
Wie steht es um das viel zitierte „Kindeswohl“ in unserem Land?
Defizite im gesamten Kinder- und Jugendbereich - nicht nur im Gesundheitswesen
Kinder und Jugendliche stehen vermassungsgemäß unter besonderem Schutz und Fürsorge von Erwachsenen – Eltern, Verwandte, Erzieher, Betreuer in allen Lebensbereichen von Kita, Schule, Vereinen, Ärzten, der Justiz und nicht zuletzt der Politiker, die letztlich über die Finanzierung der großen Aufgabe in Stadt und Land entscheiden. In einer Übersicht werden zum Jahresende 2023 unverändert viele defizitäre „Akut- und Langzeitbaustellen“ angesprochen und angemahnt.
Dass Deutschland als eines der wohlhabendsten Länder der Welt in der Versorgung unserer jüngsten Generation seit Jahrzehnten auf vielen Gebieten – dokumentiert in unzähligen seriös wissenschaftlichen Studien - meist nur im Mittelfeld landet, ist alles andere als ein Ruhmesblatt. Schon eher eine Schande, denn in allen Altersstufen besteht vordringlicher Handlungsbedarf!
Sozial- Familienpolitik
Jeder politisch und gesellschaftlich engagierte Erwachsene muss bei seinen Entscheidungen neben der konkreten Finanzsituation immer auch individuell emotionale, soziale und kulturelle Folgen seiner meist langjährig weitreichenden Entscheidungen vorbehalts- und vorurteilsfrei „zum Wohl der Kinder“ abwägen und dann auch zügig treffen. Zu oft behindern endlose finanzielle, parteiinterne Differenzen sowie bürokratisch formale Hürden dringliche Beschlüsse. Die qualvoll zähe aktuelle Diskussion um die gesetzliche Kindergrundsicherung im Bundestag ist ein negatives Paradebeispiel für Streit auf Kosten der Schwächsten. Nicht nur Berufsverbände wie „Kinder- und Jugendmedizin“, Psychologen/Psychiater und Sozialverbände u.a. „Der Kinderschutzbund“, die sich seit Jahren kompetent mit den konkreten Erfordernissen des Kindeswohls beschäftigen, haben bereits im Vorfeld des aktuellen Gesetzgebungsverfahrens ihre Erfahrungen eingebracht. Kinderarmut in weiten Teilen Deutschlands ist eine sehr große, reale Baustelle: Doppelbelastung oder Arbeitslosigkeit der Eltern, Alleinerziehung, medizinische und psychosoziale Probleme, aktuell Zusatzbelastungen nach Covidpandemie oder der Ukrainekrieg, Geldsorgen wegen der Inflation sowie bundesweit die sehr hohe, bisher kaum kontrollierte Immigration mit großen, unabwägbaren Integrations- und Inklusionsanstrengungen für jährlich Millionen Zuwanderer dürfen keine Entschuldigung dafür sein, dass Kinder unter Armut, Ausgrenzung und fehlenden Entwicklungschancen leiden. Sozial/Familien/Arbeits- und Finanzminister samt Kanzler tragen große Verantwortung.
Kindergarten, Hort und Kitamitarbeiter stehen allermeist - bei gesetzlichem Anspruch auf frühe Kleinkindbetreuung - wegen erheblichen Personal-, Kapazitäts- und Ausstattungsdefiziten seit Jahren unter Dauerstress. Eigentlich selbstverständliche Vorgaben wie Raumanzahl, Geräteausstattung oder ausreichende Freizeitflächen zur Entfaltung des kindlichen Bewegungs- und Spieldrangs, die individuelle Förderung von emotionalen, sprachlichen, motorischen sowie sozialen oder interkulturellen Fähigkeiten sind häufig eingeschränkt. Ernährungs- und praktische Lebensberatung der Mütter z.B. gesunde Kost, Hygiene, Gesundheitsprophylaxe u.a. Kindervorsorgen samt Impfschutz, Zahnstatus, Gefahrenprävention erfordern viel Zeit, Geduld und liebevolle Zuwendung.
Die Suche nach qualifiziertem Personal – aber auch wesentlich mehr „gut angelernte“ arbeitsfreudige „Seiteneinsteiger“ wird durch eine unangemessene Vergütung und immer wieder bürokratische Hürden behindert. Dringende Abhilfe tut Not.
Schule und Jugend
Bereits im Prozess der amtlichen Einschulung mit Beurteilung der körperlich, geistigen und psychosozialen Reife müssen Maßstäbe angelegt werden, die eine Schulreife oder in einer Vorschulzeit die möglichst optimale Entwicklung des Kindes ermöglichen. „Sitzenbleiben“ bereits im 1. Schuljahr wegen ungenügender Leistungen ist eine für alle Beteiligten viel zu häufig das Resultat von Fehleinstufung der Schulreife. Dass viele unserer Schulen den Anforderungen nach ausreichend und gut alters -und funktionsgerecht ausgestatteten Räumlichkeiten, Bewegungsflächen für Freizeit und Sport sowie hygienischen Sanitäranlagen nicht gerecht werden, ist ein lange angemahnter Schandfleck der Bildungspolitik. Der mittlerweile beängstigende Mangel an Lehr- und Betreuungspersonal einschließlich Sozialpädagogen ist auch in der dringend notwendigen Entscheidung über einen geregelten Ganztagsschulbetrieb mit Betreuungsmöglichkeiten der Schüler eine Herausforderung, die baldige handfeste Entscheidungen verlangt. Ab 2026 /27 besteht ein Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für vorerst Erstklässler! Klassen müssen kleiner werden - 30 sind zu viel! Schule ist seit vielen Jahren schon nicht mehr so „homogen“ wie in früheren Zeiten. Vieles ist für Schüler wie Pädagogen differenzierter und damit meist schwieriger und zeitaufwendiger, ständige Fortbildung – nicht nur in Digitalisierung - dringlicher denn je.
Gesellschaftliche Veränderungen auf allen Gebieten spiegeln sich selbstverständlich auch in den Klassenräumen wider: die aktuell politisch kaum kontrollierte Zuwanderung aus vieler Herren Länder mit unterschiedlichsten Lebensgewohnheiten stellt Lehrer und Schüler täglich vor kaum lösbare Probleme: es geht dabei u.a. um altersgemäße Integration mit Sprachangeboten, Sicherung sozialer Akzeptanz und Teilhabe, individuelle psychosoziale Betreuung in Stresssituationen, Erkennung gesundheitlicher Defizite und Beratung in Alltagsfragen. Auch Inklusion bleibt eine Dauerherausforderung der Schulpolitik. Nicht nur in der Grundschule muss die Qualität der Leistungen kritisch hinterfragt werden: Studien wie PISA zu Elementarleistungen wie Lesen, Schreiben und Rechnen zeigen regelmäßig erschreckende Defizite. Das in anderen Ländern seit langem bewährte Einheitsabitur für ganz Deutschland mit entsprechenden Lehrplänen für eine Studienplatzgarantie - scheitert an Länderkulturhoheit und Bürokratie. Im Schulcurriculum muss für ältere Schüler eine Ausbildungsberatung systematisch und praktisch orientiert etabliert werden.
Gestörte Verhaltensmuster
bedürfen in unserer Gesellschaft bereits schon in Kita und Schule größter Aufmerksamkeit und adäquat konsequenter Reaktionen! Zunehmende Gewaltbereitschaft wird in vielfältiger Form bereits in sehr jungen Jahren beobachtet: unangemessene Wutanfälle mit Schreien, Hauen, Kratzen, Spucken in der Kita, später handfeste Schlägereien, erschreckend zunehmend auch der Einsatz von Messer und Pistolen samt Erpressung bis Mord bei Schülern. Auch die zunehmend verrohende Sprache wird bereits im frühen Alter zum bedrohend ängstigen Gewaltinstrument und sollte systematisch unterbunden werden.
Eine frühe Information und Hilfsangebote für Kind und Eltern durch Kita, Schule, Psychologen, Verein und Polizei samt Überlegungen zu angemessenen Strafen ist nicht nur im Falle von Gewaltanwendung unverzichtbar.
Ungehemmter Medienkonsum als Sucht mit Dauerberieselung durch Fernseher, Computerspiele, Handy im Dauereinsatz bereits im frühesten Kindesalter als „Tröster zur Beruhigung“ für Kind und Eltern, später im unentbehrlichen Kommunikationseinsatz in jeder freien Minute. Tic-Toc, Facebook und Internet Influencer bestimmen in großen Foren was gerade „in“ ist – leider nicht immer zum Wohl ihrer meist blind folgenden „Follower“. Dieses mittlerweile allgegenwärtige Verhalten – leider auch bei vielen Erwachsenen – muss über Nutzen und Gefahren wiederholt angesprochen werden – einschließlich geregeltem Verbot.
Cybermobbing als perfide Form der Gewalt zur Beleidigung einer eher hilflosen Person bis zur Zerstörung der Persönlichkeit des Opfers bedarf besonderer Aufmerksamkeit und empathischer Hilfe bis hin zur juristischen Ahndung.
Künstliche Intelligenz (KI) und „ChatGPT“ auch „Chatbots“ ist mittlerweile ein – auch juristisch abgesichert - universell weit etabliertes Instrument zum schnellen Informationsgewinn in allen Lebensbereichen mit Gewinn und Nutzen. Der Computer wird zum „Gesprächspartner“. Er lenkt autonom das Auto, recherchiert im Internet, schreibt Artikel und Schulaufsätze, berät in allen Lebensfragen und -Lagen, auch medizinisch . . .
Die Gefahr für die nicht nur junge Generation bei ihrem Einsatz in der Schule besteht u.a. darin, dass man das eigene Gehirntraining sträflich vernachlässigt und damit das eigene Wissen um Informationsfehler und unverzichtbare sachlich fachliche Kritik einbüßt.
In einer „BLIKK Medien -Langzeitstudie“ (Bewältigung/Lernverhalten/Intelligenz/Kompetenz und Kommunikation) wird erstmalig der Umgang mit und die Auswirkung von Medien auf unsere Kinder langfristig untersucht. Ein Ergebnis wird schon jetzt absehbar: Der Mangel an empathisch zwischenmenschlicher Kommunikation durch Gespräch und aktivem Miteinander.
Ungebremster Drogenmissbrauch von Alkohol, Nikotin, E-Zigaretten, Haschisch bis Heroin
bedroht Gesundheit und Persönlichkeitsentwicklung schon im Jugendalter.
Die aktuelle Diskussion um die völlige Haschischfreigabe ab 18. Lbj. gegen berechtigte Warnungen medizinischer Experten (Gehirnunreife mit unberechenbaren Folgeschäden und psychische Nebenwirkungen ist kein gutes Zeichen für verantwortungsbewusstes Regieren.
Sexismus in allen Formen - nicht nur im Kino, Fernsehen und Internet greift unter Jugendlichen zunehmend früh um sich. Übergriffige verbale, körperliche sowie psychische Entgleisungen sind grundsätzlich nicht akzeptabel. Gegen alle Bedrohungen hilft nur die altersgerecht sachliche Aufklärung inklusive juristischer Folgen durch alle, die Verantwortung tragen.
Medizinische Versorgung einschließlich Gesundheitsvorsorge
Die aktuelle Situation des Gesundheitssystems für die junge Generation ist – ebenso wie für Erwachsene - gekennzeichnet durch fehlende Ärzte, fehlendes Hilfspersonal und unzureichende Finanzierung für die geleistete Arbeit sowie exorbitant gestiegene Arzneikosten (z.B. Impfstoffe in der Covid-Pandemie oder neue Medikamente gegen chronische Erkrankungen und Krebs).
Die Kinder- und Jugendlichen Vorsorgeuntersuchungen (Gelbes Heft U1-J2) sind inhaltlich ausgeweitet und inhaltlich aktualisiert worden. Der offizielle (STIKO) Impfplan wird – gerade nach Pandemie regelmäßig auf den neuesten Stand gebracht – z.B. Auffrischimpfungen gegen die neue Covidvariante „Pirola“ bei besonderer Gefährdung. Eine fachärztliche Zahnstatuskontrolle vom 6. Lebensmonat bis 3. Lebensjahr zeigte bereits einen erfreulichen Rückgang beim Kariesbefall. Schul- und Kitaberatungen zur gesunden Ernährung – Schulkost, Allergieprävention, Bedeutung regelmäßigen Sportes nicht nur zur Adipositasprophylaxe auch zur Stärkung des Gemeinschaftssinns werden zunehmend etabliert.
Zur Verbesserung des Kindeswohls sind bundesweit koordinierte Strategien mit klarer Zielvorstellung, wenig Bürokratie und schneller Umsetzung unverzichtbar.
Angesichts der Schnelligkeit, die wir in der Veränderung unserer Gesellschaftsstruktur auf vielen Ebenen erleben -müssen oder dürfen - bleibt nicht viel Zeit, deutliche Fehlentwicklungen klar zu benennen und zu korrigieren.
Alle sind aufgerufen, das Wohl der Kinder und Jugendlichen als dringliche Aufgabe für unsere gemeinsame Zukunft ernster zu nehmen.
Weitere Informationen über
www.kinderaerzte-im-netz.de
Der Deutsche Kinderschutzbund: wwwdksb.de
Lebenshilfe Wetzlar- Weilburg info@lhww.de
„Elsa“ www.elternberatung-sucht.de
„Wir verlieren unsere Kinder“ von Silke Müller im Droemer Verlag (Spiegelbestseller)
Über den Autor

Kinder-Jugendarzt/Allergologie, Wetzlar