Alkohol –
eine große Gefahr in Schwangerschaft und Stillzeit

Embryopathie häufigste Ursache angeborener Missbildungen

Die Alltagsdroge Alkohol bedroht nicht nur die Gesundheit der Erwachsenen, sondern in zunehmendem Maße bereits die unserem besonderen Schutz befohlenen Kinder - vom Ungeborenen bis zum heranwachsenden Jugendlichen.

Während einer Schwangerschaft können verschiedene exogene Schadensursachen wie Infekte (Röteln, Masern, Toxoplasmose, HIV, wahrscheinlich auch Covid19), Medikamente (Thalidomid-Contergan, Zytostatika, Antiepileptika), Stoffwechselkrankheiten der Mutter (Diabetes, Phenylketonurie), Ionisierende Strahlen (Röntgendiagnostik und -therapie) und zahlreiche Drogensubstanzen (Alkohol, Nikotin, Heroin) das Ungeborene für ihr Leben lang schwer schädigen.

Obwohl die wohltuend entspannende bis tödliche Wirkung des Rauschmittels Alkohol der Menschheit schon seit grauen Vorzeiten bekannt ist, wurde das komplexe Krankheitsbild einer Alkoholembryopathie erstmals 1968 in Frankreich wissenschaftlich beschrieben. Alkohol schädigt das Ungeborene im Mutterleib und nach der Geburt beim Stillen. Das Stoffwechselgift gelangt direkt vom Mutterkuchen (Plazenta) über die Nabelschnur und später von der Muttermilch in den noch alters- und entwicklungsabhängig unreifen Organismus des Kindes. Über 40% der Mütter, die chronisch alkoholkrank sind, bringen alkoholgeschädigte Kinder zur Welt. Welche Rolle genetische Faktoren oder Spermiendefekte des Vaters eine Rolle spielen, ist ungeklärt.

Von Alkoholembryopathie spricht man bei einer Schädigung während der ersten drei Monate im Uterus danach bis zur Geburt von Alkoholfetopathie. Der aktuell wissenschaftliche Fachbegriff ist Fetale Alkohol Spektrumstörung FASD (D= engl. Disorder). Das Syndrom wird nach Organschäden in drei Schweregrade differenziert.

Die Häufigkeit Alkohol bedingter Missbildungen betrifft in unseren Kulturbreiten 1 Neugeborenes auf 250 Geburten, das sind in Deutschland jährlich bis zu 10 000 geschädigte Kinder. Alkohol ist damit die häufigste Ursache aller angeborenen Erkrankungen mit meist lebenslanger körperlicher sowie oft geistig seelischer Behinderung.

Für jede Mutter in Schwangerschaft und Stillzeit bedeutet nur der totale Verzicht auf Alkohol auch immer 100 % Gesundheitsvorsorge. Schweregrad und Art der teratogenen Fruchtschädigung richtet sich nach Art und Ausmaß sowie Zeitpunkt und Dauer der Alkoholexposition.

Was sind die häufigsten Befunde der Fetalen Alkohol Spektrumstörung?

In den ersten beiden Schwangerschaftswochen (Blastogenese)- selbst bis gegen Ende der Schwangerschaft sind Fehlgeburten insbesondere nach exzessivem Alkoholgenuss bekannt. In der Embryonalphase, der für exogene Noxen sensibelsten Zeit der ersten 3 Monate werden alle Körperorgane angelegt. So kann es zu Wachstums- und Ausreifungsstörungen kommen: Mikrozephalie und Mikroenzephalie (kleiner Kopf und Gehirn), Hydrozephalus (Wasserkopf), Augen- und Ohrdefekte mit Seh- und Hörstörungen. Im Gesicht multiple Dysmorphien wie niedrige Stirn, auffälliger Lidachsstellung, enger Lidspalte, Lidhängen (Ptosis), stumpiger Nase, Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, wenig Lippenrot, schmale Oberlippe, breiter Nasen-Mundabstand (Philtrum), großer Mund, fliehendes Kinn. Innere Organe sind betroffen als Herzfehler (Septumdefekte), im Urogenitalsytem Hodenhochstand, fehlender Uterus oder Hernien. Im Bereich der Extremitäten zeigen Hände auffällige Handfurchen, Fingerfehlstellungen oder Hüftluxation, häufig allgemeine Muskelschwäche (Hypotonie). Bei schwerem Verlauf kommt es fast immer zur Verzögerung des Längen- und Gewichtswachstums mit Minderwuchs und niedrigem Geburtsgewicht, in der Neugeborenenzeit zu Trink- und Schlafstörungen.

In der späteren kindlichen Entwicklung kann sich die körperliche Symptomatik um das Risiko einer defizitären Ausdifferenzierung verschiedenster Gehirnfunktionen durch motorische und kognitive sowie emotionale Behinderung - nicht selten verbunden mit Muskelschwäche, Hyperexzitabilität (Übererregbarkeit), Koordinations -störungen, Lern- und Aufmerksamkeitsschwierigkeiten, emotionale Instabilität mit psychosozialen Problemen als „zerebrales Defektsyndrom“ erweitern.

Je nach Schweregrad bis zum klinischen „Vollbild“ stellen Pädiater, Gynäkologen und Hebammen oft schon direkt nach der Geburt die Verdachtsdiagnose auf ein alkoholbedingtes Missbildungssyndrom. Die gezielte Anamnese zum mütterlichen Alkoholkonsum vor und während der Schwangerschaft in ihrem sozialen Umfeld kann den Verdacht erhärten. Das schillernd vielfältige Erscheinungsbild des fetalen Alkoholsyndroms sollte und darf Eltern jedoch nicht beunruhigen, wenn sie bei ihrem Kind „nur“ einzelne Fehlbildungen oder spätere Entwicklungsauffälligkeiten beobachten. Nicht ohne Grund hat man das Syndrom = mehrere typische Symptome als „Spektrum-störung“ definiert.

Diagnose: Es gibt bisher keine gezielte Laboruntersuchung zum Nachweis einer FASD. Da in der Pädiatrie sehr viele Krankheitsbilder bekannt sind, die durch Chromosomendefekte ähnliche klinische Symptombilder zeigen wie u.a. das Down – oder Turnersyndrom wird eine Gen - Chromosomenanalyse lediglich als Differentialdiagnostik hilfreich sein. Gezielte Untersuchungen auf schwere oder seltene Stoffwechseldefekte sind bei entsprechender Indikation zielführend.

Welche Therapiemaßnahmen gibt es?

Eine ausführliche, ehrliche und einfühlsame Aufklärung und Beratung der Eltern über Ursache, alters- und entwicklungsdifferenzierte Behandlungsmöglichkeiten und meist unverzichtbare Therapieangebote ist die Voraussetzung zu einer vertrauensvollen, nicht selten lebenslang erforderlichen Kooperation mit vielen Helfern. Ein früher - gar forscher - Kommentar zur möglichen Entwicklung des Neugeborenen oder eine Prognose für kommende Jahre ist meist weder möglich noch gegenüber den Eltern zu verantworten. Die frühzeitige Einbindung von ärztlichen Spezialisten z.B. Kinderchirurg oder Kieferorthopäde, Augen- und HNO Fachärzten bei organischen Fehlbildungen, die möglichst schnell korrigiert werden können, ist selbstverständlich. Unglückliche und verunsicherte bis verzweifelte Eltern finden kompetente Hilfe in der Frühförderung der regionalen Lebenshilfeeinrichtungen mit ihren vielfältigen Fördermöglichkeiten durch effektive frühzeitige Behandlung: Gymnastik, Physiotherapie, später gezielte Betreuung und Therapie in KITA und Hort sowie – falls erforderlich - durch eine Spezialbeschulung. Ergänzend stehen Selbsthilfegruppen und kompetente staatliche Gesundheits- Jugend und Sozialämter zur Unterstützung bereit. Das Ziel aller Bemühungen ist es, für das betroffene Kind einen bestmöglichen Defizitausgleich seiner Behinderungen zu erreichen, um Integration und Teilhabe am sozialen Leben genießen zu können.

90 % der Schwangeren wissen um die fatale Wirkung von Alkohol für ihr Ungeborenes! Trotzdem brauchen sie positive Unterstützung bei ihrem täglichen Verzicht in unserer alkoholaffinen Gesellschaft durch Ehepartner, Familie, Freunde und Kollegen am Arbeitsplatz – in den aktuell „coronabedingt“ schwierigen sozialen Zeiten in besonderem Maße.

Hebammen sind jederzeit aktive Ansprechpartner in ihren Geburtsvorbereitungs- und nachsorgegruppen. Gynäkologen, Pädiater und Allgemeinärzte sollten Infomaterial zu Risiken während der Schwangerschaft in ihren Praxen auslegen. 10 % der Schwangeren haben leider auch keinen ausreichenden Impfschutz z.B. gegen Röteln, Tetanus, Masern oder Grippe – für Covid19 fehlen uns noch Daten für eine Zulassung in der Pädiatrie.

Neben den staatlichen Hilfsangeboten stehen, kirchliche und private Organisationen Hilfe suchenden Eltern zu persönlicher Beratung und Hilfe im Kampf gegen die eigene Alkoholsucht zur Verfügung.

Hier wäre die Möglichkeit das Bunt Bild mit dem 8-jährigen Mädchen ein zu bauen

Alkohol – auch ein großes Thema bei Kindern und Jugendlichen.

Er gefährdet seit vielen Jahren in beängstigendem Ausmaß und bereits immer früher einsetzender Pubertät unsere Heranwachsenden, ihre Familien und unsere soziale Gemeinschaft. Der Konsum an harten Getränken aber auch Wein und Bier sowie den allseits beliebten Alcopops nimmt stetig zu. Deutschland ist beim Thema Suchtprävention ein Entwicklungsland. Wir sind der einzige europäischer Staat mit öffentlich freiem Alkoholverkauf ab 16 Jahren – statt 18 oder ein jugendgesetzlich geregeltes Alkoholverbot oder ein generelles öffentliches Werbeverbot. Vielfach wird der zelebrierte Alkoholkonsum in der Familie mit „Kinderbier“ und beim „Anstoßen“ genauso verharmlost oder tabuisiert, wie die Verführung Jugendlicher zu einem coolen, sorgenfreien oder auch persönlichen Sorgen scheinbar verdrängenden freizügigen bis unkontrolliertem Alkoholkonsum bis hin zum gemeinsamen „Komasaufen“. Eine Pressemitteilung des statistischen Bundesamtes registrierte bereits im Jahr 2017 14.900 alkoholbedingte, stationäre Krankenhauseinweisungen von Kindern und Jugendlichen – mit steigender Tendenz.

Die Europäische Krebsliga sieht Deutschland im Kampf um Alkohol und Nikotinmissbrauch auf dem letzten Platz . . .

Unsere Regierung setzt auf „Information und verantwortungsvolles Trinken . . .“

Es gibt für alle verantwortlichen Bürger noch viel zu tun!

Wo erhalten Sie weitere Informationen und Hilfe:

BZgA.de (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung)

kinderaerzte-im-netz.de Wikipedia.de

Regionale Gesundheits- Jugend- und Sozialämter

Alkoholikerberatung: u.a. „Anonyme Alkoholiker“, „Kreuzbund“, „Guttempler“ u.a.

Die verwendeten Kinderfotos sind aus „Pädiatrischer Farbatlas“ Bde 25 und 50 Jahre der Mediengruppe Oberfranken Fachverlage & CoKG mit freundlicher Genehmigung entnommen.

Über den Autor

Dr. med. Josef Geisz
Dr. med. Josef Geisz
Kinder-Jugendarzt/Allergologie, Wetzlar

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