Bilderbücher über Vergesslichkeit und Demenz

Gedanken nicht mehr greifen können



Manchmal ist es nur eine Wortfindungsstörung; kleinere Vergesslichkeiten können als Folge von Unkonzentriertheit oder Schlafmangel auftreten. Häufen sich jedoch die Momente, in denen sich die Gedanken nicht mehr greifen lassen, kommt gar eine Wesensveränderung hinzu, können dies Anzeichen für Demenz sein. Im schlimmsten Fall erkennen Menschen ihre vertraute Umgebung und sogar diejenigen, die ihnen am liebsten sind, nicht mehr wieder. Bilderbücher helfen hier oft nicht nur kleinen Kindern, sondern ganzen Familien, das Krankheitsbild zu verstehen und können wertvolle Ratgeber in einer besonders schwierigen Situation sein.

Mia liebt ihren Opa über alles und unternimmt mit ihm die tollsten Sachen. Aber in letzter Zeit wird das immer schwieriger, denn „Opa Rainer weiß nicht mehr“ und steht hilflos vor den „kinderleichtesten Sachen“. Manchmal kann er mit einem Gegenstand nichts mehr anfangen, mal weiß er einen Namen nicht mehr richtig und nimmt einfach ein anderes Wort, das so ähnlich klingt. So nennt er etwa Putzfrau Frechrichs einfach Frechdachs. Unbefangen, fast fröhlich lässt Autorin Kirsten John die kleine Mia von dem erzählen, was sie jetzt an Ungewöhnlichem an ihrem Opa entdeckt und was sie gemeinsam erleben. Katja Gehrmann setzt Opas Unvermögen, selbst einfache Aktionen auszuführen, kinderbunt und schwerelos ins Bild. So schafft das Buch eine wunderbare Balance: Die Leichtigkeit der Erzählung, der Humor der Bilder, Mias Liebe und ihre Bereitschaft, sich ganz auf diesen neuen Opa einzulassen und ihm selbstverständlich zu helfen, wiegen die Schwere des Themas auf. Wie hier angstfrei und ohne Vorbehalte mit Demenz umgegangen wird, hat Vorbildcharakter und kann betroffene Familien stärken. Großartig.

Der kleine Arthur findet einen weinenden Elefanten, der nicht mehr weiß, wer er ist und alle Erinnerungen an sein Leben verloren hat. Für den Jungen ist klar, dass er den Elefanten nicht sich selbst überlässt. So bezieht er den Elefanten in seinen Tag mit ein, spielt mit ihm, kitzelt ihn und füttert ihn mit Kirschen ... Alle Sinne werden so angesprochen. Zusammen mit seinen Freunden bemalt Arthur den Elefanten mit bunter Kreide, bis er nach Hause zu seiner Familie muss. Da hat der Elefant endlich einen Gedankenblitz: Er erinnert sich an seine Familie, die ihn sicher schon vermisst und ihn wenig später liebevoll empfängt. „Arthur und der Elefant ohne Erinnerung“ ist ein warmherziges Bilderbuch, das zeigt, wie wichtig schöne Augenblicke und Berührungen für jemanden sind, dem der Zugang zur Vergangenheit fehlt. Indem die Autorin ausgerechnet den Elefanten, der für sein gutes Gedächtnis bekannt ist, in den Mittelpunkt stellt, macht sie ihr Bilderbuch umso eindrücklicher.

Weder im vorherigen noch im jetzt folgenden Bilderbuch wird die Demenz plakativ behandelt, ja auch nur benannt. Arthurs Elefant ist wie der Opa im Buch „Grünkäppchen und der böse Elefant“ einfach ein bisschen vergesslich. Im dialogisch von Enkel und Opa erzählten „Grünkäppchen“ kann sich der Opa nicht mehr an alle Details aus dem Märchen erinnern und fabuliert eine grandiose Geschichte, die entfernt an Rotkäppchen erinnert, nur dass hier ein Elefant die Großmutter frisst und Grünkäppchen ein Picknick im Wald macht, anstatt ihrer Oma das Essen zu bringen. Das verquere Märchen macht beiden viel Spaß, und dass Opa sich nicht mehr an das Ende erinnern kann, findet der kleine Enkel gar nicht schlimm. Am wichtigsten ist es doch, dass sie Zeit miteinander verbringen und zusammen lachen können. Das Schöne an diesem Bilderbuch ist, dass man es als Buch über Demenz lesen KANN, es aber auch einfach als kunterbunte Märchenpastiche funktioniert, die dazu anregt, selbst witzig verfremdete Märchen zu erzählen. Doppelt empfehlenswert.

Ein sehr berührendes, ja poetisches Buch über Demenz kommt aus dem Koreanischen. Die Künstlerin Lilia erzählt in „Entenblau“ von einem elternlosen Krokodil, das liebevoll von einer Ente aufgezogen wird. Aus dem winzigen Reptil wird eine riesige Echse, die aber stets die Zuneigung der Ente aufs zärtlichste erwidert. Mit den Jahren ändern sich nicht nur die Größenverhältnisse, auch die Verantwortungen verschieben sich. Als die Erinnerungen der Ente zu verblassen beginnen, kümmert sich das Krokodil um sie und versorgt sie ebenso innig, wie sie es einst mit ihm tat. Ist sie traurig, weiß das Krokodil genau, wie er sie trösten kann. In sehr reduzierten Bildern allein in den Farben blau, grau und weiß malt Lilia die Bilder eines Lebens, die im hohen Alter der Ente an die Babyzeit des Krokodils erinnern, nur dass die Rollen vertauscht sind. Auf den letzten Seiten wechselt die Erzählung aus der Beobachter- in die Ich-Perspektive. Aus dem beschreibenden Text wird eine Liebeserklärung des Krokodils an die Ente. „Du wirst manchmal wütend, und manchmal erkennst du mich nicht mehr ... Aber ich weiß, dass du mich liebst. Und ich liebe dich.“ Dieses zauberhafte und zutiefst berührende Bilderbuch wird vom Verlag Leserinnen und Lesern ab 3 Jahren empfohlen. Doch es spricht eigentlich Menschen jedes Alters an, die mit Demenzerkrankten zu tun haben, Erwachsene vielleicht sogar noch mehr als Kinder. Ein wirklich außergewöhnliches und besonderes Bilderbuch – absolut empfehlenswert!

Über den Autor

Maren Bonacker
Maren Bonacker
Lese- und Literaturpädagogin
Phantastische Bibliothek Wetzlar

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