Chirurgischer Ratgeber: Kein Bagatellisieren des kindlichen Bauchschmerzes


Mami… mir tut der Bauch weh…

Der kindliche Bauchschmerz ist häufig. Die Schwierigkeit in der Beurteilung liegt in der Vielfalt der Möglichkeiten und leider sind darunter seltenere äußerst schwere Ursachen. In diesen Fällen geht es manchmal nur um wenige Stunden, die, wenn verkannt und verstrichen, zu verheerenden Folgen führen können. Die Gutachterkommissionen der Landesärztekammer müssen immer wieder darüber entscheiden, ob ein Verkennen durch Verharmlosung eingetreten ist und damit ein Behandlungsfehlervorwurf anerkennt werden muss.

Sorgfältige Diagnosestellung

Die Tatsache, dass es bei Kindern so viele verschiedene Ursachen für dasselbe Symptom gibt, macht eine sorgfältige Untersuchung unumgänglich.

Kinder sind oft nicht in der Lage, Schmerzen einem Körperteil eindeutig zuzuordnen. Es werden oft ganz andere Beschwerden, wie allgemeines Unwohlsein oder Halsschmerzen, auf den Bauch projiziert. Blähungen können für kleine Kinder sehr quälend sein.

Genaues Beobachten

Hellhörig werden müssen Mütter und Väter, das Personal in Kindergärten, alle, die für die Betreuung eines Kindes verantwortlich sind, wenn zu „leichten Beschwerden“ sich zusätzliche Symptome wie Erbrechen, Durchfall, zunehmende Schmerzen und zunehmende Verstopfung zeigen, selbst eine einfache „Darmgrippe“ kann schnell zu einer bedrohlichen Krankheit werden.

Ein Kind, das durch seine Beschwerden nicht mehr Essen oder Trinken will, muss ernst genommen werden.

Vermeidung von ärztlichen Fehleinschätzungen

Die Schlichtungsstellen der Landesärztekammern weisen darauf hin, dass bei der Diagnostik und differenzialdiagnostischen Abwägung des kindlichen Bauchschmerzes eine ausführliche und genaue Anamneseerhebung sowie eine umfangreiche und genaue körperliche Untersuchung die wichtigsten Schritte sind.

Dabei ist immer eine Ganzkörperuntersuchung durchzuführen.

Auch heute kommt es noch häufig zu Fehldiagnosen, insbesondere bei jungen Kindern, behinderten Kindern, Mädchen im Teenageralter sowie bei Überlagerungen durch andere Erkrankungen.

Für Kinder gilt besonders eine medizinische “Weisheit“, die formuliert: „Häufige Krankheiten sind häufig und seltene Krankheiten sind selten“, das bedeutet, eine seltene Krankheit ist deshalb so gefährlich, weil der Einzelne sie sehr selten oder gar nicht „sieht“.

Durch unzureichende Differentialdiagnosen kommt es, so zeigen die Daten der Gutachterkommission, zu einerseits nicht rechtzeitig oder andererseits zu unnötig durchgeführten Operationen.

Häufige Baucherkrankungen

Bestimmte Baucherkrankungen treten unterschiedlich vom Alter häufiger auf. Im Säuglingsalter stehen die infektiösen Darmerkrankungen im Vordergrund, seltener ist der Darmverschluss bei Darmanomalien, Bauchfellentzündung und sogenannten Darmeinstülpungen (Invagination) sowie oft kurz nach der Geburt die Magenausgangseinengung (Pylorusstenose).

Im Kleinkindalter spielen die „Blinddarmentzündung“ (Appendizitis, Bauchfellentzündung, der Darmverschluss und das Erbrechen die häufigste Rolle.

Im Schulkind-Alter steht an erster Stelle die Appendizitis, schwere Darmentzündungen (Colitis, Morbus Crohn) sind möglich.

Der Klassiker: die „akute Blinddarmentzündung“

Mit ungefähr 50% ist die Appendizitis die häufigste akute Baucherkrankung. Das charakteristische der Erkrankung ist die uneinheitliche Symptomatologie und die schwierige Früherkennung. Grund der erschwerten Diagnose ist die Variabilität der Verlaufsformen und Verlaufsbefunde. Sie beruht auf der Unterschiedlichkeit im klinischen Bild, der unterschiedlichen anatomischen Lage der Appendix, der Komplikationsmöglichkeiten und der altersabhängigen Entzündungsreaktionen.

Leitsymptom(e) der Appendizitis

Leitsymptom ist der allmählich oder plötzlich einsetzende Spontanschmerz im Oberbauch in der Magen- oder Nabelgegend, der dann in wenigen Stunden in den rechten Unterbauch „herunterwandert“. Dieser „wandernde“ Schmerz ist ein Alarmzeichen. Die weiteren Symptome sind Appetitlosigkeit, belegte Zunge, Aufstoßen, Übelkeit, Brechreiz und Erbrechen. Früh kann auch Fieber eintreten, mit Temperaturdifferenz zwischen oraler oder rektaler Messung, der Puls kann schneller schlagen (Tachykardie).

Das gestörte Allgemeinbefinden mit nächtlicher Unruhe und schmerzbedingtes Weinen muss wahrgenommen werden.

Bei der Untersuchung zeigen sich ein Druckschmerz und Abwehrspannung im rechten Unterbauch (McBurney-Punkt), ein Verschiebeschmerz und ein Loslaßschmerz. Typisch ist das Nachlassen der Bauchschmerzen bei Anziehen der Beine. Leider kann der Blinddarm in seiner Lage sehr variieren, dann fehlen diese klassischen lagebedingten Symptome. Bevor man die Kinder zur ärztlichen Untersuchung berührt, ist es beim größeren Kind sinnvoll, sich den Punkt des Schmerzes durch das Kind zeigen zu lassen, bei schreienden Kleinkindern ist eine Untersuchung „auf dem Arm“ der Mutter hilfreich.

Schnelles Handeln im Einzelfall erforderlich

Die Geschwindigkeit der Entzündungsverläufe kann sich leider über nur wenige Stunden entwickeln, besonders dann, wenn der Blinddarm nach „hinten liegt“ (retrozökale Lage). Aus diesem Grund besteht immer die Notwendigkeit der Vorstellung des Kindes bei einem Arzt. Nicht selten besteht schon eine drohende Perforation („Platzen“), die durch den umgebenden Dickdarm unvollständig abgedeckt wird.

Wenn eine Appendizitis nicht ausgeschlossen werden kann, besteht auch in jedem Verdachtsfall die Indikation zur Operation!

Eine freie Perforation mit folgender gefährlicher Bauchfellentzündung muss vermieden werden.

Klinische Diagnostik

Das Wichtigste sind die Anamnese und die klinische Untersuchung. Hilfreich sind noch die Prüfung von Entzündungswerten im Blut und die Ultraschall-Untersuchung des Bauchraumes.

Ein CT ist nur in Ausnahmefällen notwendig, zum Beispiel bei sehr adipösen Kindern mit erhöhtem Operationsrisiko.

In einer Reihe von klinischen Studien konnte kein Gesamtvorteil der Diagnostik durch die Untersuchung mit dem Finger im Mastdarm (rektale Untersuchung) festgestellt werden.

Aufklärung der Eltern

Wird durch den Chirurgen die Operationsindikation festgestellt, ist eine umfangreiche Aufklärung der Eltern erforderlich.

Da heute durch die Verminderung der Gefahren im Rahmen der minimal invasiven Eingriffe der Eindruck entstehen kann, „es ist alles ganz leicht und die Erkrankung eine Bagatelle“, wird im Falle von Komplikationen, die NIE zu verhindern sind, Unverständnis und Vorwurf zum Alltag.

Deswegen müssen die Eltern auch über typische Komplikationen informiert werden, sonst besteht die Gefahr einer Sorgfaltspflichtverletzung.

Im gegenseitigen Vertrauen medizinisch zu handeln, fördert das Behandlungsergebnis:

Bei einer Blinddarmentzündung wird meist schnell operiert, dabei wäre das aus medizinischer Sicht nicht immer notwendig. Sinnvoll ist es aber trotzdem - vor allem bei Kindern.

Zum Glück bleiben dank minimal-invasiver Chirurgie heute nur ein paar kleine Punkte auf dem Bauch übrig, größere Narben sind Vergangenheit.

Über den Autor

Dr. med. Klaus-Dieter Schiebold
Dr. med. Klaus-Dieter Schiebold

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Aktuelle Ausgabe03.10.