Ist die Kneipp-Therapie wirksam?

Die Kneipp-Therapie ist heute im deutschen Gesundheitswesen fest verankert. Sie beruht auf einem nach dem Pfarrer Sebastian Kneipp (1821–1897) benannten Behandlungsverfahren, das Wasseranwendungen, Pflanzenwirkstoffe, Bewegungs- und Ernährungsempfehlungen beinhaltet. Diese können sowohl vorbeugend (präventiv) als auch zur Behandlung bestehender Erkrankungen (kurativ) eingesetzt werden.

Gerade Bewegung und Ernährung sind durch Studien wissenschaftlich gut begründet und gehören inzwischen heute in der Vorbeugung und Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und anderen Zivilisationskrankheiten sowie Atemwegsinfektion zur konservativen Behandlung. Historisch betrachtet ist es aber bei der Kneipp-Medizin besonders die Hydrotherapie, die das Konzept gegenüber anderen ganzheitlichen Gesundheitskonzepten der heutigen Zeit so einzigartig macht. So wurde ihr Begründer auch als der „Wasserdoktor“ bekannt und berühmt. Viele Schulmediziner setzen Kneipp-Anwendungen komplementär ein. Kneipp-Verfahren gehören auch in zahlreichen Rehabilitations- und Kureinrichtungen zur Regelversorgung.

Gerade im Angesicht zunehmender Zivilisationskrankheiten und Multimorbidität bei älteren Menschen kommt der Kneipp-Therapie nicht nur aus medizinscher, sondern auch aus ökonomischer Sicht eine wichtige Rolle in der Gesundheitsversorgung zu. Gleichzeitig wünschen sich rund drei Viertel der Bevölkerung eine ärztliche Versorgung, die auch naturheilkundliche und komplementärmedizinische Methoden einbezieht. Doch wie steht es um die wissenschaftliche Effektivität der Kneipp-Medizin?

Forschergruppen der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München, des Instituts für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité – Universitätsmedizin Berlin, der Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin der Evangelischen Kliniken Essen-Mitte (KEM) und der Versorgungsforschung der Technischen Universität (TU) München haben die bislang vorliegenden Studien zusammengefasst. Die Ergebnisse weisen auf positive und signifikante Effekt hin, auch wenn weitere Forschungsaktivitäten unbedingt erforderlich sind.

Nach diesen Analysen verbessert die Kneipp-Hydrotherapie die erkrankungsbezogene Lebensqualität bei Venenleiden, Bluthochdruck, leichter Herzschwäche, klimakterischen Beschwerden und Schlafstörungen. Kneipp-Kaltgüsse helfen Patienten mit einer chronisch-obstruktiven Atemwegserkrankung durch eine Reduktion der Atemwegsinfekte und Besserung des subjektiven Wohlbefindens. Eine Kneipp-Hydrotherapie lindert bei Kindern im Alter von 3 bis 6 Jahren Infektionen der Atemwege und reduziert die Fehltage der Kinder in Kindertagesstätten. Kneipp-Angebote lassen sich gut in Pflegeeinrichtungen anwenden und verbessern den Gesundheitszustand von Pflegebedürftigen. Eine klassische Kneipp-Kur in einem Kneipp-Kurort oder Heilbad kann den Gesundheitszustand bis zu einem Jahr signifikant verbessern („Anwendungen sind Zuwendungen“). Eine Studie zeigte, dass in den an der Studie teilnehmenden Kneipp-Seniorenheimen weniger Bedarfsmedikamente eingesetzt wurden als in Einrichtungen ohne Kneipp-Angebot. Das herausfordernde Verhalten demenzkranker Bewohner*innen ließ sich durch die Anwendung naturheilkundlicher Verfahren reduzieren, was wiederum für das Pflegepersonal eine Entlastung bedeutete.

Zusammenfassend zeigen sich in vielen Studien deutliche Hinweise auf positive Behandlungseffekte bei verschiedenen Erkrankungen. Als traditionelles Verfahren hat sich die Kneipp-Therapie in der Selbstbehandlung zu Hause bewährt, sie wird als ganzheitliches Therapiekonzept aber auch im ärztlich-internistischen Funktionsalltag vielfach sowohl zur Prävention als auch zur Therapie von Funktionsstörungen und bei der Behandlung organischer Erkrankungen und Leiden angewendet. Aktuell wird von verschiedenen Forscherteams untersucht, ob naturheilkundliche Therapieansätze auch bei Long-COVID hilfreich sein könnten.

Über den Autor

Prof. Dr. med. Martin Brück
Prof. Dr. med. Martin Brück
Chefarzt der Medizinischen Klinik I
Klinikum Wetzlar

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