Die Passionsblume

Wozu sie gebraucht wird, wie sie wirkt und wie sie zu ihrem Namen kam.

In diesem Jahr ziert eine Passionsblume das Titelbild des Pflanzenkalenders, der in meiner Apotheke alljährlich verteilt wird. Bei einer botanischen Exkursion nach Madeira konnte ich sie fotografieren, Passiflora mollissima (KUNTH) L. H. BAILEY, eine wirkliche Schönheit. Die Früchte dieser und anderer Arten kennen Sie als Maracujas. Wir essen als Maracujas Früchte von Passiflora edulis SIMS (edulis = eßbar, von lat. edere, essen); es gibt sie in vielen verschiedenen Formen mit unterschiedlichem Geschmack.

Zur Pflanzenfamilie der Passionsblumengewächse, Passifloraceae, gehören botanisch die Gattungen Passiflora, Turnera und Malesherbia. Allein die Gattung Passiflora, Passionsblumen, umfasst über 500 verschiedene Arten, die ganz überwiegend im südlichen Teil der USA, in Mittelamerika und dem nördlichen Südamerika beheimatet sind; einige Arten auch im tropischen Indien, in Madagaskar und Australien. In Europa und Afrika ist Passiflora nicht heimisch, jedoch kommt die schon im 17. Jahrhundert nach Europa eingeführte Blaue Passionsblume, Passiflora caerulea L., in Süditalien und Griechenland verwildert vor. Viele Passionsblumen bilden sehr prächtige, auffällige Blüten (mit bis zu 15 cm Durchmesser) aus und werden daher gerne als Zierpflanzen kultiviert. Als Arzneipflanze wird lediglich eine Art verwendet, Passiflora incarnata L., die Fleischfarbene Passionsblume, eine ausdauernde Kletterpflanze mit bis zu 10 m langen Ranken.

Der lateinische Name Passiflora leitet sich von den Worten „passio“, Leiden, Martyrium, und „flos“, Blume, ab und wurde der Gattung wohl von christlichen Missionaren in Südamerika gegeben, da sie in Teilen der Blüte die Werkzeuge der Kreuzigung Jesu dargestellt sahen. Giovanni Baptista Ferrari, ein wissenschaftlich hochgebildeter Jesuit, beschrieb in seinem 1632 veröffentlichten Buch „De Florum Cultura“ die drei Narben der Blüte als Nägel, sah im Fadenkranz die Dornenkrone, erkannte im gestielten Fruchtknoten den Kelch und in den fünf Staubbeuteln die Wundmale Christi. Die spitz zulaufenden Laubblätter deutete er als Lanze und die Ranken der schlingenden Pflanze als Geißeln. Wenn Sie die Blütenfotos im Detail betrachten, können sie dies nachvollziehen. So kam die Passionsblume zu ihrem Namen. Und eine Betrachtung dieser Arzneipflanze passt somit gut in diese (vor-)österliche Zeit.

 

In der nord- und südamerikanischen Erfahrungsheilkunde wurde Passionsblumenkraut bei Schlaflosigkeit, nervöser Überreizung, melancholischen und hysterischen Zustände verwendet. Indianerstämme in Georgia und Louisiana verwendeten die Pflanze äußerlich zur Wundbehandlung, innerlich zur Blutbildung, bei Lebererkrankungen und zum Abstillen. Eine erste größere Arbeit über die sedative Wirkung der Passionsblume publizierte Stapleton 1904 im Detroit Medical Journal. In den deutschen Arzneischatz gelangte sie durch die Firma Madaus in den 1930er Jahren als Sedativum und Antispasmodikum. Heute ist Passionsblumenkraut, Herba Passiflorae, in den Arzneibüchern Deutschlands, Frankreichs, Italiens und der Schweiz offizinell und wird mit der Indikation „nervöse Unruhezustände“ verwendet, häufig in Kombination mit Baldrian, Hopfen, Melisse und Lavendel. Das getrocknete Kraut wird durch Anbau in USA, Indien und Italien gewonnen.

Die Suche nach dem wirksamen Prinzip der Passionsblume dauert bis heute an. Eingehende Untersuchungen der Inhaltsstoffe erfolgten in den 1990er Jahren. Berichte über Benzoflavone als Inhaltsstoffe konnten nicht bestätigt werden. Der zuvor behauptete Gehalt an Harmanalkaloiden als beruhigend wirkende Stoffe war ebenfalls nicht belegbar. Solche einfachen, von Tryptamin abgeleiteten β-Carbolinalkaloide konnten nicht oder nur in Spuren (0,1 ppm) nachgewiesen werden. Auch Cumarine und ätherisches Öl (< 0,1 %) kommen nur in sehr geringen Mengen vor. Dominierend ist die Flavonoidfraktion mit einem Gehalt von 0,5 bis 3 %, insbesondere 6-C-Glykosylflavone wie Isovitexin- oder Isoorientin-2“-glucosid.

 

In vitro konnten Wirkungen von Passionsblumenextrakt am GABA-Rezeptor belegt werden. Der GABA-A-Rezeptor ist wesentlich für die Behandlung von Angst- und Unruhezuständen. Sowohl Alkohol als auch Benzodiazepine wie Valium® greifen an diesem Rezeptor an, offensichtlich jedoch an einer anderen Untereinheit als Passionsblumenextrakt, da dieser im Unterschied zu Alkohol und Valium® nicht zu Gewöhnungseffekten führt. Am GABA-B-Rezeptor zeigte Passifloraextrakt eine antagonistische Wirkung, verursachte also einen längeren Verbleib von GABA im synaptischen Spalt und damit eine Verlängerung des angstlösenden Effektes. Klinische Studien am Menschen belegten ebenfalls eine angst- und spannungslösende Wirkung, ohne aber die motorischen Fähigkeiten zu beeinflussen. So wurde ohne sedierenden Effekt eine Verbesserung der Schlafqualität erreicht. Fertigarzneimittel mit einem standardisierten Gehalt an Passionsblumenextrakt (400-500 mg / Tablette) sind damit gute Medikamente zur Behandlung nervöser Zustände und innerer Unruhe, ohne müde oder schläfrig zu machen. Dass wir - allen modernen Untersuchungsmethoden zum Trotz – noch nicht genau verstehen, durch welche chemischen Substanzen diese Wirkung zustande kommt, muss uns zunächst nicht stören. Bei bestimmungsgemäßem Gebrauch sind keine ernsthaften Neben- oder Wechselwirkungen beschrieben.

Über den Autor

Dr. Karl-Heinrich Horz
Dr. Karl-Heinrich Horz
Apotheker

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