Adipositas und Diabetes Mellitus 2
Die Chirurgie der Adipositas hat in den letzten Jahren bezüglich der Indikationsstellung eine wichtige Wandlung erfahren. In Fachkreisen spricht man deswegen auch nicht mehr von Adipositas-Chirurgie oder Bariatrischer Chirurgie, sondern von Metabolischer Chirurgie.
Wie bereits an anderer Stelle beschrieben, war das ursprüngliche Ziel der Adipositaschirurgie, bei adipösen Patienten eine deutliche Gewichtsreduktion zu erreichen. Von Anfang an, standen diese chirurgischen Maßnahmen in der Kritik, da man die Adipositas nicht als eine Krankheit ansah, sondern als einen
„selbst verschuldeten Zustand“. Diesen Zustand könne man doch nicht mit einer „Operation an einem gesunden Organ“ behandeln wollen. Ein zunächst einleuchtendes Argument, wie man meinen könnte.
Häufig wurden die bariatrischen Operationen sogar in die Ecke der so genannten „Life-Style-Operationen“ gestellt. Dies bedeutete, dass der operativen Maßnahme nur ein „das Aussehen veränderndes“ Ziel zugestanden wurde.
Die durch viele Studien eindeutig belegte Tatsache, dass die Adipositas eine chronische Erkrankung ist, die andere Erkrankungen mit sich bringt und somit zu einem Risikofaktor für das Leben einschränkende und sogar verkürzende Ereignisse wird, wurde einfach nicht gesehen.
Dass sich durch die wirksame Behandlung eines sehr adipösen Menschen nicht nur sein Aussehen ändert sondern auch seine Kniegelenkbeschwerden oder seine Kurzatmigkeit, wird jedem einleuchten. Auch jemand, der von einer solchen Operation gar nichts hält, kann nachvollziehen, dass die Operation in jedem Fall sehr gute Effekte auf die Gesundheit eines Menschen hat und nicht nur eine Gewichtsabnahme und ein „besseres Aussehen“ bewirkt. Die Adipositaschirurgie ist heute die absolut wirksamste Maßnahme eine relevante Gewichtsreduktion zu erreichen. Dabei sprechen wir nicht von einer Gewichtsreduktion bei einem etwa 100 kg wiegenden Menschen auf 90 kg, sondern von einer Gewichtsreduktion von 80-90 kg bei einem Menschen, der vorher 180 kg gewogen hat.
Das ursprüngliche Ziel der Adipositaschirurgie hat sich aber durch die neuen Erkenntnisse noch weiter verschoben oder besser erweitert, und zwar auf die gezielte Behandlung einer ganz bestimmten Stoffwechselerkrankung. Aus diesem Grund hat sich die Bezeichnung der Operationen auch in „Metabolische Chirurgie“ geändert.
Diese Erkrankung ist die Zuckerkrankheit, genauer - der Diabetes Mellitus Typ 2 - der als eine der wichtigsten Volkskrankheiten gilt.
Als Vorstufe der Erkrankung gilt das so genannte „metabolische Syndrom“. Hierbei handelt es sich um das gleichzeitige Auftreten mehrerer Symptome, wie Adipositas, Hypertonie, Fettstoffwechselstörung, Fettleber, Glukoseintoleranz und Insulinresistenz. Sehr viele Patienten mit Adipositas leiden unter diesen Erkrankungen, oft, ohne dass sie es wissen.
Das Schlüssel-Enzym für die Zuckerverwertung (Zucker ist unser wichtigster Energieträger) im Körper ist das Insulin. Es wird von der Bauchspeicheldrüse ausgeschüttet und senkt den Blutzuckerspiegel, indem es den durch die Nahrung aufgenommenen Zucker in die Körperzellen bringt. In der Muskulatur, im Gehirn und in anderen Organen wird der Zucker als Energieträger verbraucht, in der Fettzelle wird er nach biochemischem Umbau gespeichert.
Im Rahmen der Adipositas entsteht eine Insulinresistenz der Körperzellen, die bewirkt, dass mehr Insulin benötigt wird, um diese Prozesse am Laufen zu halten. Damit beginnt ein Teufelskreis. Das vermehrt ausgeschüttete Insulin bewirkt Hunger (Gib mir Zucker!!!) und vermehrte Einlagerung des umgebauten Zuckers ins Fettgewebe. Schließlich erschöpft sich die Bauchspeicheldrüse und produziert zu wenig Insulin. Zu diesem Zeitpunkt beginnt die Erkrankung des Diabetes Mellitus Typ 2.
Viele der Adipositaspatienten, die an Diabetes erkrankt sind, müssen teilweise horrende Dosen an Insulin spritzen, da die Bauchspeicheldrüse den hohen Bedarf, den der Körper aufgrund der Insulinresistenz hat, nicht decken kann.
Nach bariatrischen Operationen ist bereits nach wenigen Tagen eine massive Reduktion der Insulindosis zu bemerken. Dieser Effekt setzt lange vor einer Gewichtsreduktion ein. Es ist vermutlich der erste Effekt der Operation.
Inzwischen gibt es eine große Zahl von Studien, die sich mit diesem interessanten Phänomen beschäftigt haben. In allen diesen Studien ist die operative Therapie der konventionellen Behandlung des Diabetes Mellitus, sei es mit oralen Antidiabetika oder mit Insulin, deutlich überlegen. Die Verbesserung des Diabetes Mellitus ist in folgenden Fällen besonders gut:
Dauer der Erkrankung weniger als 5 Jahre
Der Patient hat bisher noch kein Insulin benötigt
Der Patient ist jünger als 50 Jahre
Die Gesichtsabnahme ist ausgeprägt.
Aus diesem Grund wurde vor einigen Jahren ein vom Körpergewicht abgekoppeltes Indikationssystem zur Operation und zur Therapie des Diabetes Mellitus entwickelt und formuliert. Danach kann zur Therapie des Diabetes bereits ab einem BMI
von > 35 kg/m2 eine Operation erwogen werden. (Dies entspricht etwa einem Mann mit der Körpergröße 180 cm und einem Gewicht von 113-114 kg)
So hat sich nach vielen Jahren, in denen die Behandlung der Volkskrankheit Diabetes Mellitus Typ 2 eine nahezu rein internistische Domäne war, die Denkweise völlig geändert. Inzwischen weiß man, dass sich manchmal die Erkrankung sogar ganz zurück bildet und die Patienten keinerlei Therapie der Zuckerkrankheit mehr benötigen. Die Lebenserwartung der operierten Adipositas-Patienten, die unter einem Diabetes leiden, steigt nach der erfolgreichen Operation deutlich.
Ganz besonders wichtig ist nach einem „metabolisch-chirurgischen Eingriff“ eine dauerhafte, sorgfältige ärztliche Überwachung der operierten Patienten notwendig. Schließlich hat man mit der Verkleinerung des Magens oder einer Bypass-Operation nicht nur eine Gewichtsabnahme bewirkt, sondern einen erheblichen Eingriff in das Hormonsystem des Patienten vorgenommen.
Über den Autor
Ehemaliger Leitender Oberarzt Allgemeine, Viszerale und Onkologische Chirurgie Klinikum Wetzlar
Ärztlicher Leiter des Adipositaszentrum