Haschisch auf Rezept?

Für die einen eine Horrorbotschaft, für andere dagegen ein Segen“. Derartig unterschiedliche Meinungen finden sich in der Tagespresse der jüngsten Vergangenheit. Auslöser ist die Diskussion darüber, dass Schwerkranke seit März 2017 Cannabisblüten oder Extrakte in jeder Apotheke auf Rezept erhalten können. Bisher war eine individuelle Erlaubnis für den Erwerb und die Verwendung zwar auch schon möglich, jedoch mit strengen Auflagen verbunden. Es musste nämlich ein Antrag beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gestellt werden, um eine Genehmigung für den Erwerb und die Verwendung nach § 3 Absatz 2 des Betäubungsmittelgesetzes zu erhalten. Diese restriktive Handhabung führte dazu, dass laut BfArM zuletzt trotz großen Bedarfs bundesweit lediglich 1020 Patienten über eine solche Erlaubnis verfügten. Ärzte können nun in begründeten Einzelfällen Medizinalhanf auf einem Betäubungsmittelrezept zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnen. Die Krankenkasse beauftragt dann den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung mit der Prüfung, ob die Voraussetzungen zur Behandlung erfüllt sind.

Medizinische Einsatzgebiete für Cannabis (Cannabinoide)

Die beiden wichtigsten Inhaltsstoffe sind Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD).

Mit Cannabinoiden können unter anderem chronische Schmerzen behandelt werden, die eine spastische Komponente haben, zum Beispiel bei Multipler Sklerose, Querschnittslähmungen oder Nervenverletzungen. Auch bei HIV-Patienten mit Nervenschmerzen können sie zur Linderung ihrer Beschwerden beitragen. Ferner werden Cannabinoide bei Grünem Star zur Reduktion des Augeninnendrucks sowie bei ADHS und dem Tourettesyndrom eingesetzt. Ebenfalls indiziert sind sie gegen Übelkeit und zur Appetitsteigerung bei Krebs- und Aids-Kranken.

Der große medizinische Nutzen ist bereits seit dem Altertum bekannt und man fragt sich, warum diese wertvolle Substanz aus dem Arzneimittelschatz bisher so restriktiv eingesetzt wurde? Ein Hauptgrund für die Zurückhaltung bei der Verschreibung ist vor allem darin zu sehen, dass man seitens der Gesetzgebung offensichtlich keine „Sucht auf Rezept“ zulassen wollte. Beim Konsum illegaler Drogen spielt Cannabis nämlich eine Hauptrolle. Gemäß der Drogenaffinitätsstudie 2015 der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ist der Anteil Jugendlicher im Alter von zwölf bis 17 Jahren, die in den letzten zwölf Monaten vor der Befragung Cannabis konsumiert haben, von 4,6 im Jahr 2011 auf 6,6 Prozent im Jahr 2015 angestiegen.

Vom illegalen Haschischkonsum kann also ohne jeden Zweifel eine große Gefahr ausgehen und viele Studien belegen, dass der Konsum und Missbrauch von Cannabis insbesondere bei jungen Menschen mit einer Reihe gravierender kurz- und langfristiger Risiken verbunden sein kann. Genannt werden etwa psychische und psychosoziale Störungen (z. B. schizophrene Psychosen), organmedizinische Auswirkungen (z. B. Herz-Kreislauf-Folgeerkrankungen) und neurokognitive Beeinträchtigungen (z. B. Beeinträchtigung der Lern- Aufmerksamkeits- und Gedächtnisfunktionen). Jeder Lehrer kennt Schülerinnen und Schüler, auf die die zugebenermaßen boshafte Bezeichnung „Matschbirne“ zutrifft, da sie dem Unterricht nicht mehr folgen können und geistig völlig abwesend wirken. Deshalb kommen immer mehr Experten zu der Überzeugung, dass Cannabisgebrauch im Kindes- und Jugendalter vermieden werden sollte und dem Jugendschutz eine zentrale Bedeutung beigemessen werden muss. Aus diesem Grund wird eine allgemeine Freigabe von Cannabis auch abgelehnt.

Eine völlig andere Situation ist dagegen bei einem bestimmungsgemäßen Einsatz von Cannabis gegeben wo der große medizinische Nutzen (s.o.) im Vordergrund steht.

Hier sei ein Vergleich mit Morphin erlaubt, das häufig zur Linderung schwerster Schmerzen (z.B. in der Tumortherapie) eingesetzt wird, gleichwohl aber auch ein potentes Suchtmittel ist und im menschlichen Körper u.a. aus Heroin entsteht. Während bei der missbräuchlichen Anwendung in der Szene die euphorisierende im Vordergrund steht, tritt diese aufgrund der Erfahrung zahlreicher Schmerzkliniken deutlich zurück und zahlreiche Untersuchungen belegen, dass sich das Absetzen nach einer reinen Schmerzbehandlung um ein Vielfaches leichter gestaltet, als der Entzug nach rein hedonistischer Einnahme (Hedonismus von altgriechisch ἡδονή, hēdonḗ, „Freude, Vergnügen, Lust, Genuss, sinnliche Begierde“). Die für den medizinischen Einsatz von Cannabis bereits vorliegenden Erfahrungen gestatten ebenfalls günstige Prognosen.

Selbstanbau von Cannabispflanzen erlaubt?

Besonders in Internetforen wird diese Frage lebhaft diskutiert. Dabei ist zu bedenken: Es geht um schwerkranke Menschen, die starke Schmerzen haben und Hilfe in einer standardisierten Qualität benötigen. Eigenanbau kann deshalb keine Alternative sein und ist daher auch weiterhin nicht erlaubt.

Staatliche Kontrolle des Anbaus wichtig?

Wichtig für den Erfolg der Behandlung mit Cannabisarzneimitteln ist die Qualität der Pflanzen und Pflanzenextrakte. Für die Versorgung mit Cannabisarzneimitteln in standardisierter Qualität soll der Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken in Deutschland möglichst rasch ermöglicht werden. Dabei sind unter anderem die Vorschriften über Suchtstoffe zu beachten. Diese Vorgaben schreiben vor, dass der Anbau staatlich überwacht wird.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) übernimmt diese Aufgabe der Kontrolle und Überwachung des Cannabisanbaus zu medizinischen Zwecken in Deutschland. Bis der staatlich kontrollierte Anbau in Deutschland erfolgen kann, wird die Versorgung mit Cannabis zu medizinischen Zwecken über Importe gedeckt werden.

Über den Autor

Prof. Dr. rer. nat. Harald Schütz
Prof. Dr. rer. nat. Harald Schütz
Forensischer Toxikologe
Institut für Rechtsmedizin der Universität Gießen

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