Corona-Krise

Auswirkungen auf den Drogenhandel und die Abhängigkeitsentwicklung (Teil 1)

Aus einem aktuellen Situationsbericht der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA):

„Die Corona-Pandemie hat vieles verändert und auch der Drogenhandel ist davon betroffen. Die Grenzen waren teilweise erst einmal dicht, der Flugverkehr (mit Ausnahme der Frachtflüge) ist größtenteils zum Erliegen gekommen und Straßen waren vielerorts wie leergefegt. Um die Ausbreitung des Corona-Virus zu bremsen, wurde das gesellschaftliche Leben in Europa und vielen anderen Ländern deutlich heruntergefahren. Für den Drogendeal auf der Straße eigentlich keine guten Bedingungen. Doch der Handel mit illegalen Drogen ging weiter und nahm sogar noch zu“.

Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung Daniela Ludwig führt ergänzend zu dieser Problematik aus:

„Die Corona-Pandemie stelle alle Akteure vor immense Herausforderungen, schaffe neue Suchtgefahren und erfordere schnelle und wirksame Entscheidungen. Elementar wichtig wäre, dass Beratungsstellen mit niedrigschwelligen Hilfsangeboten und Suchtkliniken für alle Bedürftigen offenbleiben. Denn der Bedarf sei größer denn je! Mehr Hilfe als bisher benötigten aber auch die Kinder von Suchtkranken. Viele von ihnen seien praktisch auf sich allein gestellt und man dürfe niemanden vergessen!“ Schwerpunkte der Drogenbeauftragten wären aktuell u.a. der Ausbau lebensrettender Maßnahmen wie die Substitution oder die bundesweite Verbreitung des Nasensprays Naloxon gegen Atemstillstand bei Überdosierungen. Hierdurch sollen Todesfälle durch den Konsum illegaler Drogen möglichst verhindert werden.

 

Zwar sei das Reisen für Personen stark eingeschränkt und der Einsatz von Kurieren für den Drogenschmuggel somit kaum möglich, der internationale Warenverkehr sei jedoch während des Lockdowns aufrechterhalten worden. Diese Situation habe sich vermutlich auch der Drogenhandel zu Nutze gemacht. Beschlagnahmungen legen den Schluss nahe, dass vor allem der Seeweg ungebremst weiter genutzt werde, um Kokain in die Europäische Union einzuführen. Beispielsweise seien Kokainfunde im Hafen der niederländischen Stadt Rotterdam auf ähnlich hohem Niveau gewesen wie im Vorjahr. In manchen EU-Ländern hätten Beschlagnahmungen sogar zugenommen. In der Hoffnung, Grenzkontrollen leichter zu überwinden, hätten Kriminelle auch den Corona-bedingt gestiegenen Bedarf an Hygiene-Artikeln (z. B. Toilettenpapier) ausgenutzt und als Versteck eingesetzt. So wurden in einem anderen Fall 14 Kilogramm Kokain entdeckt, als ein Lieferwagen in das Vereinigte Königreich einreisen wollte. Das Kokain befand sich zwischen fein säuberlich verpackten Gesichtsmasken.

Einbruch der Nachfrage bei synthetischen Drogen

Während beim Handel mit Cannabis teilweise eine Zunahme während der Corona-Krise zu verzeichnen war, sei die Nachfrage nach synthetischen Drogen stark eingebrochen. Abwasseranalysen (bei dieser Erfassungsmethode zieht man aus der Konzentration von Drogen in den Abwässern von Kläranlagen Rückschlüsse auf den Konsum in einer bestimmten lokal näher definierten Region) in den Niederlanden und in Spanien haben beispielsweise ergeben, dass im Vergleich zum Vorjahr nur noch etwa halb so viel MDMA, dem Wirkstoff von Ecstasy, im Abwasser nachgewiesen werden konnte. Die EMCDDA vermutet, dass angesichts der Schließung aller Clubs und der Absage aller Festivals kaum jemand stimulierende Substanzen zum Feiern benötige.

Auf der Seite der Drogenproduzenten hätten sich ebenfalls Veränderungen abgezeichnet. Viele Grundsubstanzen, die für die Herstellung von synthetischen Drogen benötigt werden, kämen aus China. Im Zuge der Corona-Krise sei es jedoch zu Lieferschwierigkeiten der Vorläufersubstanzen gekommen. Um die Produktion von synthetischen Drogen dennoch aufrechtzuerhalten, hätten manche Produzenten alternative Substanzen verwendet. Beispielsweise wurde aus Tschechien berichtet, dass der Mangel an Vorläufersubstanzen für Crystal Meth zu einer Abnahme der Qualität der Droge geführt habe. Die EMCDDA warnt daher, dass sich neue Risiken durch unbekannte Inhaltsstoffe ergeben könnten.

In den Anfängen der Corona-Krise wurde das gesellschaftliche Leben stark heruntergefahren. Kriminelle Organisationen scheinen jedoch neue Wege gefunden zu haben, illegale Drogen zu verbreiten. Als ein Beispiel werden so genannte „Dead Drops“ („Tote Briefkästen“) genannt. Auch habe es eine Zunahme bei den Transaktionen im Darknet (anonymes Netz) gegeben. Insbesondere habe die Anzahl an Käufen von Cannabis über das Darknet zugenommen.

Hingegen sei die Nachfrage nach synthetischen Drogen eingebrochen, da das Partyfeiern im Corona-Lockdown kaum möglich war. Die Produktion sei insofern betroffen gewesen, als die Lieferketten für Vorläufersubstanzen von synthetischen Drogen teils unterbrochen waren. Die Folge sei mitunter eine verminderte Qualität der Drogen.

In der vorliegenden Publikationsreihe sollen einige besonders relevante Suchtstoffe behandelt werden:

Teil 1

Amphetamine (z. B. „Crystal Meth“)

Berichte in den Medien erwecken mitunter den Eindruck, dass „Crystal Meth“ (s. Abb. 1) eine neuartige Substanz sei. Aber ist diese Droge wirklich so neu?

Nein, so die eindeutige Antwort. Dies beweist der nachstehende Fallbericht von 1940, den der Verfasser dieses Beitrages einem Gasthörer und Zeitzeugen in der „Seniorenuniversität Gießen“ verdankt. Dieser beschreibt eindrucksvoll, die Wirkung der Substanz Methamphetamin: „Wir mussten uns einige Zeit vor dem Abflug in einer Reihe aufstellen und jedem wurden einige Pillen in die Hand gedrückt, deren Inhaltstoffe uns aber offiziell nicht bekannt gegeben wurden. Viele dachten, dass es sich hierbei um Vitamine oder mehr oder weniger harmlose Coffeinpräparate handeln würde, damit wir den sich anschließenden vielstündigen Flug als „Torpedoflieger“ in das „Zielgebiet“ und wieder zurück überhaupt durchstehen konnten. Was uns sofort auffiel: Selbst im Verlauf dieser extrem langen Nachtflüge wurden wir niemals müde und hatten darüber hinaus auch den Eindruck, dass unsere Flugmanöver risikofreudig wie nie zuvor waren. Was wir uns weiterhin nicht erklären konnten: Eigentlich hätten wir nach der Rückkehr total erschöpft ins Bett fallen müssen, aber wir saßen noch stundenlang zusammen und erzählten von unseren Erlebnissen in der Nacht. Allerdings wich diese „aufgekratzte Stimmung“ dann doch einem Erschöpfungsschlaf, aus dem wir häufig wieder für einen weiteren Alarmeinsatz geweckt wurden. Das war aber eigentlich kein großes Problem, denn nach der erneuten Einnahme der Pillen fühlten wir uns wieder total fit. Über ähnliche Erlebnisse berichteten beispielsweise auch Kameraden, die auf U-Booten im Einsatz waren und die wir dann gelegentlich im Heimaturlaub trafen“.

Die Substanz Methamphetamin wurde bereits 1919 von dem japanischen Chemiker Akira Ogata im Verlauf der Strukturaufklärung von Ephedrin in Reinform gewonnen und 1921 patentiert. Während der sog. „Blitzkriege“ (1939/1940) erlangte sie eine traurige Berühmtheit, wurde sie doch unter Spitznamen wie „Hermann-Göring-Pille“, „Stuka-Tabletten“ (Stuka = Sturzkampfflugzeug) (Abb. 2) und „Panzerschokolade“ (Abb. 3)“ zur Dämpfung der Angst und Steigerung der Leistung millionenfach in Form des Präparates Pervitin® eingesetzt. Aber es gab auch schon damals eindringliche Warnungen von Experten: „Wer Ermüdung mit Pervitin® (Abb. 4)“ bekämpft, der kann sicher sein, dass der Zusammenbruch eines Tages kommen muss“. Nach 1945 wurde Methamphetamin beim Militär (u. a. Vietnamkrieg), zum Doping und sogar als „Schlankheitsmittel“ eingesetzt und blieb bis 1988 (!) im Handel.


Aktuelles-- Nach dem es lange ruhig war um Crystal Meth (Crystal Speed), häuften sich zunehmend alarmierende Meldungen in den Medien. Insbesondere beim Laien erweckte dies den Eindruck, es handele sich bei der Droge um eine neuartige, mit einigen Designerdrogen wie „Spice“ oder „Badesalz“ vergleichbare, Substanz. Besonders viele Konsumenten von Crystal Meth gibt es in geografischer Nähe zum Hauptproduktionsland Tschechien. Aber es liegen auch Hinweise auf eine Ausweitung in grenzfernere Regionen (deutsche Großstädte und das benachbarte Ausland) vor. Inzwischen intensivieren Deutschland und Tschechien die Zusammenarbeit und Hilfsangebote für Betroffene. Vor allem geht es um neue Wege der Prävention.

Methamphetamin

Methamphetamin kann die Blut-Hirn-Schranke leichter überwinden als Amphetamin, wodurch die Wirksamkeit erhöht wird. Daher wird die Substanz in der Szene meist dem Amphetamin vorgezogen. Von erfahrenen Konsumenten wird der „pharmakokinetische Umstand“ genutzt, dass die Substanz bei alkalischem Harn länger im Körper verweilt – und dadurch substanzsparender wirkt – als bei einer sauren (aziden) Stoffwechsellage mit einer dadurch bedingten, rascheren Elimination. Erfahrene User sollen dieses Phänomen durch eine pflanzliche Ernährungsweise und einen dadurch bedingten pH-Wert über 7 sogar gezielt ausnutzen.

Verbreitung und Konsum

Es existieren höchst unterschiedliche Konsumentengruppen. Dazu zählen meist bereits von anderen Drogen Abhängige, aber auch Menschen in Belastungs- und Überforderungssituationen wie Politiker, Manager oder Studenten im Prüfungsstress. Motiv für den Abusus ist vor allem Leistungsdruck. Dieser geht dann nicht selten einem Burn out voraus. Die Substanz verleiht kurzfristig Selbstvertrauen und erhöht die Risikobereitschaft (vgl. den eingangs geschilderten Einsatz im 2. Weltkrieg).

Folgen des Konsums

Crystal Meth wird geschnupft, geraucht oder gespritzt. Ähnlich wie bei Crack kann es bereits beim ersten Konsum vor allem psychisch abhängig machen. Dabei ist eine Toleranzentwicklung (Gewöhnung) vorprogrammiert. Später werden täglich mehrere Gramm benötigt. Das Internet ist voll mit drastischen „Vorher-Nachher-Bildern“, die den physischen Zerfall dokumentieren. Daneben wird über schwere Psychosen, Herz-Kreislauf-Versagen sowie Hirninfarkte berichtet. Die zerstörerische Wirkung soll angeblich, ähnlich wie beim Desomorphin („Krokodil“), hauptsächlich durch Verunreinigungen verursacht werden.

Durch meist illegale Synthesen erscheinen regelmäßig Designerdrogen mit neuen Substitutionsmustern, die gegenwärtig rechtlich erst dann als Betäubungsmittel gelten, wenn sie in die entsprechen Anlagen des Betäubungsmittelgesetzes aufgenommen wurden. Bis dahin sind sie allerdings (nur) dem Arzneimittelgesetz unterstellt. Diese Rauschmittel erfreuen sich in der Szene besonderer Beliebtheit, da der Missbrauch und Handel zunächst, im Unterschied zu Amphetamin und Methamphetamin, weniger sanktioniert ist.

Ausblick und Perspektiven

Es bleibt zu hoffen, dass es nach dem erfolgreichen Einsatz der momentan bereits existierenden bzw. noch in der Entwicklung befindlichen Impfstoffe zu einer möglichst baldigen Entspannung der gegenwärtig besonders kritischen bis desaströsen Lage kommt!

(Fortsetzung in Teil 2, in dem u.a. über LSD berichtet werden soll).

Über den Autor

Prof. Dr. rer. nat. Harald Schütz
Prof. Dr. rer. nat. Harald Schütz
Forensischer Toxikologe
Institut für Rechtsmedizin der Universität Gießen

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Aktuelle Ausgabe2/2024