Benzodiazepine und andere Psychopharmaka.

Teil 1 - Wirkungen und Gefahren

Arzneistoffe aus der Gruppe der Benzodiazepine sind Psychopharmaka mit unterschiedlichen pharmakodynamischen Wirkkomponenten. Wegen ihres beträchtlichen Suchtpotenzials sollte ein Dauergebrauch jedoch vermieden werden. Daher wird gegenwärtig erneut in zahlreichen aktuellen Medienberichten vor dem Missbrauch gewarnt.

In dieser Beitragsfolge wird im ersten Teil zunächst auf die Eigenschaften sowie Gefahren und Risiken eingegangen. Anschließend wird in drei Fortsetzungen über die schillernde Geschichte ihrer Entdeckung und Entwicklung berichtet.

Eigenschaften der Benzodiazepine

Seit ihrer Entdeckung durch Leo H. Sternbach (1908 – 2005) in den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts gehören Benzodiazepine weltweit zu den meistverordneten Medikamenten. Sie verfügen in ihrem Wirkungsspektrum über anxiolytische (angstlösende), sedierende (beruhigende), hypnotische (schlafanstoßende, durchschlaffördernde), antikonvulsive (krampflösende) und zentral muskelentspannende (relaxierende) Komponenten.

Die schillernde Entdeckungsgeschichte der Benzodiazepine soll in einem späteren Abschnitt dieses Artikels beschrieben werden und stellt ein beeindruckendes pharmazie- und medizinhistorisches Dokument dar. Zunächst soll aber auf die wichtigsten pharmakologischen Eigenschaften dieser Stoffklasse eingegangen werden:

Verglichen mit vielen anderen Psychopharmaka haben die Benzodiazepine den Vorteil einer ungewöhnlich großen therapeutischen Breite. Dies bedeutet, dass der Abstand zwischen einem erwünschten Blutspiegel und toxischen beziehungsweise sogar lebensbedrohlichen Konzentrationen außerordentlich groß ist. Letale (tödliche) Monointoxikationen mit klassischen Benzodiazepinen werden daher kaum beobachtet.

Gefürchtet sind Benzodiazepine jedoch als Interaktionspartner bei Mischintoxikationen, zum Beispiel mit Alkohol oder anderen zentral wirksamen Fremdstoffen, die nicht selten tödlich verlaufen können. Den Wirkungen können weiterhin zahlreiche verkehrsmedizinisch relevante Ausfallserscheinungen zugeordnet werden. Beispielsweise kann die Anxiolyse (angstlösende Wirkung) mit Enthemmung und erhöhter Risikobereitschaft einhergehen, während die sedativen und hypnotischen Effekte oft zur Aufmerksamkeitsverminderung und einem eingeschränktem Reaktionsvermögen führen. Schließlich kann der muskelrelaxierende Effekt negative Auswirkungen auf die Motorik haben (Sturzgefahr, weiches Knie beim Bremsen). Besonders nach längerem (missbräuchlichem) Gebrauch wird weiterhin über Persönlichkeitsveränderungen berichtet.

Der chemisch-analytische Nachweis spielt außer bei akuten Vergiftungsfällen auch im Rahmen der Überwachung Fremdstoffabhängiger eine wichtige Rolle. Bestimmte Benzodiazepine werden nämlich als Ersatz- und Ausweichdrogen in der Szene missbraucht (sog. „Downer“). An erster Stelle ist hier Flunitrazepam (z. B. Rohypnol®,) zu nennen. Nach Toleranzentwicklung (Gewöhnung) werden allerdings häufig extreme Überdosierungen vertragen, die nicht unbedingt mit äußerlich erkennbaren Ausfallerscheinungen einhergehen müssen.

Wichtig: Zaleplon (Sonata®), Zolpidem (Bicalm®, Stilnox®) und Zopiclon (Optidorm®, Somnosan®, Ximovan®), die sog. Z-Substanzen, sind Nicht-Benzodiazepine, die aber ähnlich wie Benzodiazepine wirken. Der Unterschied im Wirkprofil im Vergleich zu den Benzodiazepinen ist gering. Sie sollen ein geringeres Abhängigkeitspotential besitzen, was jedoch aufgrund zahlreicher Fallberichte eher fraglich ist.

Ein wichtiger Tipp: Die 4-K-Regel

Um unnötige Risiken bei der Medikamenteneinnahme zu vermeiden, hat die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) die „4-K-Regel“ entwickelt. Sie soll Arzneimittelmissbrauch vorbeugen.

Die „4-K“ stehen für:

  • Klare Indikation: Verschreibung nur bei eindeutiger medizinischer Notwendigkeit und nur bei Aufklärung des Patienten über das bestehende Abhängigkeitsrisiko.
     

  • Kleinste notwendige Dosis: Verschreibung kleinster Packungsgrößen, indikationsadäquate Dosierung.
     

  • Kurze Anwendung: Therapiedauer mit Patienten vereinbaren, kurzfristige Wiedereinbestellungen, sorgfältige Überprüfung einer Weiterbehandlung.
     

  • Kein schlagartiges Absetzen: Zur Vermeidung von Entzugserscheinungen und Rebound-Phänomenen die Therapie durch Dosisreduktion ausschleichen.

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Quintessenz: Schlaf- und Beruhigungsmittel sowie andere Medikamente können in einer akuten Krise nützlich sein, lösen aber in der Regel nicht die Ursache der Probleme. Dies können nach Ansicht von Experten nur die Patienten selber, indem sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten ihr Leben bewusst verändern. Ehe- und Schuldnerberatung, familiäre Entlastung und das bewusste Setzen von Grenzen im Beruf helfen dabei ebenso wie Stressbewältigung und Entspannungstechniken. Eine Psychotherapie kann ebenfalls dazu beitragen, den Auslösern von Beschwerden auf die Spur zu kommen.

Aktuelle Ergänzung: Opioide plus Benzodiazepine: Eine tödliche Kombination.

Die gleichzeitige Einnahme eines Opioid-Schmerzmittels mit einem Benzodiazepin hat bei Versicherten in den USA das Risiko von Notfallaufnahmen und Krankenhausaufenthalten verdoppelt. Benzodiazepine könnten nach den Ergebnissen einer im Britischen Ärzteblatt veröffentlichten Studie für einen Teil der Opiatüberdosierungen verantwortlich sein. Die Zahl der Opioid-Verordnungen hat sich in den USA in den letzten 15 Jahren fast verdreifacht. Die Folge war nicht nur ein Anstieg der Opiatabhängigkeiten. Auch die Zahl der Todesfälle durch Opiatüberdosierungen hat deutlich zugenommen. Eine mögliche Ursache könnte die gleichzeitige Verordnung von Benzodiazepinen sein, die als Schlafmittel oder zur Behandlung von Ängsten verordnet werden.

Frühere Studien hatten bereits gezeigt, dass die Patienten bei 30 Prozent aller tödlichen Opiatüberdosierungen auch Benzodiazepine im Blut hatten.

In Teil 2, 3 und 4 wird die schillernde Entdeckungsgeschichte der Benzodiazepine neben warnenden Fallberichten zum Missbrauch bis zur verbrecherischen Nutzung beschrieben.

 

Über den Autor

Prof. Dr. rer. nat. Harald Schütz
Prof. Dr. rer. nat. Harald Schütz
Forensischer Toxikologe
Institut für Rechtsmedizin der Universität Gießen

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