Keiner mahnt uns so gewissenhaft, für unser Wohl zu sorgen
– wie der Schmerz.
Diese Worte von Emanuel Wertheimer beschreiben vortrefflich den akuten Schmerz, der für uns (über)lebenswichtig ist und beispielweise dafür sorgt, dass wir unsere Hand von der heißen Herdplatte zurückziehen oder einen gebrochenen Fuß nicht belasten.
(Emanuel Wertheimer (1846 - 1916), deutsch-österreichischer Philosoph und Aphoristiker ungarischer Herkunft)
Anders verhält es sich, wenn Schmerz chronisch wird, seine Warnfunktion verliert und zum ständigen Begleiter wird, der sich in alle Bereiche des Lebens einmischt: Von der Partnerschaft über den Freundeskreis bis zum Arbeitsplatz. Die schmerzbedingten Beeinträchtigungen steigen, die Seele leidet und die Lebensqualität sinkt. Nicht selten dauert es Jahre, bis Schmerzpatienten sich in die Behandlung spezialisierter Schmerztherapeuten begeben. Bis dahin spielen sich jedoch viele Prozesse ab, die eine weitere Chronifizierung bedingen. Es gilt, diese Chronifizierung durch eine frühzeitige, spezialisierte Behandlung zu verhindern bzw. aufzuhalten.
Wie viele Menschen leiden unter chronischen Schmerzen?
Nach Angaben der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. berichten etwa 23 Millionen Deutsche (28 Prozent) über chronische Schmerzen, 95 Prozent davon über chronische Schmerzen, die nicht durch Tumorerkrankungen bedingt sind. Legt man die „Messlatte“ der Beeinträchtigung durch die Schmerzen zugrunde, so erfüllen 6 Millionen Deutsche die Kriterien eines chronischen, nicht tumorbedingten, beeinträchtigenden Schmerzes. Die Zahl chronischer, nicht tumorbedingter Schmerzen mit starker Beeinträchtigung und assoziierten psychischen Beeinträchtigungen (Schmerzkrankheit) liegt bei 2,2 Millionen Deutschen. Neben dem Leid der Betroffenen hat die chronische Schmerzkrankheit auch immense volkswirtschaftliche Auswirkungen, beispielsweise durch Arbeitsunfähigkeiten und vorzeitige Berentung.
Doch wie sieht eine geeignete Therapie aus?
In der Therapie chronischer Schmerzen gibt es den Begriff des „bio-psycho-sozialen Schmerzmodells“. Das bedeutet, dass in der Behandlung neben den biologischen Ursachen auch die psychischen und sozialen Faktoren der chronischen Schmerzerkrankung berücksichtigt werden müssen. Diese Herangehensweise hat zur Entwicklung der „Interdisziplinären Multimodalen Schmerztherapie“ geführt. Es handelt sich um ein Behandlungskonzept, in dem neben der „klassischen“, z. B. medikamentösen Schmerztherapie auch psychotherapeutische und physiotherapeutische Ansätze einen hohen Stellenwert haben. Die Therapie wird hierbei auf die individuellen Bedürfnisse des Patienten abgestimmt, sodass die unterschiedlichen Bereiche teils unterschiedlich gewichtet werden. Letztlich ist die Schmerzkrankheit eines Patienten nämlich genauso individuell wie sein Fingerabdruck.
In der Klinik Falkeneck der Lahn-Dill-Kliniken in Braunfels wurde 2021 eine stationäre Therapieeinheit aufgebaut, in der die Interdisziplinäre Multimodale Schmerztherapie angeboten wird. Hier wird fachübergreifend in interdisziplinären Teams zusammengearbeitet, um den Patienten die bestmögliche Behandlung anbieten zu können. Die Therapie basiert auf wissenschaftlichen Grundlagen und Erkenntnissen der modernen Schmerzmedizin sowie auf langjährigen Erfahrungen. Verfahren der klassischen Medizin kommen ebenso wie jene der „sanften Medizin“ zur Anwendung. Einen großen Stellenwert hat auch die Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Haus- und Fachärzten, denn nur so kann langfristig eine erfolgreiche Behandlung sichergestellt werden.
Für wen eignet sich die stationäre Schmerztherapie?
In der stationären Schmerztherapie an der Klinik Falkeneck können alle Menschen behandelt werden, die unter chronischen Schmerzen leiden. Um welche Schmerzen es sich dabei handelt, ist zunächst zweitrangig. Häufige Schmerzbilder sind Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, Fibromyalgie sowie Schmerzen bei Gelenkverschleiß und bei rheumatischen Erkrankungen. Wichtige Voruntersuchungen hinsichtlich der Ursache der Schmerzen sollten bereits durchgeführt worden sein. Nur so ist eine zeitnahe, zielgerichtete Therapie möglich.
Was sind die Ziele der Behandlung?
- Verbesserung der Lebensqualität
- Entwicklung individueller Strategien im Umgang mit Schmerz
- Verringerung der Schmerzmedikation
- Verringerung der Schmerzstärke
- Förderung von Eigenaktivität
- Steigerung der körperlichen Beweglichkeit
Stationäre Schmerztherapie – und danach?
Die Behandlung der Schmerzen endet nicht mit der stationären Entlassung. Die Patienten sollen aus der Behandlung etwas mitnehmen, was Sie in Ihrem Alltag einsetzen können, denn eine Jahre oder Jahrzehnte bestehende Schmerzerkrankung bedarf eines langfristig ausgelegten Therapieansatzes.
Zusätzlich bestehen Kooperationen mit weiteren Einrichtungen, um eine eventuell erforderliche Folgebehandlung zu ermöglichen. Beispiele hierfür sind die Kliniken der VITOS-Gruppe und des Universitätsklinikums Gießen sowie der Schmerz-Schwerpunkt des Fachbereichs Psychologie und Sportwissenschaft der Universität Gießen.
Kurzportrait Schmerz- und Wirbelsäulentherapie an der Klinik Falkeneck
Die Schmerz- und Wirbelsäulentherapie wurde am Krankenhaus Falkeneck 2021 in Braunfels neu etabliert. Im Bereich der stationären Schmerztherapie werden unter der Leitung von Chefarzt Priv.-Doz. Dr. med. Hagen Maxeiner alle Arten chronischer Schmerzzustände behandelt. Einen besonderen Schwerpunkt stellt die „Interdisziplinäre Multimodale Schmerztherapie“ dar.
In der Abteilung Wirbelsäulentherapie, geführt von der Leitenden Ärztin Susanne Markgraf, werden akute wie chronische Beschwerden der Wirbelsäule behandelt. Neben medikamentösen und physiotherapeutischen Maßnahmen kommen hier zielgerichtete Infiltrationen im Bereich des gesamten Achsenskelettes zur Anwendung.
Beide Bereiche arbeiten interdisziplinär in professionellen Teams zusammen. Berufsgruppenübergreifend besteht eine ausgewiesene Qualifikation und Expertise.
Zusätzlich gewährleisten die orthopädischen und schmerztherapeutischen Praxen des MVZ Praxisklinik in Mittelhessen am Standort Braunfels unter Susanne Markgraf und Dr. Kerstin Diehlmann die weitere fachärztlich ambulante Betreuung.
Über den Autor
Chefarzt Stationäre Schmerztherapie, Klinik Falkeneck Braunfels