Vom Umgang mit Ängsten in einer unsicheren Welt
„Alles, was geschieht und uns zustößt, hat einen Sinn. Doch es ist oft schwierig, ihn zu erkennen. Im Buch des Lebens hat jedes Blatt zwei Seiten. Die eine, obere, schreiben wir Menschen mit unseren Plänen, Wünschen und Hoffnungen. Aber die andere füllt die Vorsehung und was sie anordnet, ist selten unser Ziel gewesen.“
Heute kann man kaum noch die Zeitung aufschlagen oder ins Internet gehen, ohne neue Horrormeldungen zu lesen. Die Welt scheint unsicherer zu sein als noch vor einigen Jahren. Die Menschen, die an den Hebeln der Macht sitzen, werden immer unberechenbarer, die Natur spielt verrückt, die Renten sind nicht sicher, Terroristen verüben Attentate, neue Krankheiten werden entdeckt oder alte wie Krebs nehmen zu ……die Liste nimmt kein Ende. Therapeuten müssen sich immer wieder damit auseinandersetzen, wie man mit diesen Ängsten umgeht und was man seinen Patienten an Hilfe mitgeben kann. Vor allem von Natur aus sowieso schon ängstliche Menschen reagieren sehr stark auf potentielle Bedrohungen. Das hängt damit zusammen, dass ein ängstlicher Mensch davon ausgeht, dass das Leben sicher sein muss und vorhersehbar sein muss. Genau dies ist aber nicht der Fall: Das Leben ist weder sicher noch vorhersehbar! Gerade im westlichen Teil der Welt wird dies aber den Menschen oft suggeriert, gibt es doch für alles ein Gesetz oder eine Versicherung, Regeln für den Verkehr und für die meisten Dinge im Leben. Das alte Sprichwort „von der Wiege bis zur Bahre..Formulare, Formulare“ kommt ja nicht von ungefähr. Wenn aber diese suggerierte Sicherheit nicht eintritt, wird genau dieser Glauben an die Vorhersehbarkeit des Lebens erschüttert. Dafür gibt es viele Beispiele: Man hat viele Versicherungen, aber keine davon ist im konkreten Schadensfall zuständig, man hat einen Verkehrsunfall, weil andere die Regeln nicht beachtet haben, das Geld auf der Bank ist nichts wert, die Lebensmittel sind trotz zahlreicher Prüfungen belastet und vieles mehr. Wenn man sich aber darauf verlassen hat, dass die Regeln funktionieren, fällt man in ein tiefes Loch und dekompensiert, wenn es nicht so ist. Viele reagieren auch mit Depressionen oder psychosomatischen Erkrankungen. Je weiter man in den Süden oder Osten kommt, desto weniger Regeln gibt es oder sie werden einfach nicht beachtet. Man stellt aber fest, dass das Leben dort auch funktioniert und die Menschen sich auch daran gewöhnt haben, dass nicht alles so perfekt ist. Wenn man von vorneherein nicht so hohe Erwartungen hat, wird man nicht so tief enttäuscht. Hohe Erwartungen an Sicherheit und das Funktionieren von Gesetzen und Regeln begünstigen also das Entstehen von Angst. Geringe Erwartungen daran, „dass alles funktioniert“ erhöhen die Angstschwelle und stärken den Glauben daran, selbst mit allem fertig zu werden. Ein anderer Aspekt ist der Vergleich der heutigen Zeit mit anderen Epochen. Vieles ist ja auch sicherer geworden: Die Autos sind sicherer, es gibt weniger Unfälle und weniger schwere Verletzungen, das Fliegen war noch nie so sicher wie heute, die meisten Krankheiten können früh erkannt und gut behandelt werden, die Sozialsysteme funktionieren zum großen Teil, zumindest in unserem Teil der Welt, die Hygienestandards sind hoch.
Also viele Gründe, weniger statt mehr Angst zu haben. In der Psychotherapie spricht man auch vom bestimmten oder bedingten Schicksal: Bestimmt sind Geburt und Tod- daran kommt niemand vorbei. Vieles dazwischen kann man beeinflussen, z.B. gesunde Lebensweise, persönliche Risiken (bedingtes Schicksal). Wenn es trotzdem zu Krankheiten oder Unfällen kommt, ist das wieder vom Schicksal bestimmt, und daran kann man wieder nichts ändern. Wenn die Angst beherrschend wird, kann man sich therapeutische Hilfe suchen und auch Strategien lernen, mit den Ängsten besser umzugehen. Denn nicht derjenige ist mutig, der keine Angst hat, sondern derjenige, der seine Angst überwindet!
Über den Autor
Psychotherapie, Wetzlar