Im Einklang mit der Stimme?
Wenn Heiserkeit zum Problem wird.
Hintergründe und Handlungsmöglichkeiten
Die Stimme ist für die meisten Menschen das wichtigste Kommunikationsmittel. Das kann jeder leicht selbst an sich überprüfen. Wie würde sich unser Alltag verändern, wenn die eigene Stimme immer wieder in wichtigen Situationen versagen würde, und wenn statt des eigenen Stimmklangs, der einen großen Wiedererkennungswert besitzt, nur noch „heiße Luft“ oder ein tiefes monotones Knarren das Gegenüber erreichen würde?
Beruflich und privat ist unsere Stimme täglich hohen Anforderungen ausgesetzt. Vom kurzen Gespräch über die Ladentheke, bis hin zu Vortragssituationen, quer durch die Turnhalle rufen, im Chor singen.... Durch die Pandemie sieht sich unsere Stimme mit weiteren Aufgaben konfrontiert: Das Sprechen mit, manchmal auch “gegen” den Mundnasenschutz, die vermehrten Online- Meetings vorm Laptop, mitunter gebeugt am Tisch sitzend... auch das erfordert einen sehr bewussten Umgang mit dem System Stimme.
In der Regel meistert der Kehlkopf die unterschiedlichsten Herausforderungen des Alltags sehr souverän. Mit unserem Stimmorgan ist es wie mit anderen Organfunktionen auch: Es rückt erst in unser Bewusstsein, wenn es nicht mehr zuverlässig funktioniert.
Die Stimme – Spiegel unserer selbst
Es gibt keine Situation unseres Lebens, die nicht unseren Kehlkopf berührt und unsere Stimme in irgendeiner Weise beeinflusst. Freude, Ärger, Trauer, Überraschungen ... Die gesamte Körperspannung, das Atemsystem, und auch das der Stimme reagieren sofort. Nicht jeder Mensch reagiert gleich mit Stimmverlust oder Heiserkeit, jedoch sind dezentere Reaktionen der Kehle, wie Enge- und Kloßgefühl, Räusperbedürfnis, oder das Gefühl, dass beim Sprechen “die Luft wegbleibt”, für viele Menschen spür- und hörbar.
Das Prinzip Stimmgebung
So komplex und vielfältig das System Stimme bei näherem Hinsehen ist, lässt es sich auf Grundprinzipien reduzieren, die wir vom Instrumentalspiel kennen. Wir finden durch Luftstrom angetriebene schwingende Saiten und einen Resonanzkörper, in den sich die Vibration der Saiten fortsetzt.
Die Stimmlippen, im alltäglichen Sprachgebrauch auch als Stimmbänder bezeichnet, liegen eingebettet in ein Knorpelgerüst namens Kehlkopf. Dieser schließt die Luftröhre nach oben ab. Bei der Stimmgebung legen sich die Stimmlippen aneinander und werden durch den von unten kommenden Ausatemstrom in Vibration versetzt, welche wir spüren, und unsere Ohren als Klang wahrnehmen können. Durch die flexible Fähigkeit der Stimmlippen zur Spannungsveränderung bildet sich, ähnlich wie bei unterschiedlich angespannten Gitarrensaiten, die Tonhöhe. Aus der Physik wissen wir, dass sich Schall in alle Richtungen ausbreitet. Nur ein Teil des Schalls gelangt in den Außenraum. Ein weiterer Teil setzt sich als Vibration in die umliegenden Gewebe der Stimmlippen fort, und regt sie im günstigen Fall zum Mitschwingen an.
Diese Resonanzfähigkeit des Körpers bereichert unseren Stimmklang, und bewirkt eine höhere stimmliche Leistung bei geringerem muskulärem Aufwand.
Grundsätzlich lässt sich jedem Material und jedem Körpergewebe, ob Muskeln, Faszien, Lymphe, Knochen..., eine Resonanzfähigkeit unterstellen. Und wie bei jedem lebendigen Material ist diese nicht konstant, sondern abhängig vom Zustand des Materials.
Schlucken oder Sprechen? Der Kehlkopf im Dauerkonflikt
In unserem Kehlkopf vereinen sich mit den Fähigkeiten des Schluckens und des Sprechens zwei Funktionen, die vom physiologischen Ablauf gesehen, konträrer nicht sein könnten. Möchten wir die Fähigkeit der Stimmgebung sowie dessen Anfälligkeit besser verstehen, muss auf diese Leistung, und den dadurch entstehenden permanenten „Entscheidungskonflikt“ des Kehlkopfs näher eingegangen werden.
Der Kontakt des Kehlkopfs zur Luftröhre zeigt den direkten Zusammenhang zum Atemsystem. Entwicklungsgeschichtlich betrachtet ist unsere Stimmfunktion eine Sekundärfunktion der Atmung. „Nur“ sekundär deshalb, da dem Kehlkopf innerhalb der Evolution primär die Aufgabe zukam, Luftröhre und Lunge vor Fremdkörpern zu schützen Diese überlebenswichtige primäre Schutzfunktion kontaktieren wir heute noch ca. 600-2000-mal pro Tag: In dem Moment, in dem wir schlucken.
Ein komplexer Ablauf, bei dem der Kehlkopf Schutz und Verengung, auf „dicht machen“ programmiert wird: Der Kehlkopf hebt sich, die Stimmlippen und die darüber liegenden Taschenfalten schließen, die Zunge verfestigt sich und sorgt durch ihren Abrollvorgang dafür, dass sich der Kehldeckel schützend über den Kehlkopf legt, die Atmung wird angehalten, der Kiefer und Nacken spannen sich an.... Dies sind nur einige der kehlverengenden Abläufe, die in Bruchteilen von Sekunden dafür sorgen, dass Speichel und Nahrung statt in die Luftröhre in die Speiseröhre gepresst werden, und so die Gefahr des Verschluckens gebannt wird. Gerät dennoch etwas in die „falsche Kehle“, bewahren uns Schutzreflexe wie Husten und Würgen vor Schlimmerem. Solche, über das Stammhirn gesteuerten Reflexe, “greifen” in der Regel sehr schnell.
Ist der Schluckvorgang beendet, senkt sich der Kehlkopf, Stimmlippen und Taschenfalten lösen, Zunge, Kiefer und Nacken entspannen sich, die Atmung fließt weiter. Wir sind wieder in der Lage zu sprechen.
Die sekundäre Klang- und Kommunikationsfähigkeit der Kehle wird einem deutlich späteren Entwicklungszeitpunkt zugeordnet und bildet sich in einer anderen Hirnregion, dem Neocortex ab.
Die Tatsache, dass wir uns stimmlich verständigen können, kann nahezu als eine „Luxuszugabe“ der Natur bezeichnet werden. Dadurch ist sie deutlich störungsanfälliger. Denn auch, wenn wir in unserem Alltag kaum auf die Stimme verzichten möchten: Im Extremfall kann der Mensch ohne Stimme überleben.
So befindet sich der Kehlkopf im permanenten Spannungsfeld zwischen Schutz und Schutzlosigkeit, Kehl-enge und Kehl-weite, Luft anhalten und weiteratmen, Kontrolle und Kontrollabgabe, Gewebe verdichten und Resonanzfähigkeit.
....Fortsetzung in der nächsten Ausgabe am 6.10.2022
Über den Autor
staatl. gepr. Logopädin
funktionale Stimmbildnerin
Leiterin der Praxis für Logopädie „Wort und Klang“, Herborn