Der Grüne Knollenblätterpilz –
ein tödlicher Pilz in unseren heimischen Wäldern

In der letzten Ausgabe beschäftigte uns der Fliegenpilz [Amanita muscaria (L.) Pers.], heute lernen wir einen nahen Verwandten von ihm kennen, den Grünen Knollenblätterpilz [Amanita phalloides (Vaill.) Secr.], der ebenfalls recht häufig in unseren heimischen Wäldern vorkommt. Man findet ihn von Juli bis Oktober meist in Laubwäldern, gerne unter Eichen, Hain- und Rotbuchen, an die er durch seine Mykorrhiza angebunden ist. In Nadelwäldern ist er selten. Auch kühlere Standorte meidet er, fehlt daher in den höheren Zonen der Mittelgebirge und den Alpen und gelangt mit den Eichen an seine Verbreitungsgrenze in Südskandinavien.

Der zunächst halbkugelige Hut erreicht nach Entfaltung einen Durchmesser von bis zu 15 cm und ist von einer olivgelb-grünlich-bräunlichen Haut überzogen, die zum Rande hin heller wird und abziehbar ist. Das darunterliegende Hutfleisch ist grünlichgelb, zur Mitte hin intensiver gefärbt. Manchmal finden sich auf dem Hut noch weißliche Reste der ursprünglichen Umhüllung. Die Lamellen sind weiß, stehen sehr dicht und am Stiel frei. Der Stiel wächst aus einer 2 – 4 cm breiten, knolligen Basis (Wulstlinge!), die in einer häutigen Scheide steckt. Er wird 8 – 15 cm hoch, kann bis zu 2,5 cm Durchmesser erreichen, ist weißlich oder in Hutfarbe genattert und trägt eine weiße Manschette, die lappig herunterhängt und im Alter vergeht. Zur Unterscheidung von ähnlichen Pilzen sei angemerkt, daß Täublinge keine Scheide, Ritterlinge weder Scheide noch Ring haben.

Gelegentlich kann die Hutfarbe des Grünen Knollenblätterpilzes sehr blaß, fast weißlich sein. Bei diesen hellhäutigen Formen besteht Verwechselungsgefahr mit dem ebenfalls tödlich giftigen Frühlingsknollenblätterpilz [Amanita verna (Bull.) Pers.] und mit Champignonarten, die jedoch rosa-bräunliche, später bis dunkelbraun werdende Lamellen haben.

Der Knollenblätterpilz ist bei Verzehr tödlich giftig und verantwortlich für über 80 % aller tödlichen Pilzvergiftungen bei uns. Bereits 50 gr. Frischpilz können bei einem Erwachsenen zum Tode führen. Die Sterblichkeitsrate nach Vergiftung wird für Erwachsene mit 20 – 30 % angegeben; für Kinder soll sie 1,5-fach höher sein. Tückisch an Knollenblätterpilzvergiftungen ist, dass die Vergiftungserscheinungen erst viele Stunden nach Verzehr auftreten. Die Latenzphase beträgt 5 bis 24 Stunden. Dieser folgt nach 24 – 48 Stunden eine Phase mit starken Gastrointestinal Beschwerden: Kolikartige Bauchschmerzen, mehrfaches Erbrechen, massive Durchfälle mit starkem Elektrolytverlust. In der Folge kommt es zu Blutdruckabfall, Herzrasen, Krämpfen, Schockzuständen und Austrocknung. Anschließende Besserung ist meist trügerisch, es werden Fieber und Kopfschmerzen beschrieben und es folgt die hepatorenale Phase (48 – 190 Stunden), in der es zu schweren Leber- und Nierenschädigungen kommt. Die Leber vergrößert sich, Transaminasewerte steigen an, es kommt zu Gelbsucht, Magen- und Darmblutungen sowie einer stark reduzierten Urinausscheidung. Die gesteigerte Blutungsneigung und die durch unzureichende Entgiftungsarbeit der Leber ausgelösten Funktionsstörungen des Gehirns (hepatische Enzephalopathie) können zum Leberkoma und Tod führen, meist 4 bis 7 Tage nach Pilzverzehr. In weniger schweren Fällen regeneriert sich die Leber langsam, aber meist vollständig.

Für die Giftwirkung verantwortliche Inhaltsstoffe des Pilzes sind in erster Linie die Amatoxine α-, β- und γ-Amanitin, deren tödliche Dosis für einen Menschen bei 5 – 7 Milligramm (mg) liegt. Es handelt sich dabei um bicyclische Octapeptide (also Ketten von 8 Aminosäuren, die in zwei verknüpften Ringen angeordnet sind) mit Sulfoxidbrücke, die aus den Aminosäuren Asparaginsäure, Isoleucin (2x), Prolin, Tryptophan, Cystein und Glycin (2x) zusammengesetzt sind und deren funktionelle Seitengruppen variieren. Diese Peptide sind hitzestabil und werden durch Kochen nicht zerstört. Hauptwirkorte der Amatoxine sind Leber und Niere. Sie verhindern insbesondere im Zellkern von Leberzellen die mRNA-Synthese durch Hemmung des Enzyms RNA-Polymerase II (=B). Bereits eine Konzentration von 10-8 M Amatoxin bewirkte eine vollständige Hemmung der Transkription von DNA in mRNA. Obwohl die Amatoxine schnell über die Galle ausgeschieden werden, bedeutet dies keine Entgiftung, da sie über den enterohepatischen Kreislauf mehrfach die Leber passieren und ihre Giftwirkung wiederholt entfalten.

Die Therapie von Knollenblätterpilzvergiftungen ist schwierig. Eine Krankenhauseinweisung ist unbedingt nötig. In einem ersten Therapieschritt wird man immer versuchen, die Giftstoffe aus dem Magen zu entfernen oder sie zu binden (Magenspülung, Gabe von 1 gr. Kohle pro Kilogramm Körpergewicht zur Adsorption). Aufgrund der langen Latenzzeit haben die Giftstoffe jedoch bei Auftreten einer Symptomatik oft den Magen schon passiert. Bis zu 48 Stunden nach Exposition kann es auch sinnvoll sein, sie durch Hämodialyse aus dem Blut zu entfernen. Weiterhin kann man versuchen, die Aufnahme der Toxine in die Leber und die Schädigungen der Leberzellen zu verhindern oder zu verringern. Dies geschieht durch i.v.-Gabe von Silymarin (Legalon®) mit Silibinin als Hauptwirkstoff, oft kombiniert mit Penicillin G. Beide Substanzen hemmen unspezifisch die Aufnahme des Toxins in die Leberzellen. Silymarin wird aus den Früchten der Mariendistel gewonnen und dient ansonsten zur Behandlung chronisch-entzündlicher Lebererkrankungen, z.B. bei Leberzirrhose, Hepatitis C etc. Ansonsten bleibt nur die symptomatische Behandlung der Durchfallfolgen (Flüssigkeits- und Elektrolytausgleich) und der Leberschädigung. Je frühzeitiger die richtige Behandlung einsetzt, desto geringer ist das Sterberisiko.

Nun sind Sie sicherlich ein wenig verwundert darüber, welch giftige Pilze unsere heimische Natur beherbergt. Trotz genauer Kenntnis der komplex strukturierten Giftstoffe und weitgehendem Verständnis der Wirkweise, ist eine erfolgreiche Therapie von Vergiftungen nicht immer möglich. Seien Sie also beim Pilzesammeln vorsichtig. Die wenigen, wirklich gefährlichen Giftpilze sollte man gut kennen. Und zum Essen nimmt man nur die Speisepilze mit, die man eindeutig identifiziert hat. Keine Experimente! Es könnte schief gehen!

Über den Autor

Dr. Karl-Heinrich Horz
Dr. Karl-Heinrich Horz
Apotheker

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