Wie fühlt man sich als Lebensretter?
Erfahrungen eines Stammzellspenders
Nick Schmidt, 20 Jahre aus Solms-Oberbiel hatte sich spontan bei der DKMS als Stammzellspender registrieren lassen. Dann kam kurze Zeit später die Nachricht, dass er tatsächlich als Spender für einen schwerkranken Menschen in Frage kommen könnte.
Im Gespräch mit Dr. Birgitta Killing, Chefärztin der Klinik für Hämatologie/Onkologie und Palliativmedizin am Klinikum Wetzlar, schildert er seine Beweggründe für die Stammzellenspende, den Ablauf einer solchen Spende und wie es sich anfühlt, ein potenzieller Lebensretter zu sein.
Warum hast du dich überhaupt als Stammzellspender registrieren lassen?
Mein damaliger bester Freund war an Blutkrebs erkrankt, dadurch kam ich mit der DKMS in Kontakt. Mein Freund sagte, dass es sehr gut wäre, wenn man sich registrieren lassen würde. Und dann kamen Mitarbeiter der DKMS in unsere Schule und man konnte sich registrieren lassen.
Haben das viele Schüler gemacht?
Ja, eigentlich fast jeder an der Schule. Die Mitarbeiter der DKMS haben in den Schulklassen den Test mit dem Wattestäbchen angeboten, das geht ja auch schnell und unproblematisch.
Wann war das?
Im Frühjahr 2019 habe ich mich registrieren lassen und 2020 habe ich dann gespendet.
Wie hast du erfahren, dass du als Spender in Frage kommst?
Einerseits per Brief und ich wurde einfach ganz normal angerufen. Da wurde mir mitgeteilt, dass ich als Stammzellspender in die engere Auswahl komme.
Was ist der Unterschied zwischen Knochenmark- und Stammzellspende?
Bei einer sogenannten peripheren Stammzellspende wird eine Stammzellsammlung durchgeführt, man nennt das auch Stammzellapherese. Das Gerät ähnelt optisch ein wenig einer Dialysemaschine. Das Blut wird über Zugänge in den Armen oder am Hals über die Maschine gefiltert und die Stammzellen gesammelt. Bei der Knochenmarkspende wird in Vollnarkose über Punktionen im Beckenbereich etwa ein Liter Knochenmarkblut entnommen. Ob ein Patient Blutstammzellen oder Knochenmark erhält, hängt von verschiedenen Gegebenheiten ab, z.B. dem Alter des Empfängers, welche Erkrankung vorliegt, wie viel Material benötigt wird und auch spenderseitigen Faktoren. Welche Therapie zum Einsatz kommt, entscheidet der behandelnde Arzt.
Wie ist das abgelaufen mit der Spende?
Also, ich musste erstmal, um das zu verifizieren, ob ich wirklich passe, noch einmal beim Hausarzt Blut abnehmen lassen. Das wurde dann zur DKMS geschickt. Dort wurde das Blut nochmal genau untersucht und es wurde geschaut, ob wirklich genügend passende Merkmale da sind, damit ich auch als Spender wirklich in Frage komme. Das war dann auch so. Dann bin ich für Voruntersuchungen und ein Informationsgespräch für einen Tag nach Köln gefahren, dort wurde mir dann wieder Blut abgenommen. Ich wurde gesundheitlich komplett durchgecheckt. Zwei Wochen später habe ich dann in Köln Stammzellen gespendet.
Und wie ist das dann konkret abgelaufen, als du gespendet hast?
Das ganze Verfahren heißt Apherese, das ist wie so eine Art Dialyse-Maschine, mit der mein Blut gefiltert wurde, um die Stammzellen zu sammeln. Vorher habe ich mir fünf Tage selber Spritzen in den Bauch gegeben, damit genügend Stammzellen im Blut sind. Und dann, an einem Montag war das, saß ich acht Stunden da und mir wurden die Stammzellen entnommen. Zum Glück waren es dann auch genug, denn sonst hätte ich am nächsten Tag nochmal hingemusst, um nochmal zu sammeln.
Und wie ging es dir danach?
Ich bin da reingegangen mit dem Gefühl, dass ich das relativ einfach schaffen werde, weil ich ein junger fitter Mensch bin. Es war dann aber doch ganz schön anstrengend - acht Stunden zu sitzen mit einem Zugang in jedem Arm und an die Maschine angeschlossen zu sein, nicht richtig auf die Toilette zu können, nicht richtig etwas essen zu können, das war schon belastend. Und dem Körper wird etwas entnommen, und das merkt der Körper natürlich auch. Es war für mich alles im Rahmen, aber doch ein anstrengender Prozess. Die Spritzen, die man sich vorher gibt, haben natürlich auch nochmal Nebenwirkungen. Ungefähr zwei Wochen nach der Spende war ich wieder komplett fit.
Es handelt sich bei den Spritzen, die man in dieser speziellen Situation zur Anregung der Stammzellenproduktion verabreicht, um Medikamente, die normalerweise in der Krebstherapie eingesetzt werden, um die Anzahl der weißen Blutkörperchen (Leukozyten) zu erhöhen. Dies kann zum Beispiel im Rahmen einer Chemotherapie notwendig sein. Durch G-CSF, so heißt der Wirkstoff, kommt es zu einem Wachstumsreiz im Knochenmark. Das Medikament wird ähnlich einer „Thrombosespritze“ unter die Haut gespritzt. Vor einer Stammzellenspende wird es aus einem anderen Grund eingesetzt: Die Stammzellen, die gesammelt werden, befinden sich normalerweise nur im Knochenmark und nicht im Blut. Durch die Gabe von G-CSF werden sie ins Blut ausgeschwemmt. Die Nebenwirkungen des Medikaments sind gering, es kann zu grippeähnlichen Symptomen, Knochenschmerzen oder einer Vergrößerung der Milz kommen.
Würdest du wieder Stammzellen spenden?
Ja, ich würde es nochmal machen. Erstmal bin ich ja zwei Jahre noch nicht wieder in der Datei, sondernd „reserviert“ für den Menschen, dem ich meine Stammzellen gespendet habe, falls er nochmal Stammzellen oder Blut braucht.
Und du würdest es auch anderen empfehlen, Stammzellen zu spenden?
Ja, definitiv. Es ist klar, dass man einen Aufwand hat damit, man ist zwei bis drei Wochen nicht komplett fit. Aber ich meine, wenn man sich den Gegenwert überlegt, also wenn man jemandem helfen kann, ein Menschenleben retten kann, ist das ein sehr großer Gegenwert für einen sehr kleinen Preis.
Weißt du, wer deine Stammzellen bekommen hat?
Noch nicht. Man bekommt einige Angaben. Mein Empfänger ist über 30 Jahre alt und er ist männlich und kommt aus Deutschland. Mehr Informationen bekommt man auch innerhalb der ersten zwei Jahren nach der Spende nicht, einfach um Erpressung oder ähnliches zu vermeiden. Nach zwei Jahren können Spender und Empfänger in Kontakt treten, wenn beide das möchten.
Würdest du gerne mit der Person, die deine Stammzellen erhalten hat in Verbindung treten?
Das weiß ich noch nicht. Also, wenn der, dem ich meine Stammzellen gespendet habe, das gerne möchte, würde ich das auch tun, damit hätte ich kein Problem. Aber ich glaube von mir aus würde ich das tatsächlich erstmal nicht tun, weil mir das tatsächlich gar nicht so wichtig ist. Ich hoffe, dass ich jemanden gerettet habe und ich muss den jetzt gar nicht genau kennen. Mir ist das nicht so wichtig.
Bei welchen Krankheiten kann eine Stammzellspende helfen?
Man muss unterscheiden zwischen der Stammzellspende für sich selbst (für eine sogenannte autologe Transplantation) und für einen anderen Menschen (allogene Transplantation). Es handelt sich hierbei um vollkommen unterschiedliche Therapieansätze. Die Fremdspender-Transplantation wird heute vor allem eingesetzt bei akuten Leukämien (Blutkrebs), bei speziellen Situationen in der Behandlung von Lymphomen (Lymphknotenkrebs), sowie verschiedenen Erkrankungen des Knochenmarks, bei denen es zu einer Störung der Blutbildung kommt.
Gibt es noch irgendetwas, was du den Menschen mit auf den Weg geben möchtest, die überlegen, sich registrieren zu lassen?
Definitiv, dass man sich registrieren lassen soll. Man kann einem Menschen helfen, dem es sehr schlecht geht, der in Lebensgefahr ist. Und es kostet einen wirklich wenig, also weder Geld noch sonst irgendwas, natürlich ein bisschen Zeit, aber wie ich bereits sagte, der Aufwand ist gering, wenn man bedenkt, dass man ein Leben retten kann. Deshalb würde ich sagen, jeder, der spenden kann, gesundheitlich dazu in der Lage ist, der sollte sich auch registrieren lassen.
Wie wird man Stammzellspender?
Stammzellspender kann jeder werden, der folgende Merkmale erfüllt: 18-55 Jahre alt sein (die Registrierung ist bereits mit 17 Jahren möglich), einen festen Wohnsitz in Deutschland haben, und es sollten keine chronischen Erkrankungen vorliegen. Die Registrierung erfolgt über die DKMS (früher Deutsche Knochenmarkspenderdatei, für weitere Informationen: https://www.dkms.de/de/spender-werden). Hier kann man sich im Internet umfangreich informieren und auch registrieren und erhält das Material für einen Wangenabstrich per Post. Nach Rücksendung werden die Gewebemerkmale analysiert und der potentielle Spender in die Datei aufgenommen. Wenn dann eine hohe Übereinstimmung zwischen Empfänger und möglichem Spender besteht, erfolgt zunächst ein Informationsgespräch mit dem potenziellen Spender und, wenn dieser einverstanden ist, zunächst eine weitere Blutuntersuchung. Wenn dann alles passt, erfolgen vor der Stammzellspende noch ein Gesundheitscheck des Spenders sowie eine erneute ausführliche Information.
Außerdem gibt es die Möglichkeit, für ein Familienmitglied zu spenden. Insbesondere Geschwister weisen oft hohe Übereinstimmungen auf. In diesem Fall wird der behandelnde Arzt mit den Familienmitgliedern sprechen und ggf. eine Analyse der Gewebemerkmale veranlassen.
Viele Erkrankungen können nur durch eine Knochenmark- oder Stammzellspende erfolgreich behandelt werden. Ich werbe daher immer dafür, sich zu registrieren. Je mehr Menschen bereit sind mitzumachen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, für einen schwerstkranken Menschen einen Spender zu finden- und damit die Chance zu leben.
Nachtrag: Wie ging es weiter?
Vor einigen Wochen wurde ich gebeten, nochmal Stammzellen zu spenden, da es „meinem Empfänger“ wieder schlechter ging und er nochmal Stammzellen bekommen sollte. Dazu kam es aber nicht mehr, die DKMS hat angerufen und gesagt, dass der Patient verstorben ist.
Das war für mich eine traurige Nachricht. Trotzdem würde ich wieder Stammzellen spenden, wenn ich damit einem Menschen helfen kann.