Adipositas
Verhaltenstherapeutischer Ansatz zur Änderung
von Ess-Gewohnheiten bei ADIPOSITAS
Zweiter Teil
Im ersten Teil hatte ich versucht das Wissen über unsere Abwehrmechanismen, die uns alle an der Änderung von Verhaltensweisen hindern, zu vermitteln.
In dem heutigen Artikel, möchte ich gerne Anregungen geben, die helfen sollen,
sich der Problematik gedanklich zu nähern und die Abwehrmechanismen zu umgehen oder auszutricksen.
Zunächst aber noch eine Bemerkung zu der „Adipositas“, der „Fettsucht“.
Ja, sie ist eine Suchterkrankung. Sie ist also vergleichbar mit der Nikotinsucht, der Alkoholsucht, der Spielsucht und vielen anderen mehr. Bei der Adipositas gibt es allerdings eine wesentliche Besonderheit, die sie von allen anderen Suchterkrankungen unterscheidet.
Jeder Mensch muss essen. Er muss also jeden Tag sein krankmachendes Suchtmittel zu sich nehmen. Im Gegensatz dazu braucht kein Mensch Alkohol oder Zigaretten zum Leben.
Deswegen ist es auch gar nicht so einfach das „krankhafte Essverhalten“ von dem „gesunden, normalen Essverhalten“ zu unterscheiden. Gerade für jemanden, der seit Jahren unter Adipositas leidet, ist es besonders schwierig, da sich die Grenzen längst verwischt haben.
Ich werde jetzt zur persönlichen Anrede übergehen, um sie gezielter in die Denkweise einzuführen:
Tagebuch:
Schreiben Sie zunächst auf, was, wieviel und wann Sie essen. Tun Sie dies jeden Tag.
Schauen Sie sich jeden Abend ihr Tagebuch an.
Denken sie über die Auslöser (Reize) ihrer Ess-Verhaltensweise nach und schreiben sie sie auf.
Beginnen Sie mit der Frage – „Wann tritt das Essverhalten auf?“
Gibt es Frustessen oder Stressessen?
Gibt es Essen im Zusammenhang mit bestimmten Situationen z.B. Chips vor dem Fernsehapparat, Süßes vor dem Zubettgehen, nach der Arbeit schnell ein Burger, ständig Softdrinks....
Gehen Sie Ihren gesamten Tagesablauf systematisch durch und prüfen Sie wiederkehrende Situationen in denen Sie „immer“ und/oder „gerne“ essen und was sie essen.
Beschreiben sie möglichst genau den Ablauf der Verhaltensweise und benennen Sie Ihre Sünde.
Belohnung:
Machen Sie sich klar, dass Essen für Sie eine Belohnung ist, die Ihnen gut tut, aber nicht gut für Sie ist. Überlegen Sie sich, was Sie sich anstelle des Essens und Trinkens in den entsprechenden Situationen, die Sie sich erarbeitet haben, Gutes gönnen können.
Grundsätzlich funktioniert jede Verhaltensänderung nur dann, wenn sie positiv mit einer Belohnung besetzt wird. Andernfalls hat Ihr Körper einfach keinen Grund bei der Änderung mitzumachen.
Ich „muss“ - macht niemand, ich „will“ - ist schon besser, ich „werde“ mit einer guten Begründung und mit der entsprechenden Belohnung - hat eine Chance.
Trinken Sie zum Beispiel einen besonders guten Kaffee oder Tee aus einer besonders schönen Tasse, die Sie extra dafür gekauft haben, statt nach der Arbeit etwas zu essen. Nehmen Sie sich dafür Zeit.
Machen Sie sich einen Plan
Wenn Sie Ihre Analyse abgeschlossen haben und alles aufgeschrieben haben, damit sie es bei Bedarf nachlesen können – unser Gehirn neigt leider zum Vergessen unliebsamer Dinge – schreiben Sie sich einen genauen Plan auf, wie Sie das Problem angehen. Dazu gehören Esszeiten, die Art der Mahlzeit und des Trinkens, Zeiten für Sport etc.
Setzen Sie sich gut erreichbare, kleine Ziele, die nichts mit Ihrem Körpergewicht zu tun haben. Seien Sie stolz darauf, diese Ziele Schritt für Schritt zu erreichen und gönnen Sie sich dann etwas Gutes am Ende jeder Woche, wenn Sie den Plan befolgen konnten. Das darf sogar ein Stück Schokolade oder etwas ähnliches sein.
Selbst-Coaching
Zum Selbst-Coaching gehört, sich jeden Morgen vorzunehmen, dass Sie an diesem Tag Ihren Plan einhalten werden. Dieser morgendliche Beginn mit höchstens 3-4 immer wiederkehrenden Vorsätzen, die Sie sich beispielsweise bei der Morgentoilette laut vorsagen und auf dem Weg zur Arbeit wiederholen, ist wichtig zur Gesamteinstimmung und Fokussierung auf Ihr Problem.
…noch ein paar Tricks…
Kaufen Sie kleine Teller und nehmen Sie Ihre Mahlzeit immer von diesen kleinen Tellern ein. Da wir in unserer Kindheit gelernt haben „immer den Teller leer zu essen“ ist der große Teller ein ernstes Problem.
Essen Sie immer am gleichen Platz und zur gleichen Zeit.
Essen Sie nicht mit Heißhunger. Nehmen Sie eventuell Zwischenmalzeiten ein, damit Sie nicht heißhungrig werden.
Essen Sie nie vor dem Fernseher.
Essen Sie nie, wenn Sie gleichzeitig etwas anderes tun.
Essen Sie immer langsam und versuchen Sie jeden Bissen zu genießen.
Achten Sie auf den Geschmack, statt auf die Menge.
Was tun, wenn das Verlangen zuschlägt?
Sie werden immer wieder in Situationen kommen, in denen Sie Appetit und Heißhunger auf bestimmtes Essen oder Trinken bekommen. Das sind ganz schlimme Situationen, da ihre Bekämpfung wirklich anstrengend ist und ganz häufig mit einem Scheitern verbunden ist.
Versuchen Sie unbedingt den Auslösereiz zu vermieden. Dieser könnte beispielsweise der McDonalds auf dem Heimweg von der Arbeit sein. Nehmen Sie einen anderen Heimweg von der Arbeit um ihn zu umgehen.
Wenn das Verlangen kommt, versuchen sie es mit einer Ablenkung. Führen Sie zum Beispiel ein Telefonat und verlassen Sie Auslösesituation.
Sie können auch zunächst einmal viel Wasser trinken, um die Sucht „...sofort etwas bestimmtes zu sich nehmen zu MÜSSEN...“ zu besänftigen und essen Sie danach unbedingt etwas anderes.
Der Rückfall in die alten Gewohnheiten
Da das Essverhalten, auch aufgrund des auftretenden Hungergefühls, sich nur sehr schwer verändern lässt, werden immer wieder Rückschläge auftreten. Tritt ein solcher Rückfall auf, sollen Sie sich keine Schuldgefühle machen und aufgeben. Sehen Sie den Rückfall als normal an (was er wirklich ist) und begreifen Sie ihn als eine Lernmöglichkeit. Die Ursache sollte von Ihnen in Ruhe analysiert werden, um Vermeidungsmöglichkeiten für zukünftige kritische Situationen daraus abzuleiten. Schreiben Sie etwas dazu in Ihr Tagebuch. Auf diese Weise kommen Sie wieder in die notwendige positive Stimmung, um mit Motivation weiter an Ihrem Programm zu arbeiten.
Adipositassprechstunde der AVO Lahn-Dill-Kliniken
In der Klinik für Allgemeine, Viscerale und Onkologische Chirurgie der Lahn-Dill-Kliniken in Wetzlar kann Ihnen in der Adipositassprechstunde geholfen werden. Sie werden in das Multimodale Therapiekonzept eingeführt, welches als einen zentralen Pfeiler die nachhaltige Verhaltensänderung als Ziel hat.
Wenn es gelingt, die Sucht nach der Belohnung „Essen“ durch die Sucht nach der Belohnung „Bewegung“ zu ersetzen, haben Sie eine Chance auch dauerhaft viel Gewicht zu reduzieren.
Über den Autor
Ehemaliger Leitender Oberarzt Allgemeine, Viszerale und Onkologische Chirurgie Klinikum Wetzlar
Ärztlicher Leiter des Adipositaszentrum