Wissenswertes über Alkohol, seine Wirkungen und die Gefahren

In Teil 4 wird u. a. über forensisch relevante Einflüsse auf den Verlauf der „Blutalkoholkurve“, die Möglichkeiten der modernen Begleitstoffanalyse, die Gefahren des Alkohols beim Führen von Kraftfahrzeugen, die „tödliche“ Blutalkoholkonzentration sowie den Umgang mit alkohol- sowie drogengefährdeten Personen im Alltag berichtet.

Forensisch relevante Einflüsse auf den Verlauf der Blutalkoholkurve

Wie die zahlreichen Beispiele in Teil 3 deutlich machen, gibt es keine Patentrezepte oder spezielle Mittel zur Erniedrigung der Blutalkoholkonzentration. Der Verlauf der Blutalkoholkurve wird praktisch nur durch die Höhe der aufgenommenen Alkoholmenge, das Körpergewicht, den Verteilungsfaktor r, die Trinkzeit und die Resorptionsverhältnisse gesteuert. In beschränktem Umfang kann man die Resorption jedoch beeinflussen, so dass u.U. forensisch relevante Blutalkoholkonzentrationen nicht erreicht werden. Abb. 5 zeigt den Verlauf der Blutalkoholkurve bei derselben Person nach Aufnahme gleich großer Alkoholmengen in Abhängigkeit von Trinkzeit, Konzentration und zusätzlicher Nahrungsaufnahme. Der kurzzeitige Genuss der gesamten Alkoholmenge (oberes Diagramm) führt bei praktisch leerem Magen nach einem raschen Anstieg der Blutalkoholkurve zu einem Maximalwert, der sehr viel höher liegt als bei Aufnahme der gleichen Alkoholmenge im Rahmen einer umfangreichen Mahlzeit (mittleres Diagramm). Auf diese Weise könnte die oft als Hausrezept kolportierte Dose Ölsardinen tatsächlich im Einzelfall Einfluss auf den Verlauf der Blutalkoholkurve haben. Aber auch andere (den Organismus u.U. weniger belastende) Nahrungsmittel können zum gleichen Effekt verhelfen.

Verteilt man die Alkoholmenge innerhalb mehrerer Stunden auf Einzelportionen (unteres Diagramm), so liegt die höchste erreichte Blutalkoholkonzentration in jedem Falle sehr viel niedriger. Steht ausreichend Zeit zur Verfügung, entspricht der Maximalwert sogar dem einer Einzelportion.

Frage 9: Kann man anhand einer Blutprobe feststellen, welche alkoholischen Getränke konsumiert wurden?

Die Messung der Ethanolkonzentration im Blut lässt lediglich Rückschlüsse auf die Menge des konsumierten Alkohols zu. Viele alkoholische Getränke enthalten jedoch außer Ethanol noch andere flüchtige Substanzen (z.B. Methanol, 1-Propanol, iso-Butanol, 1-Butanol und 2-Butanol), die im Rahmen der sog. Begleitstoffanalyse (Abb. 6) gaschromatographisch ebenfalls nachgewiesen und quantifiziert werden können. Da die Begleitstoffprofile der meisten Getränkesorten bekannt sind oder mit Vergleichsproben ermittelt werden können, ist es möglich, somit auch Aussagen über die Art der aufgenommenen Getränke zu machen. Die Begleitstoffanalyse hat sich inzwischen als Methode zur Überprüfung von Angaben, beispielsweise eines Angeklagten zum Trinkverlauf vor und vor allem nach einem Vorfall (sog. Nachtrunk) etabliert.

Frage 10: Warum sind Alkohol und das Führen von Fahrzeugen unvereinbar?

Zahlreiche verkehrsmedizinisch bedeutsame Ausfälle und Leistungseinbußen wurden bereits im Beitrag zu den Alkoholkonsummarkern (s. Gesundheits Kompass Nr.4 / Oktober 2017 / Tabelle 1) behandelt. Untersuchungen zeigen, dass das Verkehrsunfallrisiko bei 0,6 bereits verdoppelt und bei 1,5 ‰ sogar 25mal höher als beim Nüchternen ist.

Nach Alkohol- und Drogenkonsum treten vor allem folgende Störungen auf, die auch häufige Ursachen für Fahrfehler sind:

Störung der distributiven Aufmerksamkeit (mehrere Aufgaben können nicht gleichzeitig bewältigt werden, z.B. Bedienen des Radios oder Aufheben einer heruntergefallenen Zigarette während des Fahrens),

Verlängerung der Reaktionszeit (z.B. Auffahrunfälle oder zu spätes Erkennen von Gefahrensituationen) (Abb. 7),

Einschränkung des Gesichtsfelds Große Auffassungsbreite beim Nüchternen (Abb. 8) demgegenüber „Tunnelblick“ unter Alkohol und Drogeneinfluss) (Abb. 9)

Eingeschränkte Hell-Dunkel-Adaption (optische Blackouts),

Beeinträchtigungen der Sehschärfe (z.B. bereits bei 0,4 – 0,7 ‰ um etwa 15 % und zwischen 0,8 und 1,1 ‰ um 25-30 % verminderte Sehschärfe in die Ferne),

Beeinträchtigungen des Tiefensehens (z.B. zwischen 0,6 und 1,2 ‰ richtige Endeinstellung, aber doppelte Zeit und zwischen 0,8 und 1,1 ‰ um knapp die Hälfte der Nüchternleistung vermindert),

Eingeschränkte Wahrnehmung für rotes Licht (z.B. Verkehrsampeln, Bremsleuchten),

Orientierungsverlust (z.B. beim Kurvenfahren).

Alkoholbedingte Enthemmung und gesteigerte Risikobereitschaft (dadurch häufig überhöhte Geschwindigkeit, Imponiergehabe und rücksichtsloses Verhalten)

Die Alkoholwirkung (psychophysische Leistungsfähigkeit) kann nicht nur interindividuell, hauptsächlich durch die erworbene Alkoholgewöhnung (Toleranz) bedingt, sondern auch intraindividuell z.B. durch Ermüdung, Stress, Erkrankungen, Medikamente, Kater (Hang-over) unterschiedlich stark ausgeprägt sein.

Frage 11: Welche Blutalkoholkonzentration ist tödlich?

Wegen seiner großen Verbreitung und leichten Verfügbarkeit spielt der Alkohol auch in der klinisch-toxikologischen Praxis eine große Rolle. Im Rahmen letaler Monointoxikationen werden häufig Werte über 3,5 ‰ festgestellt. Allerdings wurden auch wesentlich höhere Konzentrationen überlebt. Eine große Rolle spielen beispielsweise die allgemeine körperliche Verfassung und (Vor)-erkrankungen, daneben aber auch äußere Faktoren wie etwa die Umgebungstemperatur. Der Tod tritt häufig erst nach Stunden durch Atemlähmung bzw. zunehmende Hirnschwellung (Ödem) ein.

Frage 12: Welche gesundheitlichen Risiken und volkswirtschaftlichen Schäden sind mit dem Alkohol verbunden.

Die „Alltagsdroge“ Alkohol verursacht bei einer großen Zahl von Menschen schwerwiegende gesundheitliche Probleme.

Die Deutsche Hauptstelle für Suchtgefahren (DHS) kommt in ihrem neuen „DHS Jahrbuch Sucht 2018“ zu dem Ergebnis, dass jeder Bundesbürger (15 Jahre und älter) im Jahr 2016 im Schnitt 9,5 Liter reinen Alkohol zu sich genommen hat. Im Vergleich zum Vorjahr sei der Pro-Kopf-Verbrauch zwar leicht gesunden, dennoch sei der Wert zu hoch.

9,5 Mio. Menschen in Deutschland konsumieren Alkohol in gesundheitlich riskanter Form und etwa 1,3 Mio. Menschen gelten als alkoholabhängig (Daten vom November 2017). Jedes Jahr sterben in Deutschland nach neuen Berechnungen mindestens 73.000 Menschen direkt (durch Alkoholmissbrauch) oder indirekt (u.a. durch alkoholbedingte Unfälle) an den Folgen ihres Alkoholkonsums. Die volkswirtschaftlichen Kosten alkoholbezogener Krankheiten werden auf mehr als 20 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. In der Gesellschaft herrscht eine weit verbreitete unkritisch positive Einstellung zum Alkohol vor. Durchschnittlich werden pro Kopf der Bevölkerung jährlich etwa zehn Liter reinen Alkohols konsumiert. Gegenüber den Vorjahren ist eine leicht rückläufige Tendenz im Alkoholkonsum zu registrieren. Dennoch liegt Deutschland im internationalen Vergleich unverändert im oberen Zehntel.

Diese Zahlen belegen eindrucksvoll, dass große Teile der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland ein Alkoholproblem haben. Darunter befinden sich naturgemäß auch viele Verkehrsteilnehmer, bei denen es sich dann häufig um keine „trinkenden Fahrer“, sondern eher um „fahrende Trinker“ handelt.

Ein guter Rat zum Schluss dieses Beitrags

Wer in einer Behörde, Apotheke oder einer sonstigen Einrichtung mit „Publikumsverkehr“ beschäftigt ist, wird häufig direkt mit dem „Problem Alkohol“ konfrontiert. Sind es auf der einen Seite Betroffene oder Angehörige, die um einen Rat bitten, so können andererseits Auffälligkeiten bei Besuchern, wie z.B. eine Alkoholfahne, ein auffälliger Gang oder eine verwaschene Sprache (beim Fehlen einer anderen Erklärungsmöglichkeit, wie etwa einer Behinderung) direkt auf ein Alkoholproblem hindeuten. Dabei ist allerdings auch an andere Drogen sowie Medikamente zu denken. Besonders problematisch kann die Situation sein, wenn ein offensichtlich unter Alkoholeinfluss stehender Verkehrsteilnehmer mit einem Pkw oder anderen Fahrzeug vorfährt. Hier bedarf es einer sehr einfühlsamen und geschickten Reaktionsweise, die bis zur Hinderung an der Weiterfahrt reichen kann. Der Verfasser hat es wiederholt erlebt, dass beispielsweise Apotheken- oder Tankstellenpersonal bei Gericht peinlichen Fragen ausgesetzt war, wenn es etwa um die Frage ging, ob durch nicht rechtzeitiges Eingreifen, wie z.B. das Benachrichtigen der Polizei, ein späterer schwerer Unfall hätte vermieden werden können. Wer zeigt aber gerne einen Menschen an, den er möglicherweise schon lange kennt und beraten hat? In solchen Fällen hilft häufig ein einfühlsames vertrauliches Gespräch bzw. ein mehr oder weniger pragmatisches Angebot: „Geben Sie mir bitte Ihren Fahrzeugschlüssel und schlafen Sie erst einmal aus. Morgen gebe ich Ihnen den Schlüssel wieder“ oder „Ich bestelle Ihnen ein Taxi“ oder vielleicht sogar „Ich fahre Sie jetzt nach Hause und morgen sehen wir weiter“. Man sollte eindringlich darauf hinweise, dass ein Taxi nur ein paar Euro kostet, eine Trunkenheitsfahrt aber in jedem Fall viel mehr Geld, möglicherweise aber sogar die Existenz oder die Gesundheit und das Leben der eigenen Person oder fremder meist unschuldiger Menschen.

Ergeben sich schließlich Anhaltspunkte für ein chronisches Alkoholproblem, dann erscheint ein Hinweis auf die Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe dringend erforderlich. In manchen Fällen kann zunächst auch der Besuch einer Selbsthilfegruppe empfohlen werden. Diesbezügliche Adressen oder Handzettel sollten in jeder relevanten Einrichtung verfügbar sein.

Hinweis: Zahlreiche zusätzliche Informationen zu Drogen und allen anderen Gebieten der Rechtsmedizin sind in dem reichhaltig illustrierten Lehrbuch „Rechtsmedizin” von R. Dettmeyer, M.A. Verhoff und H. Schütz (Springer Medizin Verlag) enthalten (Neuauflage in Vorbereitung).

 

Über den Autor

Prof. Dr. rer. nat. Harald Schütz
Prof. Dr. rer. nat. Harald Schütz
Forensischer Toxikologe
Institut für Rechtsmedizin der Universität Gießen

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