COVID-Impfung: Alle außer mir?
Für wen sich die Impfung lohnt. Eine Risikobetrachtung.
Endlich sinkende Corona-Infektionszahlen, die Öffnung von Gaststätten, Kulturbetrieben, Hotels und die Wiederaufnahme des Tourismus – all das lässt uns optimistisch in die Zukunft blicken. Die stetig wachsende Zahl geimpfter Menschen wird den Erfolg stabilisieren. Da stellt sich mancher die Frage, ob er nicht auf die eigene Impfung verzichten kann, zumal es scheinbar genügend andere Impfwillige gibt. Und wie steht es mit Kindern, Schwangeren oder Allergikern?
Werfen wir zunächst einen Blick auf die Dynamik der Pandemie. SARS-COV-2 wird nicht verschwinden. Impfungen schützen gut vor schweren Erkrankungen, können das Virus aber nicht auslöschen. SARS-COV-2 wird endemisch werden, d.h. dauerhaft in der Menschheit zirkulieren. Was sich ändern wird, ist das Immunsystem der Menschen. Durch Impfungen und Infektionen werden zunehmend viele Menschen allmählich eine Grundimmunität entwickeln, die sie vor dem Virus und seinen Mutanten schützt. Langfristig könnte sich das Virus dann in die Reihe der anderen bekannten Corona-Erkältungsviren einreihen.
Dieses Szenario bedeutet aber auch, dass wir uns alle, früher oder später, mit SARS-COV-2 infizieren werden – mit oder ohne Impfung. Zur Frage nach dem Nutzen einer eigenen Impfung sollte man folglich nicht auf eine Herdenimmunität hoffen, sondern das eigene Risiko für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf betrachten.
Eine Impfung ist immer dann sinnvoll, wenn ihr Nutzen deutlich größer ist als das Risiko eines möglichen Impfschadens.
Was sind die Impfrisiken?
Die Mehrzahl der geimpften Menschen spürt nach der Impfung eine Impfreaktion, die mit wenige Tage anhaltenden, leichten Beschwerden (z.B. Kopf-, Muskelschmerzen, Gelenkschmerzen, Fieber, Lymphknotenschwellung) einhergehen kann. Dies gilt als normal und stellt kein Risiko für die weitere Gesundheit da.
Nach weltweit vielen millionenfachen Impfungen sind nur wenige schwere Impf-Nebenwirkungen beobachtet worden. Das Paul-Ehrlich Institut hat nach Auswertung von 28,7 Mio. Impfungen (Stand 30.4.21) ein vermehrtes Auftreten von Veränderungen der Blutgerinnung (verminderte Blutplättchen und Sinusvenenthrombose) sowie einer seltenen neurologischen Erkrankung (Guillain-Barré-Syndrom) nach Astra-Zeneca-Impfung ermittelt. Ferner wurden allergische Reaktionen bei allen Impfstoffen beobachtet.
Sinusvenenthrombosen sind nach Impfung mit Vektorimpfstoffen (Astra-Zeneca und Janssen) in ca. 0,001% der Fälle (= 1:100.000) aufgetreten und haben fast ausschließlich Frauen unter 50 Jahren betroffen. Werden diese Impfstoffe gemäß den Empfehlungen des RKI nur bei über 60jährigen angewandt, so besteht kein nachweisbar erhöhtes Risiko. Eine COVID Infektion hingegen erhöht das Risiko einer Sinusvenenthrombose um den Faktor 100 und kann auch zu anderen oft tödlichen thromboembolischen Komplikationen führen.
Schwere allergische Reaktionen bis hin zum Allergieschock können prinzipiell nach jeder Medikamentenspritze auftreten. Für die COVID-Impfung gibt das Paul-Ehrlich-Institut ein Risiko von ca. 1-10 pro 100.000 an. Dies ist der Grund, weshalb man nach einer Impfung ca. 20 Min. unter Beobachtung bleiben sollte. Ein Allergieschock ist in aller Regel gut behandelbar und es sind in diesem Zusammenhang keine Todesfälle nach COVID-Impfung in Deutschland beschrieben. Unter Einschluss der Todesfälle durch Sinusvenenthrombosen lässt sich aus den Daten bis 30.4.21 ein Gesamtrisiko von 0,00006 % (= 6 von 10 Millionen) für wahrscheinlich durch COVID Impfung verursachte Todesfälle in Deutschland ermitteln.
Damit wir uns solch seltene Risiken besser vorstellen können, hilft vielleicht ein Vergleich aus dem Alltag: Jährlich sterben in Deutschland rund 3000 Menschen durch Verkehrsunfälle. Dies sind 0,0036 % der Gesamtbevölkerung (83 Mio.) bzw. 3,6 Todesfälle pro 100 Tsd. Menschen und Jahr.
Wie steht es um die COVID-Risiken
Das Risiko im Falle einer COVID Infektion zu sterben, beträgt im Mittel ca. 1% und ist in hohem Maße altersabhängig. In einer Metaanalyse aus mehr aus 14 internationalen Studien wurde das altersabhängige Sterberisiko einer COVID Infektion ermittelt. Es beträgt im Alter
über 85 Jahre ca. 33%
75 bis 84 Jahre 7,3%
65 bis 74 Jahre 2,2%
55 bis 64 Jahre 0,7%
45 bis 54 Jahre 0,2%
35 bis 44 Jahre ca. 0,05%, vergleichbar mit der Influenza
Für Menschen mit Vorerkrankungen kann das individuelle Risiko sehr viel höher liegen. Unter 35 Jahren ist das Risiko eines tödlichen Verlaufes bei sonst gesunden Menschen äußerst gering, bei Kindern und Jugendlichen sind weltweit nur wenige Fälle bekannt.
Bislang sind in Deutschland ca. 88 Tsd. Menschen an bzw. mit COVID gestorben, das sind rund 0,1% der Gesamtbevölkerung.
Eine wesentlich größere Zahl von Patienten überlebt die COVID Erkrankung nach schwerem Verlauf, in einigen Fällen bedeutet dies eine monatelange künstliche Beatmung und meist eine lange Rehabilitation.
Im Gegensatz zu den schweren Krankheitsverläufen betrifft das Long-COVID-Syndrom vorwiegend jüngere Menschen, dabei häufiger Frauen als Männer. Die Patienten hatten oft einen eher milden Krankheitsverlauf. Nachdem die ansteckende Viruserkrankung bereits abgeklungen ist, entwickelt sich eine immunologisch vermittelte Erkrankung, die mit einer deutlich verminderten körperlichen und psychischen Belastbarkeit einhergeht und häufig zu langer Arbeitsunfähigkeit führt. Exakte Zahlen über die Häufigkeit von Long-COVID fehlen derzeit noch. Experten gehen von ca. 10 % aller Infizierten aus.
Ein Zahlenvergleich:
0,00006% Risiko an einer COVID-Impfung zu sterben
0,004% Jährliches Risiko durch Verkehrsunfall zu sterben
0,1% der Gesamtbevölkerung sind bereits an oder mit COVID gestorben
0,32% Lebenszeitrisiko für Tod durch Verkehrsunfall
0,5% geschätzter Anteil Long-COVID-Patienten an Gesamtbevölkerung
1,0% Risiko bei COVID Infektion zu sterben (altersunabhängiger Mittelwert)
Für die meisten Erwachsenen ist die Frage, ob eine Impfung sinnvoll ist, leicht zu entscheiden. Die Vorteile einer Impfung überwiegen mehr als deutlich. Doch wie steht es bei Kindern, Schwangeren oder Menschen mit Vorerkrankungen?
Sollen Kinder geimpft werden?
Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Daher kann weder die Dosis noch die Wirkung einer Impfung vorbehaltlos auf Kinder „umgerechnet“ werden. Bei der Impfstoffentwicklung standen Kinder nicht im Vordergrund, zumal sie am wenigsten erkranken. Es gibt aber auch Kinder, die wegen anderer Erkrankungen ein relevantes Risiko für einen schweren COVID-Verlauf haben. Zumindest für diese Kinder werden wir eine Impfung benötigen. Vermutlich werden in den nächsten Monaten neue „proteinbasierte Impfstoffe“ zugelassen werden. Einige Experten vermuten, dass sich diese besser für Kinder eignen, zumal sie auf einem lange bekannten und vielfach bewährten Prinzip beruhen und nicht genbasiert sind.
Weil schwere Krankheitsverläufe bei zuvor gesunden Kindern sehr selten sind, ist der Nachweis eines Impfnutzens für diese Gruppe schwieriger. Dazu sollte ausgeschlossen sein, dass auch unter mehr als 100.000 geimpften Kindern keine durch den Impfstoff verursachten Todesfälle auftreten. Ob und wann eine Impfung für alle Kinder empfohlen werden kann, ist (Stand Mai) aber offen. Für Jugendliche ab 16 Jahren gibt es bereits einen sicheren Impfstoff.
Was ist während der Schwangerschaft?
Da nur wenige Daten über geimpfte Schwangere verfügbar sind, konnte die Sicherheit der Impfung nicht mit großen Fallzahlen bewiesen werden. Deshalb gibt es derzeit keine ausdrückliche Impfempfehlung. Ungeimpfte Schwangere sollten sich möglichst gut vor einer Infektion schützen und sich später impfen lassen. Alternativ ist eine Impfung während der Schwangerschaft möglich. Auch wenn der sichere Beweis aussteht, sprechen sich viele Experten für eine Impfung in der Schwangerschaft aus. Betroffene sollten sich mit Ihrem Gynäkologen beraten.
Vorerkrankungen und Operationen
Grundsätzlich können auch Allergiker geimpft werden. Sie sollten dies vor der Impfung angeben und mit ihrem Arzt besprechen. In Einzelfällen sind besondere Schutzmaßnahmen erforderlich. Zwischen einer COVID-Impfung und einem geplanten operativen Eingriff sollte ein zeitlicher Abstand von mindestens zwei Wochen eingehalten werden. Gleiches gilt auch für den Abstand zu anderen Impfungen. Tumorpatienten sollten möglichst vor Beginn der onkologischen Behandlung geimpft werden. Auch für immunsupprimierte Patienten ist eine Impfung möglich. In der Regel sind Vorerkrankungen kein Hindernis für eine Impfung. Im Zweifelsfall sollte zuvor ärztlicher Rat eingeholt werden.
Fazit:
SAVS-COV-2 ist nicht aus der Welt. Früher oder später werden wir alle Kontakt zu dem Virus bekommen – mit oder ohne Impfung. Die Impfung von Kindern unter 16 Jahren ohne relevante Vorerkrankungen kann dann erwogen werden, wenn es einen dafür zugelassenen und nachgewiesen sicheren Impfstoff gibt. Für Erwachsene Menschen überwiegen die Vorteile einer Impfung deutlich gegenüber den Risiken. Trotzdem wird COVID auch von den meisten nicht geimpften Menschen ohne bleibende Schäden überlebt. Sicher ist aber auch: Während zu Beginn der Pandemie viele Menschen starben, weil wir sie nicht schützen konnten, werden in Deutschland schon bald Menschen nur deshalb sterben müssen, weil sie sich nicht für eine Impfung entscheiden wollten. Und ich fürchte, das werden noch einige Tausend sein.