Chirurgischer Ratgeber: Leitliniengerechte Therapie

Akute Dickdarm-Divertikel-Entzündung

Die "Leitlinien" der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften sind systematisch entwickelte Hilfen für Ärzte zur Entscheidungsfindung in spezifischen Situationen. Sie beruhen auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und in der Praxis bewährten Verfahren und sorgen für mehr Sicherheit in der Medizin, sollen aber auch ökonomische Aspekte berücksichtigen. Die "Leitlinien" sind für Ärzte rechtlich nicht bindend und haben daher weder haftungsbegründende noch haftungsbefreiende Wirkung. Dennoch bilden die Leitlinien die Grundlage des medizinischen Handelns und haben auch eine große Bedeutung für die operativen Fächer. Die Leitlinien finden Sie im Internet unter AWMF online (https://www.awmf.org/leitlinien.) Für den medizinischen Laien sind sie in mancher Hinsicht nicht immer verständlich, zumindest sind es aber absolut seriöse Informationen, die mit dem Hausarzt besprochen werden sollten. Extra für Patienten sind vorgesehen die Patienteninformationen zu Leitlinien. Öffnet man diese Seite, liegen für viele Beschwerden übersichtliche Informationen vor.

Am Beispiel der akuten Divertikel-Entzündung des Dickdarmes soll die Leitlinie der Behandlung verständlich dargestellt werden.

Plötzlich schmerzt der Bauch links

Eine gefährliche entzündliche Erkrankung im Bauch verursacht links im Mittel- bis Unterbauch zuerst den Schmerz, sie nennt sich Dickdarm-Divertikel-Entzündung.

Dennoch bleibt die „Blinddarmentzündung“ die häufigste akute Erkrankung des Bauchraumes, jährlich werden in Deutschland mehr als 100.000 Appendektomien ausgeführt.

Pauschal gesagt, liegt der „Blinddarm-Schmerz“ im Wesentlichen meist rechts im Unterbauch.

Differentialdiagnostisch spielen linksseitige Harnwegsinfekte mit Koliken und frauenärztliche Erkrankungen die Hauptrolle (Tabelle).

Was ist ein Dickdarm-Divertikel?

Bei einem Divertikel wölbt sich die Darminnenwand nach außen. Die Wand des Divertikels ist ganz dünn, weil die muskulären Schichten der Darmwand fehlen. Die Ausstülpung bereitet jedoch keine Beschwerden. Eine Anhäufung von Divertikel bezeichnet man als Divertikulose.

Wenn die Divertikel Beschwerden machen oder zu Komplikationen führen, handelt es sich um die Divertikelkrankheit. Entzünden sich die Ausstülpungen, spricht man von Divertikulitis.

Wo liegen die Dickdarm-Divertikel?

Die Hauptlokalisation ist das „Sigma“, der unterste Abschnitt des Dickdarmes, der in den Mastdarm übergeht, aber auch der vorausgehende Dickdarm kann betroffen sein, ein generalisierter Dickdarmbefall ist selten, ebenso selten der Befall des Dünndarms.

Bei Routine-Krebsvorsorge-Untersuchungen werden Divertikel bei der Koloskopie sehr oft gesehen, ohne Beschwerden besteht aber keine Indikation für Operationen.

Ohne Beschwerden kommen die wenigsten Menschen auf die Idee, sich einer Darmdiagnostik zu unterziehen, so trifft uns die Erkrankung aus dem heiteren Himmel.

Mit zunehmendem Lebensalter steigt auch die Erkrankungshäufigkeit. 10 bis 25% der „Divertikel-Träger“ entwickeln eine Entzündung, bei 5% kommt es zu einer komplizierten Form der Divertikulitis.

Stadiengerechte konservative und operative Behandlung

In den letzten Jahren hat sich die Therapie der akuten Divertikulitis zunehmend gewandelt.

Die Leitlinie S2k, im Jahre 2014 mitgeteilt, empfiehlt eine stadienangepasste Strategie.

Bei der akuten unkomplizierten Divertikulitis wird eine primär konservative Therapie empfohlen. Der Nutzen einer antibiotischen Behandlung ist nicht eindeutig belegt, wird aber eher doch durchgeführt.

Wenn es gelingt, durch konservative Methoden die Entzündung zu heilen, besteht wegen der nur geringen Rezidivrate keine Operationsindikation für einen Eingriff im beschwerdefreien Intervall.

Die akute Divertikel-Entzündung kann sich leider auch sofort mit einem Abszess „melden“. Dann ist schnelles Handeln erforderlich.

Durch die moderne Diagnostik des Bauch-Computertomogramms (CT) und hochauflösende Ultraschall-Diagnostik kann ein Abszess sofort gesehen werden und es wird seine Größe bestimmt, der zur „leitliniengerechten“ Behandlung führt.

Kleine Abszesse (bis 1 cm, „Mikroabszess“) heilen meist ohne operative Behandlung, größere Abszesse müssen streng beobachtet werden (Stationäre Behandlung, kurzfristige Sonografie-Kontrollen, Antibiotika, Nahrungskarenz, Infusionen).

Bei Bauchfellentzündung ist rasches Handeln erforderlich

Bei freiem Durchbruch eines Abszesses spricht man von „freier Perforation“, der Betroffene ist tatsächlich in großer Gefahr und es besteht die Pflicht zur sofortigen Operation mit den dann vom Befund abhängigen Maßnahmen, die schwerwiegend sein können.

Gelingt tatsächlich eine konservative Behandlung der größeren Abszesse, sollte dann im „freien Intervall“ eine routinemäßig ausgeführt Teildickdarm-Entfernung des betroffenen Abschnittes erfolgen.

Wie soll das Rezidiv der nicht abszedierenden chronischen Divertikulitis behandelt werden?

Früher stellte man die Indikation zur Operation noch nach dem „dritten Schub“.

Heute spielt die Anzahl der Schübe keine Rolle mehr. Die Indikation zur Operation sollte daher individuell unter strenger Nutzen-Risiko-Abwägung bei konservativ nicht erfolgreich behandelbaren Beschwerden gestellt werden.

Minimal invasive Eingriffe als Routine-Operation

Eine große Rolle spielen heute die minimal invasiven Operationstechniken, die vor 25 Jahren in die Praxis eingeführt wurden.

Früher war für die Darmoperation ein großer Schnitt erforderlich, bei höherem Körpergewicht und kräftiger Bauchdecke heilten die Wunden wegen der bakteriellen Besiedelung des Darmes oft schlecht und die Bauchdeckenstabilität war durch nachfolgend entstehende Narbenbrüche stark vermindert, die Heilung bedurfte oft Monate.

Minimal invasive Techniken haben erreicht, dass die genannten Folgen bei Intervall-Operationen praktisch nicht mehr auftreten.

Schnelles Handeln vermeidet Komplikationen, bei linksseitigem Bauchschmerz heißt es besonders wachsam zu sein!

 

Häufige Ursachen für akuten Bauchschmerz

akute „Blinddarmentzündung“

Gallenkolik

akute Darmentzündung durch geplatztes Divertikel (Divertikulitis)

Bauchspeicheldrüsenentzündung

Magendurchbruch

Darmentzündungen (Morbus Crohn, Colitis ulzerosa)

Nierenkolik

Frauenärztliche Erkrankungen wie Eierstockentzündung

Herzinfarkt

Geplatzte Hauptschlagader (Aortenaneurysma)

Verschluss eines Darmgefässes (Mesenterialgefäßverschluß)

Einklemmungen des Darmes (Briden-Darmverschluss)

 

Über den Autor

Dr. med. Klaus-Dieter Schiebold
Dr. med. Klaus-Dieter Schiebold

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