Beinlängendifferenz oder doch nur ein Beckenschiefstand?!

Viele Patienten kommen in die osteopathische Praxis mit der Diagnose Beinlängendifferenz. Das hört sich erstmal absolut an und scheint so, als wäre es nicht zu beheben. Dem ist nicht unbedingt so.

Eine Beinlängendifferenz bedeutet, dass zum Beispiel das rechte Bein kürzer ist als das linke. Die Differenz erkennt man, indem man die Position des Innenknöchels miteinander vergleicht. Durch diese Methode wird lediglich überprüft, ob ein Unterschied vorliegt. Ob es sich hierbei um eine echte anatomische Längendifferenz der Beine handelt, muss durch weitere Tests beurteilt werden.

Gründe für eine echte anatomische Beinlängendifferenz gibt es einige. Zum einen kann es genetisch veranlagt sein oder durch eine Erkrankung der Knochen entstehen. Auch durch eine Hüftdysplasie (Fehlbildung) oder nach einer Hüftgelenks-Operation kann die Beinlänge verändert sein. Diese Ursachen können nicht verändert werden. Diese sollten, falls die Differenz zu groß ist, durch Hilfsmittel ausgeglichen werden. Jedoch sollten erst bei einem Unterschied von sechs bis neun Millimeter diese Hilfsmittel in Erwägung gezogen werden.

Häufig entstehen die unterschiedlich langen Beine durch funktionelle Fehlstellungen wie zum Beispiel Gelenkfehlstellungen oder auch verkürzte Muskeln und Bänder. Oft lässt sich ein Beckenschiefstand erkennen, aus dem die Beinlängendifferenz folgt.

Das Becken, das aus den beiden Darmbeinschaufeln und dem Kreuzbein gebildet wird, gerät dabei in eine Torsion, also eine Verdrehung. Die drei Knochen sind über Gelenke miteinander verbunden. Beide Darmbeinknochen sind vorne am Schambein über eine Knorpelscheibe miteinander verbunden. Die Iliosakralgelenke (Ilium = Darmbein, Sakrum = Kreuzbein) verbinden jeweils eine Darmbeinschaufel mit dem Kreuzbein. Steht beispielsweise die linke Darmbeinschaufel höher als die rechte, wird das linke Bein automatisch nach oben gezogen und erscheint auf den ersten Blick kürzer. Diese Beckenschiefstellung entsteht in einfachen Alltagssituationen, wenn man zum Beispiel die Treppenstufe nicht richtig erwischt oder beim Spaziergang unachtsam ist und in ein „Loch“ tritt. Das Becken ist nun in dieser Position fixiert und kann sich unter Umständen nicht von selbst wieder korrigieren. Auch durch Muskeldysbalancen im Beckenboden kann es zu Veränderungen der Beckenstatik kommen. Solche Muskeldysbalancen im Beckenboden können zum Beispiel nach Schwangerschaften, Operationen im Uro-Genitalbereich oder vorangegangenen Frakturen entstehen.

Auswirkungen der Beckentorsion können ein Schiefstand der Schulter oder auch eine Neigung des Kopfes zur Seite des kürzeren Beines sein. Schnell treten auch Beschwerden im unteren Rücken oder im Bereich der Iliosakralgelenke auf, da es durch die Torsion auch zu Muskeldysbalancen oder Verspannungen der Faszien kommen kann. Außerdem wird die Schiefstellung häufig durch eine Überstreckung der Lendenwirbelsäule (Hyperlordose) sowie einer Verdrehung dieser kompensiert.

Wichtig ist also zu erkennen, ob die Beinlängendifferenz anatomisch gegeben ist oder ob sie funktionell entstanden ist. Die funktionelle Beinlängendifferenz ist durch eine Korrektur des Beckens, der Muskeldysbalancen, der faszialen Spannungszüge sowie des Knie- und Sprunggelenks sowie teilweise auch des Knie- oder Sprunggelenks meist rasch zu behandeln.

Der Osteopath wird die Ursachen einer Beinlängendifferenz bzw. des Beckenschiefstandes erkennen und mit gezielten Griffen beheben

Über den Autor

Madeleine Kilbinger
Madeleine Kilbinger
staatlich anerkannte Osteopathin/Heilpraktikerin im Zentrum für Osteopathie Wetzlar

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