Arzneiform Tablette
Historisches
Für viele gehört sie schon zum Frühstück dazu oder muß sogar noch eine halbe Stunde davor auf leeren Magen eingenommen werden: die Tablette. Sicherlich ist sie heutzutage unsere wichtigste und am meisten benutzte Arzneiform. Das war nicht immer so. Vor der Erfindung der Tablette waren Pillen und Pastillen wichtige orale Einnahmeformen, noch früher wurden Medikamente in teigiger Nahrung verpackt oder zur Überdeckung schlechten Geschmacks „verzuckert“. Erst im Jahre 1843 wurde die Tablettenpresse von dem Engländer William Brockedon erfunden. Er ließ sich eine Vorrichtung zum Verpressen von Natrium- und Kaliumcarbonat patentieren und beschäftigte sich auch mit dem Verpressen von Graphit zu Bleistiftminen. Die Tablettenherstellung im industriellen Maßstab begann erst Mitte der 1880er Jahre durch das Unternehmen Burroughs Wellcome & Co., wo eine Maschine entwickelt wurde, die pro Minute bis zu 600 Tabletten mit hoher Dosiergenauigkeit produzieren konnte. Die Firma bestand bis 1995, fusionierte dann mit Glaxo zu Glaxo Wellcome und ging später in GlaxoSmithKline (GSK) auf. Dieses Unternehmen kennen sicherlich viele von Ihnen, besitzt es doch weltbekannte Marken wie Zovirax, Formigran, Lamisil etc. Heutige Hochleistungsmaschinen (Rundläuferpressen) produzieren übrigens mehr als 500000 Tabletten pro Stunde!
Herstellung
Das Herstellen einer Tablette scheint also gar nicht so einfach zu sein, denn nur ganz wenige Pulver lassen sich einfach durch Anwendung von Druck dauerhaft zu einer festen Form verpressen. Aber selbst für diese sogenannte Direkttablettierung werden Hilfsstoffe benötigt. Die pro Tablette benötigte Wirkstoffmenge ist oft sehr klein. Man muß also zunächst Füllmittel zusetzen, um überhaupt auf eine ausreichende Pulvermenge zu kommen. Diese Füllmittel – wie auch alle anderen Hilfsmittel, die wir im Folgenden kennenlernen – dürfen keine eigene Wirkung im Körper haben, dürfen nicht mit dem Wirksoff reagieren und müssen völlig unbedenklich und unschädlich sein. Man verwendet oft Stärke, Mannit oder mikrokristalline Cellulose. Man muß weiterhin Trockenbindemittel zugeben, um eine Pulverpressung zu ermöglichen. Als solche werden oft Stärke, Milchzucker (Lactose), Cellulose oder synthetische Polymere (PEG, PVP) verwendet. Ist eine Direkttablettierung nicht möglich, muß vor der Tablettierung ein Granulat hergestellt werden.
Granulierung
Bei Granulieren werden die kleinen Pulverpartikel in größere Granulatkörner überführt, die uneinheitlich geformt sind. Für die Granulierung gibt es wiederum viele verschiedene Möglichkeiten (Sinter-, Klebstoff-, Feucht- oder Trockengranulierung etc.), die wir hier aber nicht näher betrachten wollen. Die erhaltenen Granulate fließen wesentlich besser und leichter als Pulver, da wegen der deutlich verkleinerten Oberfläche viel weniger Adhäsionskräfte wirken. Beim Verpressen der Granulate verhaken sich die uneinheitlich geformten Körnchen und die erhaltenen Tabletten haben eine wesentlich größere Festigkeit als nach einer Pulververpressung.
Tablettierung und Hilfsmittel
Betrachten wir nun den Vorgang der Tablettierung, bei dem ein Pulver oder Granulat über einen Trichter in eine Tablettiermaschine rieselt.
Um eine exakte Dosierung - oft im Bereich weniger Milligramm oder gar Mikrogramm Wirkstoff - zu gewährleisten, muß das Schüttgut von gleichmäßiger Korngröße sein. Es muß ganz gleichmäßig durch den Trichter rieseln, wozu Fließregulierungsmittel (oft hochdisperse Kieselsäuren oder Magnesiumstearat) und Schmiermittel (z. B. Talkum) zugesetzt werden müssen. Auch Formentrennmittel (z.B. Talkumstearat, Paraffin, Mg-stearat) sind wichtig. Sie sorgen dafür, daß die gepresste Tablette sich sofort und rückstandslos von der oberen und unteren Preßstempelfläche löst und keine Reste am Stempel kleben bleiben.
Ist nun die gewünschte Tablette fertig, soll sie sich natürlich nach dem Schlucken auch möglichst schnell auflösen und den Wirkstoff freigeben. Um das zu gewährleisten, werden beim Tablettieren als Hilfsmittel sogenannte Sprengmittel oder Zerfallsmittel zugesetzt. Oft sind dies einfach Stoffe, die mit Wasser bzw. Magensaft stark aufquellen und so die Tablette schnell zerfallen lassen. Dafür eignen sich spezielle Cellulosen oder Polyacrylsäure. Auch durch die Bildung von CO2 kann man eine Tablette zum Zerfall bringen. Man setzt dann Natriumhydrogenkarbonat zu. Die entstehende Kohlensäure zerfällt zu CO2 und Wasser, ein Effekt, den sie auch beim Auflösen einer Brausetablette beobachten können.
Tablettentypen
Wenn wir bisher von Tabletten gesprochen haben, so verstehen sie darunter zunächst wohl Peroraltabletten, also Tabletten, die durch den Mund aufgenommen werden, im Magen-Darm-Trakt zerfallen und ihren Wirkstoff freisetzen. Es gibt jedoch auch viele andere Tablettenformen.
Kautabletten werden im Mund zerbissen, zerkaut und geschluckt. Meist sind sie gutschmeckend und für Menschen wichtig, die nicht gut schlucken können. Oft werden sie gegen Sodbrennen verwendet, wo eine Wirkstofffreisetzung schon im Mund und in der Speiseröhre gewünscht ist, damit sofort eine Säurebindung einsetzt.
Oraltablettten sollen ihre Wirkung im Mund und Rachenraum entfalten. Es gibt sie als Lutschtabletten, Sublingualtabletten oder Bukkaltabletten.
Lutschtabletten sind Ihnen sicherlich am ehesten bekannt, denn viele Halsschmerztabletten werden als solche hergestellt. Sie setzen schmerzstillende oder desinfizierende Wirkstoffe im Mund frei, wo diese auf den Schleimhäuten sofort zu Wirkung kommen.
Sublingualtabletten legt man unter die Zunge, Bukkaltabletten in die Backentasche. Sie setzen dort sehr schnell ihre Wirkstoffe frei, die dann sofort über die Mundschleimhaut resorbiert werden und zur Wirkung kommen. Damit wird ein sehr schneller Wirkeintritt erreicht und ein Wirkungsverlust durch die primäre Leberpassage vermieden, der bei Wirkstoffresorption im Gastrointestinaltrakt zwangsläufig da ist.
Vaginaltabletten werden ebenfalls hergestellt und enthalten Wirkstoffe, die lokal in die Scheide eingebracht werden müssen, z.B. bei Pilzinfektionen, als Desinfizientia oder zum Verschieben des pH-Wertes.
Seltene Formen sind Implantationstabletten oder Stäbchenimplantate, die unter die Haut gesetzt werden und über sehr lange Zeiträume Hormone in sehr geringen Dosen freisetzen.
Nun haben Sie einen Überblick über die wichtigsten Tablettenarten und ihre Herstellung erhalten. Sie verstehen nun die vielen Hilfsstoffe besser, die fast jeder Beipackzettel auflistet, und können sich erklären, warum diese Bestandteile einer Tablette sein müssen.
Mit Tablettenüberzügen, die man braucht, um Retardwirkung oder veränderte Wirkstofffreisetzungen zu erreichen, beschäftigen wir uns in einem anderen Artikel.
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Apotheker