Der plötzliche Kindstod

Wie kann man vorbeugen - wer hilft in schweren Zeiten?

 

Der Tod jedes Kindes, gar eines Säuglings trifft alle Eltern und Angehörige als unfassbarer Schicksalsschlag. Vom plötzlichen Kindstod - früher Säuglings- oder Krippentod, international SIDS (Sudden Infant Death Syndrom) spricht man, wenn ein bisher gesundes Baby vollkommen unerwartet tot in seinem Bettchen aufgefunden wird und sich trotz intensiver Suche keine adäquate Ursache finden lässt. Das tragische Geschehen ist in allen Kulturen bekannt, wird aber erst seit wenigen Jahrzehnten von Pädiatern, Neonatologen, Rechtsmedizinern und Pathologen gemeinsam mit Behörden wie Polizei oder Sozialamt intensiv und erfolgreich erforscht.

 

Wie häufig kommt dieses Ereignis vor?

Vor Jahrzehnten war der plötzliche Kindstod mit drei Fällen auf 100 Lebendgeborene die häufigste Todesart im Säuglingsalter. Diese Zeiten gehören

- zumindest in Ländern mit gut entwickeltem Gesundheitssystem – dank systematischer Vorsorgeuntersuchungen für Schwangere und Kinder sowie vielfältiger, medialer Präventionskampagnen der Vergangenheit an. Im Jahr 2014 verstarben in Deutschland weniger als zwei von 1000 Säuglingen an SIDS! Betroffen sind überwiegend Babys vor dem sechsten Lebensmonat; Nur Einzelne noch bis zum 2. Lebensjahr; Statistisch häufiger in Wintermonaten und Jungen häufiger als Mädchen. Die Säuglinge werden fast immer in früher Morgenstunde im Bettchen zu 90 % in Bauchlage tot aufgefunden.

Alle bekannten Ursachen, die zu einem unerwartet schnellen Kindstod führen, müssen in Betracht gezogen werden. Die ärztliche Angabe „Ungeklärte Todesursache“ auf dem offiziellen Leichenschauschein hat in vielen Ländern zwingend eine standardisierte Obduktion (Autopsie) durch einen Pathologen oder Gerichtsmediziner zur Folge. In Deutschland bisher trotz fachärztlicher Forderung leider bisher ohne Reaktion. Immerhin wird jedes dritte tragische Ereignis aufgeklärt! Die systematische „Aufarbeitung“ jedes einzelnen Todesfalles trägt sowohl als fachliche Information für betroffene Eltern zu ihrer persönlichen Trauerarbeit als auch für unsere Gesellschaft zu künftig noch effektiverer Prävention bei.

 

Was führt zu einem plötzlichen Kindstod?

Man unterscheidet zwischen externen und internen Ursachen.

Äußere Ursachen, die zum Kindstod führen sind u. a. Ersticken, Vergiften, Infektionen aller Art und nicht zuletzt alle kaum denkbaren Formen schwerer Kindermisshandlung. Wird die Diagnose „plötzlicher Kindstod“ gestellt, hat man keinen Täter gefunden!

Innere Ursachen sind mit 75% deutlich häufiger. Es geht dabei um bei den ersten Gesundheitsvorsorgen (U1-U5) bisher nicht diagnostizierte schwere Organfehlbildungen oder eine Entwicklungsalter bedingte Unreife: Im Herz-Kreislaufsystem oft Rhythmusstörungen Bradykardie bis zur Asystolie, im Atmungssystem akute Regulationsstörungen in der Sauerstoffversorgung von Atemnot bis zum Atemstillstand (Apnoe); Im Verdauungstrakt bedrohen Saug-Schluck-Koordinationsstörungen das Leben des jungen Säuglings Auch das Neugeborenengehirn ist bei Geburt noch nicht voll entwickelt. So führt im Stammhirn eine Temperaturregulationsstörung bei Überhitzung im Stammhirn schnell zum Tode.

Bei einer Autopsie wird routinemäßig auch nach seltenen Stoffwechseldefekten und Missbildungssyndromen gefahndet.

In die medizinische Fachdiskussion um den plötzlichen Kindstod ist eine neue „Arbeitsdiagnose“ eingeführt worden: AL(T)E (Anscheinend akut lebensbedrohliches Ereignis = acute life threatening event.

Eltern berichten über beängstigende Zwischenfälle wie Schweißausbrüche, Atemaussetzer, auffällige Blässe oder bläuliche Haut sowie Unruhezustände. Bei solchen Beobachtungen muss das Baby sofort dem Kinderarzt/Kinderklinik als Notfall vorgestellt werden.

Wie kann man das Risiko eines plötzlichen Kindstods verringern?

In 99 % aller SIDS Ereignisse findet sich nach eingehender Anamnese, Untersuchung und Obduktion mindestens einer der nicht veränderbaren oder veränderbaren Risikofaktoren.

Nicht „veränderbare“ Risiken:

Plötzlicher Kindstod in der Familie – genetische Anlage?

Mehrlingsschwangerschaft, Frühgeburt vor der 33.Woche/Gewicht unter 2500 g

Infektionen, Blutungen in der Schwangerschaft, Geburtskomplikationen

Junge Mutter unter 20 Jahren,

Veränderbare Risiken

Bauchlage mit weicher Unterlage, Überwärmung im Bett (optimale Schlafzimmertemperatur ca:18 Grad), Schlafen im Elternbett,

Nikotin, Drogen, Schlafmittel oder Alkohol, das SIDS Risiko ist bei einer rauchenden Mutter 7x höher!

fehlende Schwangerschafts- und Kindervorsorgen

große psychosoziale Belastungen: Armutssituation, Ehekrise, alleinerziehende Mutter; Familiäre Spannungen führen immer wieder zur fahrlässiger Vernachlässigung des Neugeborenen bis hin zur Kindstötung

Aus diesen Erkenntnissen folgen Vorbeugemaßnahmen, die den Eltern über Medien und persönliche Beratungen durch Ärzte und Hebammen z.B. in Geburtsvorbereitungskursen jederzeit zugängig sind.

Präventionsmaßnahmen für Säuglinge

optimale Schlafraumtemperatur bei 18 Grad in stabiler Rückenlage auf fester Matratze ohne Heizkissen, Fell oder Kuschelnest, Alleinschlafen im Kinderbettchen im Zimmer der Eltern eher positiv.

langes Stillen möglichst bis zum 6.Lebensmonat.

Lagerungs- Pflegeanleitung, häufiger liebevoller Körperkontakt

bei handfesten Erkrankungen –insbesondere Fieber - den Kinderarzt lieber einmal zu viel als zu wenig um Rat fragen.

Öffentlich empfohlene Kindervorsorgen und Impfungen wahrnehmen.

Heimmonitore zur frühzeitigen Alarmierung bei lebensbedrohlichen Ereignissen oder bekanntem Risiko stehen zur Verfügung. Ihre Einsatzmöglichkeit müssen mit dem Pädiater abgesprochen werden.

Die sichere Anwendung angemessener Reanimationsmaßnahmen im Notfall muss zu Hause gezielt geschult werden.

Umgang mit dem Tod eines geliebten Kindes:

Ärzte, Krankenpflegepersonal auch Behördenmitarbeiter im Sozialamt oder Polizei müssen nach einem Kindestod ausführliche Gespräche mit den Eltern, Geschwistern und nahen Verwandten sowohl zur fachlichen Information als auch zur unerlässlichen psychologischen Unterstützung beim Abschiednehmen und der Trauerarbeit mit größtem Einfühlungsvermögen und Würde führen.

Expertenhilfe ist zur Vermeidung sozialer Isolierung, quälenden Selbstschuldvorwürfen mit Depressionen und nicht selten einer Partnerschaftskrise sehr hilfreich. Eine individuelle Langzeitbetreuung durch psychosoziale Netze oder Selbsthilfegruppen sollte vertrauensvoll in Anspruch sollte genommen werden.

Wenn auch viele wissenschaftlich gesicherte Kenntnisse der letzten Jahrzehnte den Albtraum „plötzlicher Kindstod“ eindrucksvoll zurück gedrängt haben, bleibt er eine Herausforderung – nicht zuletzt wegen großer traditioneller und kultureller Unterschiede in der täglichen Betreuung von Neugeborenen und Säuglingen.

Wo erhalten betroffene Eltern und Verwandte weitere Hilfe?

kinderaerzte-im-netz.de

BZgA.de : Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

GEPS.de : Gesellschaft zur Erforschung des plötzlichen Kindstods

www.familenhandbuch.de

www.initiative-regenbogen.de

 

Über den Autor

Dr. med. Josef Geisz
Dr. med. Josef Geisz
Kinder-Jugendarzt/Allergologie, Wetzlar

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