Wie funktionieren Impfstoffe?

Immer dann, wenn Krankheitserreger in unseren Körper gelangen, benötigen wir Abwehrstoffe, insbesondere Antikörper, welche die Mikroorganismen bekämpfen.

Sind die Eindringlinge für den Körper neu, dann fehlen die Antikörper und müssen erst mal produziert werden. Das Immunsystem muss den Erreger erkennen, geeignete Antikörper entwickeln und in ausreichender Menge herstellen. Das dauert in der Regel gut zwei Wochen. In der Zwischenzeit können sich die Krankheitserreger milliardenfach vermehren, im Körper verbreiten und ihn schädigen.

Kennt das Immunsystem die Erreger hingegen, dann sind bereits Antikörper vorhanden und die Vermehrung der Eindringlinge kann sehr viel früher unterbunden werden. Zudem speichern sogenannte Gedächtniszellen die „Baupläne“ der Antikörper und diese können rasch vermehrt werden. Deshalb verlaufen Zweitinfektionen mit dem gleichen Erreger in der Regel sehr viel milder.
Es ist auch der Grund dafür, dass wir beispielsweise an Masern, Röteln, Mumps oder Windpocken nur einmal erkranken können.

Das Prinzip der Impfung

In der Natur „braucht“ das Immunsystem den Krankheitserreger, um erstmals Abwehrstoffe und Gedächtniszellen bilden zu können. Impfstoffe übernehmen diese Funktion der Krankheitserreger ohne selbst krank zu machen. Sie führen dazu, dass das Immunsystem mit Teilen oder ganzen Krankheitserregern konfrontiert wird und so lernt Abwehrkräfte zu bilden, die den Körper schützen, wenn er sich mit „echten“ Erregern infiziert.

Der Beginn: Die Pockenimpfung

Der britische Landarzt Edward Jenner beobachtete Ende des 18. Jahrhunderts, dass eine Infektion mit den für den Menschen nicht gefährlichen Kuhpocken vor einer Pockeninfektion schützt. Spektakulär war sein Experiment, bei dem er den achtjährigen James Phipps zunächst mit aus den Pocken infizierter Kühe gewonnenem Sekret und später mit den „echten Pocken“ infizierte. 1796 wurde die Impfung mit Kuhpocken in England eingeführt und am 26. August 1807 gab es in Bayern als weltweit erstem Land eine Impfpflicht. Die Impfung mit den Kuhpocken war Namensgeber für den Begriff Vaccination (die Kuh, lat.: Vacca).

Lebendimpfstoffe

Die große Ähnlichkeit der Kuhpocken und der Pocken führt zu einer sogenannten Kreuzimmunität, d.h. es werden Antikörper gebildet, die sowohl vor Kuhpocken als auch vor Pocken schützen. In späteren Jahren wurden die Kuhpocken durch andere Viren ersetzt.

Die Pockenimpfung nutzt intakte, vermehrungsfähige Viren. Man nennt dies eine Lebendimpfung.

Nicht für jede Erkrankung finden sich in der Natur solch geeignete Viren, wie dies bei den Pocken der Fall war. Alternativ können „lebende Viren“ so abgeschwächt werden, dass sie ungefährlich sind. Die Impfung stellt dann eine quasi kontrollierte Infektion mit einem abgeschwächten Virus da. Absurd ist, dass manche Menschen vor einer kontrollierten Gabe abgeschwächter Viren (Impfung) mehr Angst haben als vor einer unkontrollierten Infektion (Stichwort Masernparty). Vorteil der Lebendimpfstoffe ist ein meist lebenslanger, guter Schutz.

Lebendimpfstoffe gibt es z.B. gegen Masern, Röteln, Mumps, Windpocken und Gelbfieber.

Totimpfstoffe

Enthält ein Impfstoff keine vermehrungsfähigen Viren, so nennt man ihn Totimpfstoff. Statt Viren in ihrer Wirkung nur abzuschwächen, können sie auch (meist durch eine chemische Behandlung) inaktiviert werden. Beispiele für Impfstoffe mit inaktivierten („toten“) Viren sind die gegen Hepatitis A, Polio (Kinderlähmung), Tollwut, Cholera, Typhus und der vom chinesischen Hersteller Sinovac produzierte SARS-COV-2 Impfstoff Coronavac® (in Deutschland nicht zugelassen).

Das Immunsystem erkennt Viren an einzelnen Protein-Bestandteilen (Antigene). Dazu benötigt es nicht zwingend ganze Viren, es genügen auch Bestandteile dieser Viren. Impfstoffe mit solchen „Virus-like-particles“ nennt man „Proteinbasierte Impfstoffe“.
Um die Wirkung dieser Impfstoffe zu verstärken, wird ihnen häufig ein sogenanntes Adjuvans als Wirkverstärker beigemischt.

Grippeimpfstoffe und die Hepatits-B Impfung sind Vertreter dieser Impfart. Ferner wurde gegen SARS-COV-2 der proteinbasierte Impfstoff Novavax® entwickelt. Er enthält vereinfacht beschrieben das „Spike-Protein“ des Virus zusammen mit einem Adjuvans. Das „Spike-Protein“ ist ein für das Coronavirus typisches Oberflächenprotein und alleine nicht infektiös. Optimisten erwarten eine Zulassung für die EU im Herbst dieses Jahres.

Genbasierte Impfstoffe

Genbasierte Impfstoffe gehören zu den Totimpfstoffen. Wir unterscheiden hier zwei Arten, von denen es aktuell zugelassene Impfstoffe gibt: Vektor-Impfstoffe und mRNA-Impfstoffe.

Vektor-Impfstoffe

Als Impfstoff dient hier ein bekanntes, für den Menschen harmloses Virus. Dieses wird so verändert, dass es genetische Informationen des Virus enthält, gegen das geimpft werden soll. Bei den Vektor-Impfstoffen gegen COVID-19 handelt es sich hier um die genetische Information zur Herstellung eines Oberflächen-Proteins, nämlich des „Spike-Proteins“ (s.o.). Das so veränderte Virus wird als Vektor bezeichnet, weil es die gewünschte genetische Information wie ein trojanisches Pferd in die menschlichen Zellen schleust. Die Zellen produzieren dann das Spike Protein, welches vom Immunsystem erkannt wird und eine Antikörperproduktion auslöst. Vereinfacht kann man sagen, dass der Körper seinen eigenen Impfstoff herstellt.

Vektor-Impfstoffe gibt es gegen Ebola, Dengue-Fieber und COVID-19 (Astra-Zeneca: Vaxzevria®, Johnson&Johnson: Janssen®, russischer Impfstoff: Sputnik®)

mRNA-Impfstoffe

Impfstoffe dieser Art gibt es bisher nur für die SARS-COV-2 Impfung. Es handelt sich um die Impfstoffe Comirnaty® von Biontec/Pfizer und Spikevax® von Moderna. Beide Impfstoffe bestehen im Wesentlichen aus Messenger-Ribonukleinsäure (mRNA) die in eine Lipidhülle verpackt ist. Die mRNA enthält die genetische Information für den Aufbau des „Spike-Proteins“ (dem für das Coronavirus typische Oberflächenprotein). Nach der Impfung baut der Körper nach dieser Anleitung die Spike- Proteine nach. Dies geschieht in Ribosomen, das sind kleine Proteinfabriken in den menschlichen Zellen. Die Spike-Proteine lösen dann eine Immunantwort aus. Wenn der Körper später mit dem echten Virus in Berührung kommt, kann er das Virus am Spike-Protein erkennen und sich dagegen wehren.

Bedeutung der Impfungen für Medizin und Menscheit

Die Pocken waren über mehrere Tausend Jahre eine Geißel der Menschheit. Bei der größten bekannten, historisch belegten Pockenepidemie um 1520 verloren ca. 90% der indigenen Bevölkerung Mexikos ihr Leben. Noch im 18 Jh. starben in Europa jährlich ca. 400.000 Menschen an den Pocken, darunter jedes 10. Kleinkind. Die Spanische Grippe (1918-1920) forderte mit weltweit etwa 194 Millionen mehr Tote als der 1. Weltkrieg. Noch heute sterben weltweit jährlich über 200.000 ungeimpfte Menschen an Masern. Die Liste ließe sich um Kinderlähmung, Gelbfieber, Dengue, Diphterie u.v.m ergänzen.

In der gesamten Geschichte der Medizin gab es keine Behandlung die mehr Menschenleben gerettet hat als die Impfung. Und ihre Bedeutung ist aktueller denn je.

Über den Autor

Dr. med. Roger Agne
Dr. med. Roger Agne
Chefarzt Innere Medizin
Dill-Kliniken

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