer sog. Bakerzyste führen. Es handelt sich dabei um eine Ansammlung von gelartiger Flüssigkeit in der Wadenmuskulatur, die man manchmal auch in der Kniekehle als Vorwölbung tasten kann. Der Arzt kann bei Patienten mit einer Arthrose, auf dem Boden einer O-Bein-Fehlstellung, einen Druckschmerz über dem inneren Gelenkspalt auslösen und eventuell eine Außenbandinstabilität nachweisen – umgekehrt beim selteneren X-Bein. Eine geschwächte Muskulatur spricht für einen längeren Krankheitsverlauf.

Welche weiteren Untersuchungen sind zur eindeutigen Diagnosestellung notwendig?

Eine einfache Röntgenuntersuchung reicht häufig für eine endgültige Diagnosestellung aus. Da sich der Knorpel auf einer Röntgenaufnahme nicht direkt darstellen lässt, zeigt das Bild eines Patienten mit einer Gonarthrose einen verschmälerten Gelenkspalt, als indirekten Hinweis auf einen Knorpelaufbrauch (Abb. 1). In fortgeschrittenen Stadien findet man zusätzliche Knochenanbauten oder bereits einen Knochendefekt. Während Ultraschall- und CT-Untersuchungen nur speziellen Fragestellungen vorbehalten sind, kann ein MRT in unklaren Fällen sinnvolle Zusatzinformationen liefern.

Die Diagnose Kniegelenksarthrose ist gestellt – und nun?

Ziele der Behandlung sind eine Steigerung der Lebensqualität durch Schmerzlinderung, Funktionsverbesserung und ein Verzögern des Arthroseprozesses – denn Arthrose ist nicht heilbar! Es ist eine auf jeden Patienten abgestimmte optimale Behandlungsform zu wählen. Wesentliche Faktoren die bei der Wahl der besten Therapie zu berücksichtigen sind: Alter, Risikofaktoren und Nebenerkrankungen, bisher durchgeführte Behandlungen, Ursache und Grad der Gelenkzerstörung, Umfang der körperlichen Aktivität und der Grad der Einschränkung der Lebensqualität.

Die nichtoperative Behandlung kann, abhängig vom Grad der Arthrose, häufig zum Erfolg führen!

Eigenständige Übungen, sinnvolle körperliche Belastung, Sport/Gymnastik/Spaziergänge und eventuell eine Gewichtsreduktion sind Maßnahmen, die der Patient selbst ergreifen sollte. Eine Versorgung mit Einlagen, Bandagen oder Gehhilfen ist im Einzelfall durchaus sinnvoll. Die Palette der physiotherapeutischen/physikalischen Behandlungsmöglichkeiten ist umfangreich und kann für den Patienten eine erhebliche Verbesserung der Schmerzsituation und Funktion erwirken: Physiotherapie (Mobilisierung, Muskelkräftigung, Muskeldehnung, Koordinationsschulung), Akupunktur, Elektrotherapie, Muskelstimulation, Kälte-, Wärmetherapie, Querfriktion, therapeutischer Ultraschall - um nur einige zu nennen. Eine begleitende schmerz- und entzündungshemmende medikamentöse Behandlung ist bei manchen Patienten unerlässlich. Der Wert von Nahrungsergänzungsmitteln ist umstritten, kann aber ebenso wie Gelenkspritzen (Kortison, Hyaluronsäure) zumindest zu einer temporären Beschwerdelinderung führen.

Ist die Palette der nichtoperativen Maßnahmen erschöpft oder ist der Grad der Arthrose sehr weit fortgeschritten, sollte eine Operation in Betracht gezogen werden!

Unterschieden werden gelenkerhaltende Eingriffe und der Gelenkersatz. Gelenkerhaltende Eingriffe, wie die operative Korrektur eines O- oder X-Beines und knorpelaufbauende Eingriffe, die im Rahmen einer Gelenkspiegelung (Arthroskopie) durchgeführt werden, erfolgen in der überwiegenden Zahl bei jüngeren Patienten oder Patienten mit einer mäßigen Arthrose bzw. einem begrenzten Knorpelschaden.

Wesentliche Faktoren, die die Wahl zwischen den verschiedenen Kunstgelenken beeinflussen, sind der Arthrosegrad, die Bandstabilität, der Umfang des Knochenverlustes und die Beinachse. Patienten bei denen der Knorpel nur auf der Innen- oder Außenseite aufgebraucht ist, deren Bänder stabil sind, deren Beinachse weitgehend gerade ist und bei denen die Arthrose zu keinem größeren Knochenverlust geführt hat, können mit einer sog. Schlittenprothese versorgt werden. Es handelt sich bei diesem Modell um eine knochensparende Oberflächenersatzprothese, die nur den verschlissenen Anteil des Gelenkes ersetzt. Das an unserer Klinik eingesetzte Implantat wird, individuell an die Anatomie des einzelnen Patienten angepasst (CT-basierend), in den USA hergestellt (Abb. 2). Die bikondyläre Oberflächenersatzprothese stellt das am häufigsten eingesetzte Kunstgelenk dar. Es werden sämtliche Gelenkanteile mit einem ebenfalls knochensparenden Modell ersetzt. Voraussetzung sind stabile Bänder, ein weitgehend intakter Knochen und eine Beinverkrümmung von höchstens 25°. Bei Patienten mit einer sehr komplizierten Fehlstellung, zum Beispiel nach Oberschenkelbrüchen, erfolgt die Operation mit Computerunterstützung zur exakten Positionierung des Kunstgelenkes (Navigation). Achsgeführte (-stabilisierte) Kunstgelenke werden bei sehr starken Abweichungen der Beinachse in Verbindung mit einer Bandinstabilität und größeren Knochendefekten oder bei schwierigen Wechseloperationen eingesetzt (Abb. 3).

Die Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin des Evangelischen Krankenhauses in Gießen bietet Kunstgelenkeingriffe sämtlicher Schwierigkeitsgrade, modernste Techniken und eine hohe operative Qualität an. Nach 2016 wurde die Klinik auch in diesem Jahr durch die AOK Hessen für überdurchschnittlich gute Leistung in Knie- und Hüftendoprothetik ausgezeichnet und gehört in diesen Bereichen zu den besten 20% deutschlandweit!

Über den Autor

Prof. Dr. med. Jens Kordelle
Prof. Dr. med. Jens Kordelle
Chefarzt der Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin
Agaplesion Evangelisches Krankenhaus Mittelhessen

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