Hämostaseologie

„Die Lehre von der Blutgerinnung“

Der Begriff „Hämostaseologie“ kommt aus dem Altgriechischen, abgeleitet von den Begriffen „Haima“ (Blut) und „Philos“ (Freund). „Die Gerinnung“ sollte kontrolliert werden, wenn es ohne adaequaten Auslöser zu Blutungsereignissen oder Thrombosen / Embolien gekommen ist. Die Ursache für solche Komplikationen zu finden, ist meist relativ kompliziert und aufwändig – hier ist der Hämostaseologe gefragt.

Hämostaseologen sind Fachärzte wie z.B. Internisten, Kinderärzte, Transfusionsmediziner, die eine zusätzliche Ausbildung für Gerinnungserkrankungen absolviert haben. Da Gerinnungsanalytik sehr störanfällig ist, kann schon das Stehenlassen der Blutproben bis zum Transport in ein weiter entferntes Labor oder das Verschicken der Proben per se Veränderungen auslösen, die letztendlich zu falschen Ergebnissen und damit zu Fehldiagnosen führen. Daher arbeiten Hämostaseologen immer eng – am besten an einem Standort – mit einem Gerinnungslabor zusammen, sind bestenfalls selbst für das Labor verantwortlich: Eine optimale Gerinnungsanalytik kann immer nur dort erfolgen, wo hämostaseologische Beratung und Diagnostik eng verknüpft sind.

Bei Patienten mit Blutungsneigung – blauen Flecken, Nachblutungen nach Schnittverletzungen oder Zahnbehandlung, Blutungen bei / nach operativen Eingriffen, verstärkter Menstruationsblutung – macht der Hämostaseologe zunächst eine genaue Anamnese, um herauszufinden, ob der betreffende Patient schon immer verstärkt geblutet hat oder erst seit kurzen eine Blutungsneigung entwickelt hat. Es schließen sich umfangreiche Laboruntersuchungen an – für den Patienten nur eine Blutentnahme, selbst für spezialisierte Laboratorien aber u.U. eine Herausforderung: es wird getestet, ob die Blutungsneigung durch defekte Blutplättchen, durch Verminderung von Gerinnungsfaktoren oder durch Medikamenteneinnahme verursacht wird. Die häufigste erworbene Blutungsneigung ist die Einnahme Aggregations-hemmender Substanze wie Aspirin. Häufigste erbliche Blutungsneigung ist das sogenannte von Willebrand Syndrom, welches insbesondere zu Schleimhautblutungen, starker Menstruationsblutung und Blutungen bei operativen Eingriffen führt. Problem bei der Diagnostik des von Willebrand Syndroms ist, dass es – im Gegensatz zu Mangelzuständen anderer Gerinnungsfaktoren - durch die sogenannten Routine-Gerinnungs-Teste Quick und aPTT nicht auffällt, sondern dass zur Detektion dieser Erkrankung von vorne herein Spezialteste notwendig sind, die nicht in jedem Labor verfügbar sind. Das ist mit Ursache dafür, weshalb es von den ersten Symptomen bis zur Diagnose-Stellung „von Willebrand Syndrom“ meist viele Jahre dauert. Ist die Diagnose eines von Willebrand Syndroms oder einer anderen Blutungsneigung aber erst einmal gestellt, kann durch Behandlungsanweisungen z.B. für den nächsten operativen Eingriff eine erneute schwere Blutung vermieden werden.

Bei Patienten mit thromboembolischen Komplikationen gibt es eine Fülle von Risikofaktoren, die zur Thrombose Gefährdung beitragen, wie z.B. Immobilisation, operative Eingriffe, Exsikkose, Schwangerschaft, „Pille“, maligne Erkrankungen und viele mehr. Darüber hinaus existieren aber auch erbliche und erworbene Störungen des Gerinnungssystems, die zur Thrombose Gefährdung beitragen – diese zu entdecken, ist Aufgabe des Hämostaseologen. Für den Patienten bedeutet dies, in einem Arztgespräch genaue Angaben zur Anamnese zu machen, um Risikofaktoren identifizieren zu können. Anschließend wird meist eine Blutentnahme durchgeführt, um Gerinnungsteste durchführen zu können – eine aufwändige Arbeit für das zuständige Labor. Die Testergebnisse sind jedoch wichtig – sowohl für den Patienten als u.U. auch für seine Familie: Falls ein schwerwiegender (häufig erblicher) Thrombose Risikofaktor bei den Laboruntersuchungen detektiert wird, hat dies Einfluss auf die Dauer der Gerinnungs-hemmenden Behandlung nach einem thromboembolischen Ereignis. Darüber hinaus empfiehlt sich in solch einem Fall Untersuchung von Familienangehörigen, um Thrombosen bei Angehörigen im besten Fall verhindern zu können.

Hämostaseologie - das ist aber noch viel mehr als die Abklärung von Blutungs- oder Thrombose-Neigung: Wir wissen heute, dass das System der Blutgerinnung eng verknüpft ist mit vielen anderen Systemen des Körpers und damit Einfluss hat auf Entstehung von Gefäßen, Tumorwachstum, Infektabwehr…

Über den Autor

Dr. med. Bettina Kemkes-Matthes
Dr. med. Bettina Kemkes-Matthes
Bioscientia MVZ Labor Mittelhessen, Gießen
Aktuelle Ausgabe2/2024