"Kreidezähne"

Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH)

Die Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (im Volksmund auch „Kreidezähne“ genannt), beschäftigt uns Zahnärzte seit einigen Jahren in zunehmendem Maße. Aber was genau ist das eigentlich, woher kommt es und welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?

Bei der MIH handelt es sich um eine Erkrankung der Zahnhartsubstanz, bei der es bereits vor dem Durchbruch der betroffenen Zähne in die Mundhöhle zu gelblich-bräunlichen bzw. weißlich-cremefarbenen Flecken auf einem oder mehreren ersten bleibenden Backenzähnen (Molaren) kommt. Die bleibenden Schneidezähne (Inzisiven) sind seltener und meist weniger stark betroffen. Da sich diese Schmelzbildungsstörung primär bei Molaren und Inzisiven zeigt, hat das Krankheitsbild den Namen Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation, abgekürzt MIH, erhalten. Im Kindes- und Jugendalter ist sie neben Karies die zweithäufigste Ursache für behandlungsbedürftige Schäden an den Zähnen. Laut einer aktuellen Studie wurden im Jahr 2019 in Deutschland rund 230.000 der Sechs- bis Neunjährigen aufgrund von MIH behandelt. Damit sind ca. acht Prozent der Kinder dieser Altersgruppe davon betroffen. Um die Diagnose MIH zu stellen, reicht ein Blick in den Mund. Eine frühzeitige Feststellung – im Alter von 6-8 Jahren, also wenn die Front- und Backenzähne vollständig durchgebrochen sind ist sinnvoll, damit frühzeitig Maßnahmen ergriffen werden können, die Folgeschäden von den betroffenen Zähnen abwenden.

Die erkrankten Zähne weisen nicht nur charakteristische Farbveränderungen auf, sondern auch eine schlechtere Schmelzqualität als gesunde Zähne. Der Oberkiefer ist dabei häufiger betroffen als der Unterkiefer. Eine Beteiligung der Schneidezähne wird in 40 % der Fälle beschrieben. An den Zähnen kommt es zu erhöhter Empfindlichkeit (Temperatur und Berührung) was bei einem sowieso schon höheren Kariesrisiko zu erschwerter Mundhygiene führen kann. Häufig müssen daher frühzeitige zahnärztliche Maßnahmen durchgeführt werden. Dabei kommt es auf die Ausprägung der Erkrankung an. Bei nur leichten Hypomineralisationen sind als präventive Maßnahmen neben fluoridhaltiger Zahnpasta (> 1.000 ppm F-) Fissurenversiegelungen und regelmäßige Fluoridapplikationen mit hoch dosierten Lacken alle drei Monate indiziert, möglicherweise in Kombination mit der täglichen Verwendung kariesprotektiver Mundspüllösungen. Sind bereits deutliche Defekte an der Zahnsubstanz erkennbar, muss zu Füllungen oder sogar Teil- und Vollkronen gegriffen werden. In sehr schlimmen Fällen, in denen eine sehr schlechte Prognose in Bezug auf die Langzeiterhaltungswürdigkeit vorliegt, kann über eine Extraktion von betroffenen Backenzähnen und einen anschließenden kieferorthopädischen Lückenschluss nachgedacht werden. Bei der Indikationsstellung und zeitlichen Planung einer Extraktion sollten Zahnarzt und Kieferorthopäde eng interdisziplinär kooperieren, damit für den Patienten die bestmögliche Behandlungsstrategie bei möglichst kurzer Behandlungszeit erreicht werden kann. Für den Erfolg einer kieferorthopädischen Extraktionstherapie bei Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation ist vor allem die Wahl des korrekten Zeitpunktes (circa zwischen 8 und 10 Jahren) essenziell, sodass eine kieferorthopädische Untersuchung möglichst frühzeitig erfolgen sollte. Durch die Extraktion der ersten Molaren kann das Platzangebot für den Durchbruch der zweiten Molaren und der Weisheitszähne deutlich verbessert werden und so dann trotz des Zahnverlustes wieder eine komplette Zahnreihe erreicht werden. Weitere prothetische Maßnahmen wie Brücken oder Implantate entfallen somit.

Die MIH im Bereich der Frontzähne stellt, insbesondere aufgrund des geringeren Ausprägungsgrades vor allem ein ästhetisches Problem dar. Daher besteht hier neben den genannten prophylaktischen Maßnahmen in der Regel kein Behandlungsbedarf. Ist eine kosmetische Verbesserung der Situation erwünscht, kann diese entweder konservierend mit Kunststoffen oder prothetisch mittels einer dünnen, aufgeklebten Keramikverblendschale (Veneer) erfolgen.

Wodurch eine MIH entsteht ist unklar. Vermutet wird ein Zusammentreffen mehrerer Faktoren, die während des Zeitraums der Zahnentwicklung der befallenen Zähne (8. Schwangerschaftsmonat bis etwa zum 4. Lebensjahr) einwirken. Hierbei werden insbesondere chronische Erkrankungen des Kindes (vor allem Atemwegserkrankungen), Medikamenteneinnahmen (vor allem Antibiotika) sowie Umwelttoxine (vor allem Kunststoffbestandteile, wie Bisphenol A) als mögliche Ursachen diskutiert. Eine erbliche Komponente erscheint eher unwahrscheinlich.

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Dr. Lisa Meyding und Dr. Moritz Meyding
Dr. Lisa Meyding und Dr. Moritz Meyding

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Aktuelle Ausgabe04.01.