Schulter- und Nackenschmerzen
in der osteopathischen Behandlung

Ein Fallbeispiel

Im Folgenden wird die Behandlung einer 65jährigen Frau beschrieben, bei der eine sterno-symphysale Belastungshaltung zu chronischen Schulter- und Nackenschmerzen geführt hat.
Die sterno-symphysale Belastungshaltung ist eine nach vorne geneigte Körperhaltung, bei der die Schultergelenke vorgehalten, die Brustpartie eingezogen und der Rücken gewölbt bzw. rund wird. Sie wird durch eine Muskeldysbalance verursacht.

Nun zur Patientin, deren Behandlung stellvertretend für viele andere beschrieben wird.

Frau M. 65 Jahre alt, glücklich verheiratet, hat zwei große Kinder und kam vor drei Jahren wegen ziehender Nackenschmerzen in die Praxis.

Sie berichtet, dass sie beruflich (Sachbearbeiterin im Büro) meist unter Zeitdruck stehe. Abends nach Feierabend fühlt sie sich wie gerädert, schlapp und energielos. Die Schmerzen im Nackenbereich begannen bereits vor ungefähr fünf Jahren. Anfangs wurden sie nach einer Massage, Krankengymnastik und Übungen besser. Der Erfolg hielt jedoch jeweils nur kurzfristig an. Im Laufe der Zeit verblieben die Schmerzen immer hartnäckiger.

Beim Betrachten der Patientin fällt auf, dass der Kopf leicht und die Schultern deutlich nach vorne gezogen sind, die Nackenpartie ist rundlich ausgeprägt. Der untere Rücken ist flach und das Becken nach vorne gekippt, so dass sich bei dieser Haltung automatisch die Bauchpartie herauswölbt. Durch die nach vorne gezogenen Schultern wirkt die Brustpartie eingezogen und verkürzt.

Bei der der körperlichen Untersuchung mit Palpitation ist eine deutliche Verhärtung der Hals- Nacken- Schultermuskulatur wahrzunehmen. Außerdem ist dieses Gebiet sehr druckempfindlich. Auch die Wadenmuskulatur und die Fußsohle sind sehr angespannt und schmerzhaft beim festeren Drücken.

Die Untersuchung ergibt den Befund einer Muskeldysbalance, die sich über den ganzen Körper zieht. Die Muskelketten sind in ihrer Struktur auf eine bestimmte Art und Weise von Kopf bis Fuß miteinander verzahnt. In diesem Fall beginnt die Verspannung (zu Beginn war es nur ein erhöhter Muskeltonus) an der Fußsohle, setzt sich an der Wadenmuskulatur fort, wechselt in den Frontbereich zu den Oberschenkel bishin zu den tiefen Hüftbeugemuskeln und wechselt dann wieder zur hinteren Seite zu Rücken, Schulter- und Nackenbereich.

Die Behandlung

Während den ersten beiden Terminen behandele ich als erstes den schmerzhaften Schulter- Nacken-Bereich mit einer Technik der Osteopathie, die sich Myo-Fascial-Releasing nennt. Außerdem besprach ich mit Frau M. spezielle Übungen für zuhause, die das Behandlungsergebnis unterstützten sollen.

Bei den folgenden beiden Terminen widmete ich mich außer der verspannten Fuss- und Wadenmuskulatur hauptsächlich dem Oberkörper. Das bedeutet ich mindere die Verspannungen der Brust- und der Atmungsmuskulatur, so dass sich Frau M. wegen der entspannteren Muskulatur besser aufrichten kann, denn diese Muskeln sind nicht nur verspannt, sondern auch verkürzt und zwingen so den Oberkörper zur Krümmung in die typische Beugehaltung.

Inspektion nach den ersten beiden Behandlungen:

Frau M. hatte eine neue Körperhaltung. Die vordere Brustpartie richtete sich auf, sie schien etwas größer. Außerdem konnte sie jetzt besser in den Brustkorb atmen. Wir besprachen neue Übungen für zuhause.

Beim nächsten Termin schilderte Frau M., außer dass sie sich besser fühle, nun ein vermeintliches Ziehen im Becken. Ich war wenig überrascht, denn jetzt spürte sie die bis dahin verkürzte tiefe liegende Muskulatur im Bauch und Beckenbereich. Der Oberkörper und das Becken richten sich jeweils entgegengerichtet auf. Nun gilt es dieses Gebiet zu behandeln. Dies ist etwas komplexer, außer der Muskulatur von Zwerchfell und tiefer Hüftbeugemuskulatur müssen auch die Fascien und die Lage der Organe berücksichtigt werden.

Behutsam behandele ich die Bauch- und Beckenpartie. Die Übungen für zuhause wurden angepasst und die weiteren Termine erfolgten in größeren Abständen (vierteljährlich).

Behandlungsergebnis:

Nach zwei Jahren ist Frau M. scheinbar grösser. Erwähnenswert ist, dass es bei einer 65jährigen Person in der Haltungskorrektur Grenzen gibt. Dennoch ist eine deutliche Haltungsveränderung festzustellen. Der Rücken ist gerader geworden, die Schultern nur noch leicht nach vorne gezogen. Die Bauchwölbung und die ungesunde Beckenkippung sind verschwunden.

Insgesamt hat Frau M. auch keine Schmerzen mehr. Sie wirkt heute nicht nur gut gelaunt, sie ist auch gelassener - nun ja - sie hat auch ihre Rente angetreten. Selbstverständlich macht sie ihre Übungen weiterhin, und zwar täglich.

Über den Autor

Claudia Agne
Claudia Agne
Aktuelle Ausgabe2/2024