Prävention der Adipositas vor und nach der Geburt

Die Adipositas ist eine weltweit rapide zunehmende Erkrankung.

Sie gilt als eine chronische Erkrankung, die weitere Erkrankungen begünstigt und nach sich zieht. Die erworbene Zuckererkrankung (Diabetes Mellitus Typ 2), der hohe Blutdruck (Hypertonie) und die Tumorerkrankungen sind alle in hohem Maße mit der Adipositas verbunden. Umso wichtiger ist es, die Adipositas zu verhindern. Denn anders als bei vielen anderen Erkrankungen besteht die Möglichkeit sie sicher zu verhindern.

Die Entstehung der Adipositas beruht auf einem vielschichtigen System von unterschiedlichen Bedingungen. Niemals ist es ein einziger Faktor, der für die Erkrankung verantwortlich ist. So spielen genetische Faktoren (Sind die Eltern, die Großeltern ebenfalls zu dick?), Umwelt- und gesellschaftliche Faktoren (Welches Essen spielt in der Gesellschaft eine Rolle und wie werden Lebensmittel beworben?) und natürlich Faktoren der individuellen Ernährungsweise eine Rolle. Da sich in der heutigen modernen Gesellschaft kein Mensch mehr allein aus dem eigenen Anbau von Lebensmitteln versorgen kann, ist er auf industriell hergestellte Lebensmittel angewiesen. In diesen Lebensmitteln befindet sich nahezu immer ein Anteil von Zucker und Fett. Beide Substanzen tragen natürlich zur Entwicklung der Adipositas bei.

Besonders wichtig in der Vorbeugung einer Adipositas-Erkrankung ist die Zeit kurz vor der Geburt und in den ersten 1000 Tagen im Leben eines Menschen.

In den ersten Monaten unseres Lebens findet anscheinend eine dauerhafte Konditionierung unseres Organismus auf bestimmte Nahrung statt. Unsere Bakterienflora im Darm entwickelt sich in dieser Zeit und bleibt wie eine Art Fingerabdruck innerhalb gewisser Rahmen bestehen.

Ein hohes Geburtsgewicht (über 4000 g) gilt als wichtiger Risikofaktor. Andererseits ist ein niedriges Geburtsgewicht nicht automatisch gut und längst kein Garant für eine Vermeidung der Adipositas im späteren Leben. Außerdem ist das Geburtsgewicht nicht so einfach zu beeinflussen.

Wichtiger ist deswegen die Zeit unmittelbar nach der Geburt, während der wir die Ernährung des Babys leicht beeinflussen können. In dieser Zeit ist der „rasche Gewichtszuwachs“ ein Risikofaktor. Auch wenn sich die Eltern und Großeltern darüber freuen mögen, dass das Baby so „rund“ und „propper“ aussieht, ist die Haltung, „das Baby muss ordentlich zunehmen“ nicht richtig. Meistens hängt die Gewichtszunahme mit der „Art der Ernährung“ zusammen. So ist in umfangreichen Studien bereits bewiesen, dass Kinder, die längere Zeit gestillt werden im Vergleich von Kindern, die mit Formula-Kost ernährt werden, ein deutlich geringeres Risiko haben im späteren Leben an Adipositas zu erkranken. Auch die frühe Einführung der so genannten „Bei-Kost“ führt zu einem erhöhten Risiko für spätere Adipositas.

Das Körpergewicht der Mutter, vor und zu Beginn der Schwangerschaft ist ein weiterer Faktor für die Neigung des Kindes an Adipositas zu erkranken. Die Zahl übergewichtiger Mütter ist gestiegen. Etwa 16% aller schwangeren Frauen weisen zu Beginn der Schwangerschaft einen Body-Mass-Index von über 30 kg/m2 auf. Dazu kommt, dass etwa 50% aller Schwangeren den empfohlenen Gewichtszuwachs während der Schwangerschaft von ca. 11 kg – 16 kg überschreiten. Am stärksten davon betroffen sind Frauen, die bereits vor der Schwangerschaft zu dick waren. Ein Teufelskreis.

Als Faktor zur Adipositas-Entwicklung für Frauen im gebärfähigen Alter trägt auch der Gewichtsbehalt nach der Geburt bei. Viele der Frauen nehmen nach einer Geburt nicht mehr genügend ab. Für die nächste Schwangerschaft bestehen damit sofort schlechte Voraussetzungen. Auch für dieses Problem scheint das Stillen eines Kindes einen positiven Effekt zu haben. Stillende Mütter nehmen nach der Geburt schneller wieder ab, als Mütter, die ihre Kinder mit Formula-Kost ernähren. Auch hier ist zu sehen, dass gerade adipöse Mütter weniger häufig stillen.

Frauen sollten daher bereits zu Beginn einer Schwangerschaft eine Normalisierung des Körpergewichts anstreben und auf eine ausgewogene Ernährung achten. Das bundesweite Netzwerk „Gesund ins Leben“ im Bundeszentrum für Ernährung (BZfE) hat wissenschaftlich basierte Empfehlungen für einen gesunden Lebensstil vor und während der Schwangerschaft veröffentlicht, um der Adipositas-Entwicklung vorzubeugen.

Warum ist es so schwierig diese im Grunde einfachen Gedanken in die Tat umzusetzen und damit einen wichtigen Schritt zur Gesundheit unserer Kinder und langfristig unserer Gesellschaft zu tun?

Die Antwort ist vielschichtig:

Die Änderung unseres Lebensstils, die dazu notwendig wäre, ist eine ganz individuelle Entscheidung und hängt von jedem einzelnen Menschen ab. Und unsere Entscheidungen werden nicht immer an den Kriterien des Wissens und der Vernunft orientiert getroffen. Beispielsweise rauchen über 10% der schwangeren Frauen auch während ihrer Schwangerschaft weiter, obwohl ganz klar ist, dass dieses Verhalten eindeutig ihr Kind schädigen wird.

Die Aufklärung der breiten Bevölkerung über die oben beschriebenen Zusammenhänge zwischen der kindlichen Entwicklung vor und nach der Geburt und der Entwicklung der Adipositas ist mangelhaft. Die Hilfestellung durch die medizinischen Institutionen ist begrenzt.

Interessen der Nahrungsmittelindustrie stehen gegen Maßnahmen, die eine Veränderung des Lebensstils unterstützen könnten. So ist bisher keine Besteuerung von dick machenden Lebensmitteln erfolgt, obgleich die Zusammenhänge längst klar sind.

Ein Verbot für auf Kinder gezielte Werbung für süße und fette Lebensmittel wäre ein weiteres wichtiges Mittel. Insgesamt 85% aller Kinder-Produkte haben einen zu hohen Gehalt von Zucker und Fett, sind also nach den Kriterien der Welt-Gesundheitsorganisation (WHO) ungesund. Es ist außerdem nachgewiesen, dass Lebensmittelwerbung auf Kinder einen wesentlich höheren Effekt hat als auf Erwachsene.

Genauso wie die Adipositas eine Erkrankung ist, die viele Ursachen hat, so muss die Bekämpfung dieser Erkrankung auf vielen verschiedenen Ebenen ansetzen.

Ich habe nur einige Punkte herausgegriffen, die eine Ansatzmöglichkeit bieten. Eine Besteuerung von Zucker oder ein Verbot bestimmter Werbung wären politische Entscheidungen. Vermehrte Aufklärung und das Angebot von Programmen wären Maßnahmen der Krankenkassen und der medizinischen Institutionen. Darauf haben wir aber alle keinen direkten Einfluss.

Die einzige Möglichkeit, die wir selbst in der Hand haben und damit einen direkten Einfluss auf die Entwicklung der Erkrankung bei unseren Kindern nehmen können, ist die individuelle Entscheidung, unsere Gewohnheiten ein wenig zu verändern und bestimmte Dinge einfach einmal etwas anders zu machen.

Zum Schluss drei Merksätze, die wie ich denke und hoffe nur einen geringen Widerspruch hervorrufen werden:

Alle werdenden Mütter wünschen sich ein gesundes Kind.

Gewichtskontrolle während der Schwangerschaft schützen Mutter und Kind.

Zu dicke Babys werden zu dicke Kinder und zu dicke Erwachsene.

Über den Autor

Dr. med. Thomas Friedrich-Hoster
Dr. med. Thomas Friedrich-Hoster
Ehemaliger Leitender Oberarzt Allgemeine, Viszerale und Onkologische Chirurgie Klinikum Wetzlar
Ärztlicher Leiter des Adipositaszentrum

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