Craniomandibuläre Dysfunktion
Woher kommen Kieferschmerzen, Muskelschmerzen im Kopf- Hals Bereich?

Wer kennt das nicht? Schmerzen im Bereich des Kiefergelenks, Knacken im Kiefergelenk beim Gähnen und Kauen, Gesichtsschmerzen, Rückenschmerzen, knirschen und pressen im Schlaf, Ohrgeräusche, etc.........

Viele Menschen leiden an Beschwerden der Kaumuskulatur und des Kiefergelenks. Mit dem Begriff Kieferschmerzen werden normalerweise all jene Beschwerden bezeichnet, die den Kauapparat betreffen, welcher sich aus den Kiefergelenken, den Zähnen, dem Kieferknochen und der Kaumuskulatur zusammensetzt. Schmerzen im Kiefer können sehr unangenehm sein und eine Vielzahl von Gründen haben, häufig ist jedoch nächtliches Zähneknirschen die Ursache, durch welches die Kauflächen der Zähne stark abgenutzt werden und infolge dessen Verspannungen entstehen. Neben dem kommen aber beispielsweise auch bakterielle oder virale Entzündungen im Kieferknochen oder Kiefergelenk, Fehlstellungen der (Weisheits-)Zähne oder eine Funktionsstörung der Kiefergelenke bzw. Craniomandibuläre Dysfunktion (CMD) in Betracht, bei der die Schmerzen häufig auch auf andere Bereiche des Körpers (Kopf, Rücken, Ohren etc.) ausstrahlen. In vielen Fällen berichten Betroffene von diffusen Schmerzen im Bereich des Kiefers, durch welche alltägliche Handlungen wie Sprechen, Trinken oder Kauen unter Umständen massiv beeinträchtigt sein können. Dementsprechend sollten Kieferprobleme immer zahnärztlich abgeklärt werden, um gesundheitliche Risiken zu vermeiden.

Ursachen

Eine sehr häufige Ursache für Kieferschmerzen auf der rechten und/oder linken Seite sind Verschleißerscheinungen im Bereich des Kiefergelenks (Kiefergelenkarthrose). Die Kiefergelenke stellen die beiden meist benutzten Gelenke des Körpers dar, die nicht nur durch das Beißen und Kauen, sondern auch durch das Sprechen und Schlucken ständig in Bewegung sind. Durch die dauerhaft starke Belastung steigt das Risiko für eine Kiefergelenkarthrose mit zunehmendem Alter erheblich an. Neben dem können aber auch Fehlbelastungen der Kieferknochen der Grund sein, die wiederum häufig durch den Verlust von Backenzähnen, aber auch durch falsch angepassten bzw. abgenutzten Zahnersatz oder alte, verschlissene Zahnfüllungen entstehen können. Auch Karies, Parodontitis, Verletzungen oder Entzündungen können Auslöser einer Kiefergelenksarthrose sein, ebenso wie das nächtliche Zähneknirschen (Bruxismus), von dem mittlerweile eine Vielzahl Erwachsener, aber auch schon Kinder betroffen sind. Bei diesem werden die Zähne unbewusst so stark aufeinandergepresst oder aneinander gerieben, dass eine Überbelastung der Kaumuskeln und Kiefergelenke entsteht, welche häufig zu irreparablen Schäden am ganzen Kausystem führt.

Häufig äußert sich eine Arthrose in diesem Bereich zunächst durch Reibe-, Knack- und Knirschgeräusche im Kiefergelenk, hinzu kommt meist eine eingeschränkte Beweglichkeit des Kiefers. Typisch ist außerdem, dass Betroffene nicht nur chronische Kieferschmerzen beim Gähnen, Kauen, Sprechen oder Öffnen des Mundes verspüren, sondern häufig auch unter Kopfschmerzen sowie Beschwerden im Bereich des Nackens, der Schulter oder der Ohren leiden.

Auch Weisheitszähne können der Grund für ausgeprägte Kieferschmerzen sein, verursacht meist dadurch, dass einer bzw. mehrere dieser Zähne keinen ausreichenden Platz im Kiefer haben. Bei den Weisheitszähnen handelt es sich um die letzten Zähne bzw. die dritten Backenzähne (Molare) im Ober- und Unterkiefer, die vom Zahnarzt auch als „8er“ bezeichnet werden. Bei diesen dritten Molaren handelt es sich im Grunde um ein Relikt aus der Vorzeit, als der Mensch die Nahrung noch stärker durch Kauen zerkleinern musste als heute – dementsprechend stellen die vier Weisheitszähne ein sogenanntes „Rudiment“ dar, da sie zwar noch sehr häufig auftreten, zugleich aber heute gar keine Funktion mehr haben. Die 8er brechen in den meisten Fällen erst im Erwachsenenalter durch, obwohl bei nur etwa 50% der Menschen überhaupt ausreichend Platz im Kiefer vorhanden ist, wodurch die Zähne häufig auch vollständig im Kiefer eingeschlossen bleiben oder nur zum Teil durchbrechen. Während im Kiefer verbleibende Zähne normalerweise keine Beschwerden verursachen, kommt es bei einem Durchbruch durch den mangelnden Platz gerade im Unterkiefer sehr häufig zu starken Kieferschmerzen, die oft erst langsam beginnen, dann aber nach und nach stärker werden und häufig zudem von Kopfschmerzen begleitet werden. Können die Zähne aufgrund des Raum-Mangels nur zum Teil durchbrechen („Dentitio difficilis“), kommt es durch angesammelte Speisreste und Bakterien zudem schnell zu einer akuten oder chronischen Entzündung, die meist mit einem „pochenden“ Schmerz einhergeht, der häufig bis zum Ohr und der Schläfe ausstrahlt. Brechen die Weisheitszähne nur in einem Kiefer durch, können diese zudem durch den fehlenden Zahn im Kiefer gegenüber (Antagonist bzw. „Gegenspieler“) zu einem Gleithindernis werden. Dadurch besteht wiederum ein erhöhtes Risiko für Zahnschädigungen, Zähneknirschen (Bruxismus) und Kiefergelenksbeschwerden, welche letztendlich starke Zahnschmerzen zur Folge haben können.

Auch nach einer Weisheitszahn-Operation können Kieferschmerzen auftreten. Diese stellen in der Regel keinen Grund zur Sorge dar, sondern sind ebenso wie Schwellungen, blaue Flecken oder eine eingeschränkte Mundöffnung normale Begleiterscheinungen des operativen Eingriffs. Die Beschwerden sollten jedoch insgesamt von Tag zu Tag besser werden – andernfalls kann es sich auch um eine Komplikation wie die so genannte „Alveolitis sicca“ (auch „trockene Alveole“), handeln, welche sich häufiger insbesondere nach der Entfernung der Weisheitszähne des Unterkiefers durch starke postoperative Schmerzen sowie teilweise auch durch Mundgeruch äußert. Verursacht wird die Alveolitis sicca durch einen bakteriellen Zerfall oder den Verlust (z.B. infolge starken Spülens) des Koagulums (Blutgerinnsel), wodurch der Knochen in der Folge ungeschützt frei liegt und starke Schmerzen bereitet. Da der Schmerz ohne zahnärztliche Behandlung nicht vergeht, ist es in diesem Fall unverzichtbar, den Zahnarzt erneut aufzusuchen, damit die Wunde nochmals behandelt werden kann. Gleiches gilt, wenn die Blutung infolge der OP auch nach einigen Tagen nicht nachlässt und /oder weitere Symptome wie Fieber, Schüttelfrost oder starke Schluckbeschwerden auftreten.

Kieferschmerzen und Ohrenschmerzen

Da das Kiefergelenk, der äußere Gehörgang und das Mittelohr nah beieinander liegen, kann es ebenso vorkommen, dass Probleme aus dem Kieferbereich auf die Ohren übergreifen, wodurch es in der Folge auch zu Ohrenschmerzen kommt. Beispiele können hier Fehlstellungen des Gebisses, Abnutzungserscheinungen oder Entzündungen sein, besonders häufig kommt es allerdings dazu, dass Schmerzen in Folge von durchbrechenden bzw. schief wachsenden Weisheitszähnen, Karies oder Wurzelentzündungen bis in den Ohrbereich ausstrahlen. Auch verspannte Kaumuskeln können Kieferschmerzen hervorrufen, die so stark werden, dass sie bis zum Ohr ausstrahlen. Unabhängig von der Ursache sollten Beschwerden im Kiefer, die auch die Ohren betreffen, immer von einem Zahnarzt begutachtet werden, denn häufig lassen sich diese recht schnell und unkompliziert, beispielsweise durch eine individuell angefertigte Aufbißschiene lindern.

Kieferschmerzen Knacken /CMD

Tritt neben den Schmerzen im Kiefer ein unüberhörbares Knacken beispielsweise beim morgendlichen Gähnen oder verstärktes Zähneknirschen (Bruxismus) auf, kann dies auch auf eine sogenannte „Craniomandibuläre Dysfunktion“ (CMD) hindeuten. Der Begriff CMD (lateinisch „cranium“ für Schädel, „mandibula“ für Unterkiefer und „Dysfunktion“ für Störung), wörtlich übersetzt also „Schädel-Unterkiefer-Störung“ umfasst übergreifend eine Reihe klinischer Symptome der Kaumuskulatur und/oder des Kiefergelenks sowie der dazugehörenden Muskeln und Knochen (Ober- und Unterkiefer bzw. Schädel). Eine CMD, häufig auch als „gestörter Biss“ bezeichnet, kann mit einer Vielzahl von Symptomen einhergehen, wobei in erster Linie neben Zahnschmerzen Schmerzen in der Kaumuskulatur und im Bereich der Kiefergelenke auftreten, die meist durch Kauen oder andere Unterkieferbewegungen noch stärker werden. Die Störung kann sich jedoch auch auf den ganzen Körper auswirken und dadurch beispielsweise die Ursache von Ohrenschmerzen, Ohrensausen bzw. Tinnitus, Schwindel, Sehstörungen, Kopf- und Gesichtsschmerzen, Problemen bei der Mundöffnung oder Mundbrennen sowie Verspannungen im Nacken und Rücken sein. Bei vielen Betroffenen zeigen sich zudem eine stark ausgeprägte Kaumuskulatur (Hypertrophie) sowie teilweise massive Abnutzungserscheinungen der Zahnhartsubstanzen durch das Aufeinanderpressen der Kiefer und Knirschen mit den Zähnen. Typisches Kennzeichen ist außerdem, dass CMD-Patienten, vor allem bei akuten Beschwerden, davon berichten, dass die Zähne nicht mehr richtig aufeinander passen bzw. ein bestimmter Zahn „stört“. Eine CMD betrifft etwa 5-10% der erwachsenen Bevölkerung, wobei Betroffene oft gar nicht wissen, dass ihre Beschwerden auf einen „falschen Biss“ zurückzuführen sind. Da die Dysfunktion neben einer Reihe spezifischer auch viele unspezifische Symptome verursachen kann, besteht häufig kein klar erkennbarer Zusammenhang zwischen dem Kauapparat und Beschwerden wie beispielsweise starken Kopfschmerzen – wodurch diese oftmals über Jahre hinweg fehldiagnostiziert und falsch therapiert werden.

Eine craniomandibuläre Dysfunktion kann verschiedene Ursachen haben, häufig sind Bissveränderungen der Grund, hervorgerufen beispielsweise durch fehlende Zähne oder falsch sitzenden Zahnersatz. Häufig ist CMD aber auch eng mit negativem Stress und außergewöhnlichen psychischen Belastungen verbunden, wodurch es zu verstärktem Aufeinanderpressen der Kiefer oder Zähneknirschen kommt. Weitere mögliche Ursachen sind Traumata der Halswirbelsäule (HWS-Syndrom) oder der Kiefergelenke beispielsweise infolge eines Unfalls oder Sturzes, Fehlhaltungen des Oberkörpers, Operationen im Kopf- und Halsbereich oder Stoffwechselstörungen. Darüber hinaus können auch „schlechte Angewohnheiten“ wie permanentes Kaugummi oder Fingernägel kauen zu einer CMD führen, da durch diese die Kaumuskulatur dauerhaft überlastet und eine unnatürliche Stellung des Unterkiefers begünstigt wird.

Therapie bei craniomandibulärer Dysfunktion

Im Falle einer CMD ist normalerweise eine interdisziplinäre Behandlung sinnvoll und wichtig, bei der die Störungen im Mund zahnärztlich korrigiert werden. Auswirkungen auf andere Bereiche (wie zum Beispiel auf die Körperhaltung und -statik) werden dann jedoch von entsprechenden Fachärzten (wie Orthopäden, HNO-Spezialisten, Neurologen etc.) therapiert. Bewährt hat sich in der Behandlung sowohl bei einer akuten als auch einer dauerhaften CMD eine so genannte „Aufbißschiene“ (medizinisch: Okklusionsschiene) aus Kunststoff. Diese vermindert zum einen das Zähneknirschen oder Aufeinanderpressen der Kaumuskeln und schützt dadurch die Zähne dauerhaft vor weiterer Abnutzung. Zum anderen kann die Schiene helfen, Verspannungen in der Kaumuskulatur zu lösen und dadurch Schmerzen zu lindern, darüber hinaus kann beispielsweise wirkungsvoll ein „knackender Kiefer“ verringert sowie die Position der Kiefergelenke korrigiert und stabilisiert werden. Die Schiene wird nach einem exakten Gebiss-Abdruck individuell angefertigt – was notwendig ist, da schon eine kleine Unregelmäßigkeit im Biss eine CMD zur Folge haben kann und durch eine unpassende Schiene dementsprechend die Symptome noch verstärkt werden können. Je nachdem, wie ausgeprägt die Störung ist, wird die Schiene entweder nur nachts, teilweise aber auch rund um die Uhr getragen, damit sich der „falsche Biss“ dauerhaft verändern kann, muss sie zudem regelmäßig kontrolliert und bei Bedarf angepasst werden. Bei akutem Schmerz können außerdem Medikamente zur Linderung eingesetzt werden – wobei diese nicht die eigentlichen Ursachen der CMD beseitigen können und dementsprechend nur nach genauer Absprache mit dem/den behandelnden Arzt/Ärzten eingenommen werden sollten.

Auch physiotherapeutische Maßnahmen bieten oft eine sehr gute Hilfe, indem nicht nur Störungen der Kaumuskulatur und/oder des Kiefergelenkes erfolgreich behandelt werden, sondern beispielsweise auch Übungen für eine verbesserte Mundöffnung erlernt werden können. Darüber hinaus kommen häufig auch physikalische Maßnahmen (Wärme, Kälteanwendungen, Rotlicht usw.), Akupunktur sowie Osteopathie und die Craniosacral-Therapie zum Einsatz.

Für akute Fälle lassen sich zudem Aqualizer einsetzen. Dies ist eine vorgefertigte Sofort-Schiene mit Wasserfüllung. Schmerzen und Verspannungen werden sehr schnell deutlich gelindert. Er dient als sinnvolle Unterstützung zur regulären Therapie.

Über den Autor

Dr. Kai Fischer
Dr. Kai Fischer
Zahnarzt
Aktuelle Ausgabe2/2024