Vom Bild zur Diagnose –
Eine rätselhafte seltene Erkrankung

Ein fiktiver Fall

Seit einigen Wochen fühlte sich die 45-jährige Patientin häufig müde und abgeschlagen. Obwohl sich in ihrem Leben mit Beruf und Familie eigentlich nichts verändert hatte, schob sie es zunächst schlichtweg auf zu viel Stress. Als neben der Müdigkeit auch ein nächtliches Schwitzen auftrat, begann sie, sich Sorgen zu machen und wendete sich an ihren Hausarzt. Der Hausarzt untersuchte sie, fand keine körperlichen Auffälligkeiten und nahm Blut zur Laboruntersuchung ab. Im Blutbild zeigte sich ein Entzündungswert, das sogenannte CRP, erhöht. Dieser Wert ist unspezifisch, er zeigt zwar eine Entzündungsaktivität im Körper an, kann aber nicht unterscheiden, ob es sich zum Beispiel um eine Blasenentzündung oder eine Lungenentzündung handelt.

Weiterhin zeigte sich im Labor eine stark erhöhte Blutsenkungsgeschwindigkeit. Dieser Wert gibt an, wie schnell die Blutkörperchen in einer ungerinnbar gemachten Blutprobe innerhalb einer Stunde durch die Schwerkraft absinken. Auch dieser Wert gab einen Hinweis auf eine Entzündung im Körper. Alle anderen Routinetests, die auf der Suche nach einer Entzündung durchgeführt wurden, waren unauffällig (Urinprobe, Röntgenbild der Lunge). Der Hausarzt entschied sich aufgrund der starken Symptome und der unklaren Situation für eine Therapie mit einem Antibiotikum, da er annahm, die verursachende Infektion im Körper nicht finden, wohl aber behandeln zu können.

Doch die Therapie führte nicht zur Besserung. Die Symptome wurden schlimmer, die Patientin musste nun häufig nachts die Schlafsachen wechseln, da sie von Schweiß durchtränkt waren. Sie verlor Gewicht und klagte immer häufiger über Rückenschmerzen. Der Hausarzt vermutete nun einen Tumor und wies die beunruhigte Patientin zur Tumorsuche in ein Krankenhaus ein. Hier durchlief sie weitere verschiedene Tests. So wurden ihr Darm und Magen gespiegelt und weitere Laboruntersuchungen durchgeführt. Doch eine Erklärung ihrer Symptome blieb aus. Schließlich wurde noch eine Computertomographie des Körpers durchgeführt, um einen möglichen Tumor zum Beispiel im Bauchraum oder Brustkorb entdecken zu können. Die erste Analyse der Bilder ergab einen vollständig unauffälligen Befund. Einige Zysten in der Niere und in der Leber, jedoch kein Hinweis auf einen bösartigen Tumor. Erst auf den zweiten Blick zeigte sich eine Besonderheit: Die Wand der Hauptschlagader (Aorta) zeigte sich verdickt. Diese Veränderung war diskret, mit nur ganz wenigen Millimetern war der Querschnitt der Aortawand verdickt. Auffälliger war jedoch, dass diese verdickte Wand deutlich Kontrastmittel aufnahm, ein feiner aber wichtiger Unterschied zum Normalbefund der Hauptschlagader. Der Radiologe stellte die Verdachtsdiagnose einer Aortitis, eine Entzündung der Hauptschlagader. Die behandelnden Ärzte überprüften, ob die gestellte Verdachtsdiagnose mit allen anderen Informationen schlüssig zusammenpasste und behandelten die Patientin anschließend mit Kortikosteroiden (Kortison). Innerhalb von wenigen Tagen ließen die Beschwerden deutlich nach und verschwanden schließlich ganz. Die Patientin konnte aus dem Krankenhaus entlassen werden, die Medikamente wurden ausgeschlichen und die Beschwerden traten nicht mehr auf.

Die Aortitis ist eine sehr selten vorkommende Entzündung der Hauptschlagader, manchmal werden auch ihre großen Äste befallen. Hierbei handelt es sich nur in seltenen Fällen um eine Entzündung durch Bakterien. Vielmehr wird die Entzündung durch immunvermittelte Reaktionen ausgelöst. Man spricht von einer sogenannten Vaskulitis (aus dem Lateinischen „vasculum“, Gefäßchen; das Anhängsel „-itis“ beschreibt die Entzündung eines Organs). Die Patienten erscheinen chronisch und manchmal schwer krank. Fieber, Nachtschweiß, Gewichtsverlust aber auch Rückenschmerzen oder Bauchschmerzen können auftreten. Das betroffene Blutgefäß kann sich durch die Wandverdickung verengen, so dass auch Durchblutungsstörungen auftreten können. In extremen Fällen, die lange ohne Behandlung bleiben, kann sich die Hauptschlagader aufweiten oder sogar platzen. Diagnostisch wegweisend sind meistens Schnittbilder des Körpers (Computertomographie, Kernspintomographie oder die Positronenemissionstomographie, kurz PET-CT). Die Diagnose ist für Ärzte schwierig zu stellen, da einerseits die Symptome oft auch bei anderen Erkrankungen vorkommen und weil andererseits die Erkrankung sehr selten ist. Zur Therapie werden die Immunreaktionen durch Kortison unterdrückt.

 

Über den Autor

Dr. med. Tobias Achenbach
Dr. med. Tobias Achenbach
Chefarzt Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie

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