Brustwirbelsäule als Funktionelle Einheit

Leben ist Bewegung. Bei der Behandlung von Einschränkungen der Bewegungsfähigkeit werden einzelne Körperbereiche häufig nur isoliert betrachtet, statt den Körper als Ganzes zu verstehen. Das gilt beispielsweise auch für die Brustwirbelsäule (BWS). Hier werden oft nur die zwölf Brustwirbelkörper und ihre biomechanische Funktion gesehen, die durch die typische Wirbelsäulenkrümmung, die Kyphose organisiert ist. Dabei müssen wir die Komplexität unseres Körpers als ganzheitliches System verstehen, um nachhaltige Besserungen der Bewegungsfähigkeit zu erzielen.

Strukturell wird die BWS oben von der Thoraxöffnung, unten vom Zwerchfell und seitlich von den Rippen begrenzt. Die knöchernen Anteile dieser Region schützen die lebenswichtigen Organe wie Herz und Lunge und stellen sicher, dass die kardiopulmonalen Funktionen gewährleistet werden. Betrachten wir aber die anatomischen und strukturellen Verbindungen, die von der BWS ausgehen, erkennen wir das komplexe Zusammenspiel mit unseren Organen, dem Nervensystem und den Gefäßen, sowie den Einfluss auf die Produktion von Hormonen.

Damit stellt die BWS eine wichtige funktionelle Einheit dar. Alle Strukturen innerhalb und außerhalb dieser Einheit stehen im ständigen Informationsaustausch miteinander und beeinflussen sich wechselseitig. Um seine optimale Funktion aufrecht zu erhalten, ist der Körper permanent auf der Suche nach Gleichgewicht, das durch diesen Austausch gewährleistet wird.

Ist eine der Strukturen - durch Blockaden, Schmerzen oder veränderte Spannungszustände - aus dem Gleichgewicht geraten, kann es zu Problemen kommen, die wir auf den ersten Blick in der BWS vermuten. Beachten wir jedoch die Strukturen, die in direkter Verbindung mit der BWS stehen - Nerven, Gefäße und myofasziale Züge – zeigt sich, dass die Ursachen auch in der Peripherie liegen können.

Eine besondere Bedeutung hat dabei der Truncus Sympathikus (Grenzstrang), der zum vegetativen Nervensystem gehört. Als Teil des unwillkürlichen Nervensystems steuert er lebenswichtige Funktionen wie Atmung, Herzfrequenz, Verdauung und Stoffwechsel. Der Grenzstrang besteht aus 22 - 23 Nervenzellkernen, die parallel zur Wirbelsäule, von der Schädelbasis bis zum Steißbein, entlang ziehen. Diese Nervenzellkerne dienen als Umschaltstellen für Nervenbahnen, die fortlaufend zu ihren Zielorganen führen.

Bei einem Verlust der Mobilität in der Brustwirbelsäule kann es unter anderem zu Irritationen der Zielorgane kommen. Erkrankungen, die zu einem Mobilitätsverlust führen können, sind beispielsweise Tumore, Osteoporose, Skoliose, degenerative Veränderungen, Blockaden, Bandscheibenvorfälle und entzündliche Prozesse. Treten Beschwerden wie Verdauungsprobleme, Schlafstörung und verstärkt wahrnehmbarer Herzschlag ohne pathologischen Befund auf, sollten auch Grunderkrankungen oder Blockaden der BWS als Ursachen in Betracht gezogen werden.

Durch die enorme Komplexität der Brustwirbelsäule ist in der Therapie eine exakte und differenzierte Diagnostik wichtig, um die Ursache der Beschwerden zu erkennen und zu behandeln. Dies kann bedeuten, dass sich die Therapie, trotz Beschwerden in der BWS, auf andere Regionen des Körpers bezieht und zum Beispiel über die Reduzierung von myofaszialer Spannung im Hüft-, Lenden- oder Halswirbelsäulenbereich, eine Verbesserung der Schmerzen und Dysfunktionen in der BWS erreicht werden.

Darüber hinaus kann das Lösen von Blockaden oder Fehlfunktionen über das vegetative Nervensystem einen positiven Einfluss auf die Organfunktion erzielen.

Beschwerden sollten also nicht nur isoliert betrachtet werden, sondern auch in der gesamten Kontinuität des Körpers. Hierdurch kann das Funktionieren, die Ökonomie und der Komfort unseres Körpers dauerhaft gewährleistet werden und man im Ergebnis besser in Bewegung bleiben.

Über den Autor

Bernard Euler
Bernard Euler
Physiotherapie, Wetzlar
Aktuelle Ausgabe2/2024