Covid-19, Adipositas und ein Spiel mit der Zeit

Wenn man heute einen medizinischen Artikel schreiben will, kommt man um das Thema Corona-Virus und die Pandemie kaum herum. Ich möchte in dem folgenden Artikel kurz die wesentlichen Fakten zusammentragen, die sich aus der Infektion mit dem Virus bei adipösen Patienten ergeben.
Über dieses Problem ist bisher in der aktuellen medialen Berichterstattung so gut wie überhaupt nicht berichtet worden. Das ist nicht verwunderlich, ist die Adipositas ja als eine für COVID-19 relevante „Vorerkrankung“ nicht im Bewusstsein der Menschen in der BRD vorhanden.

Zur Erinnerung:
Die Adipositas ist eine von der Welt-Gesundheits-Organisation (WHO) anerkannte „Erkrankung“. Sie beginnt ab einem BMI von 30 kg/m2.
Die Adipositas ist Vorbereiter anderer Erkrankungen, die im Verlauf sehr häufig zusammen mit der Adipositas auftreten. Man spricht dann von einer Co-Morbidität. Typische Beispiele sind der Diabetes Mellitus Typ 2, der hohe Blutdruck, Arthrosen der großen Gelenke und viele andere mehr. Dies sind jedoch alles chronische Erkrankungen, was bedeutet, dass sie die Patienten meist bis zum Lebensende begleiten. Bei diesen Erkrankungen ist die Vorbeugung die wichtigste Therapie.

Bei Covid-19, ist das anders. Bei der Virusinfektion handelt es sich um eine akute Erkrankung, die in einem nicht unerheblichen Prozentsatz in eine chronische Erkrankung das Long-Covid-Syndrom münden kann. Chronische Erkrankungen nach Virusinfektionen gibt es nicht selten. Sie sind meistens ursächlich auf Schäden zurückzuführen, die die akute Erkrankung hinterlassen hat. Genaue Zusammenhänge bei Covid-19 sind bisher unklar. Sie sind Gegenstand der aktuellen Forschung.
Es ist schwierig, die Adipositas als unabhängigen Risikofaktor für die Covid-Erkrankung isoliert zu betrachten, denn die meisten Adipositaspatienten haben weitere, oft unterschiedliche Co-Morbiditäten. Es kommt also zu Überschneidungen.

Wichtig ist es zu wissen, dass das Risiko für Adipositaspatienten an Covid 19 zu erkranken im Vergleich zu normalgewichtigen Menschen nicht erhöht ist. Dies haben mehrere Studien gezeigt.
Das Risiko für eine schwere Erkrankung ist bei Adipositas aber deutlich erhöht. Große Studien aus China, Amerika, Italien und der BRD weisen übereinstimmend nach, dass ca. 70% der Patienten, die mit Covid-19 auf einer Intensivstation liegen, übergewichtig sind. Ab dem Stadium 2 der Adipositas (BMI >35 kg/m2 – 170 cm/100kg) erhöht sich das Risiko für sehr schwere Verläufe deutlich.

Treffen Adipositas und Diabetes mellitus Typ 2 zusammen, ist die Gefahr an Covid-19 sehr schwer zu erkranken und eventuell zu versterben um den Faktor 10 erhöht im Vergleich zur Normalbevölkerung.
Der Risikofaktor Adipositas wird von Fachleuten insgesamt höher bewertet als andere Vorerkrankungen wie Diabetes Mellitus Typ 2 oder Herzerkrankungen oder auch das Lebensalter. Dies unterstreicht die Relevanz der Adipositas auch bei jüngeren Patienten.

Woran liegt es, dass adipöse Patienten schwerer erkranken?
Das Coronavirus kann nur mit der Hilfe einer so genannten Wirtszelle überleben und sich vermehren. Das ist anders als bei Bakterien. Um in die Wirtszelle hineinzukommen, bindet sich das Virus mit den Spike-Proteinen auf seiner Oberfläche an die Zelle. Dazu benutzt es eine Andock-Station (Bindeprotein) der Körperzelle und das sind die ACE2-Rezeptoren. ACE2-Rezeptoren sind im Körper überall verteilt aber gerade das Fettgewebe stellt sie in sehr großer Zahl her. Somit kann man sich vorstellen, dass eine höhere Zahl von ACE2-Rezeptoren bei adipösen Menschen das Eindringen der Viren in die Zellen fördert. Die Vermehrung beschleunigt sich, die Zahl der Viren sowie der befallenen und nachher zerstörten Zellen steigt rascher an als bei normalgewichtigen Patienten.

Unser Körper reagiert auf die Infektion mit der Bildung von verschiedenen Antikörpern gegen das Virus. Jetzt beginnt ein Spiel mit der Zeit und die entscheidende Frage lautet:

Wie viele Antikörper treffen nach welcher Zeit auf wie viele Viren?

Kommen die Antikörper erst spät und treffen auf sehr viele Viren, wird der Patient schwerer krank werden als umgekehrt. Es ist eigentlich eine sehr einfache Rechnung.
Mit der Impfung haben wir die wirkungsvollste Möglichkeit in dieses Spiel mit der Zeit effektiv einzugreifen. Eine Impfung schützt nicht vor einer Infektion. Aber sie bereitet unseren Körper sehr gut auf eine Infektion vor, da er einfach wesentlich schneller reagieren kann, wenn er von dem Corona-Virus angegriffen wird.
Die neue Variante OMICRON hat sich verbessert in der Fähigkeit schneller und fester an den oben beschriebenen ACE2-Rezeptor zu binden. Deswegen ist es umso wichtiger durch eine Booster-Impfung unseren Antikörperspiegel anzuheben.
Wie gesagt…ein Spiel mit der Zeit.
Nicht nur in unserem Körper, sondern auch in der Gesellschaft der Welt.

Über den Autor

Dr. med. Thomas Friedrich-Hoster
Dr. med. Thomas Friedrich-Hoster
Ehemaliger Leitender Oberarzt Allgemeine, Viszerale und Onkologische Chirurgie Klinikum Wetzlar
Ärztlicher Leiter des Adipositaszentrum

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