Krebszellen begehen Selbstmord

Weltweit arbeiten Forscher an der Entwicklung weiterer Tumortherapien - eine Marburger Gruppe entwickelte einen neuartigen Ansatz

Mit mehr als 230.000 Todesfällen pro Jahr nehmen Krebserkrankungen laut Bundesgesundheitsministerium den zweiten Platz in der Rangfolge der Todesursachen in Deutschland ein. Statistische Erhebungen zeigen, dass ungefähr 4,6 Millionen Menschen in Deutschland mit einer Krebsdiagnose leben. Die zunehmende Überalterung der Bevölkerung trägt zu dieser Entwicklung bei. Hierbei sind die häufigsten bösartigen Tumore Brustkrebs, Prostatakrebs sowie Lungenkrebs und Darmkrebs.

Bereits heute gibt es eine Vielzahl von Behandlungsoptionen: Operationen, Strahlentherapie, Chemotherapien und Immuntherapien sowie Kombinationen dieser Methoden werden unter Berücksichtigung individueller Bedingungen des erkrankten Patienten angewendet. Die zielgerichtete oder gezielte Krebstherapie (englisch: Targeted Therapy) ist hierbei eine Weiterentwicklung, die in den letzten 20 Jahren die Tumortherapie verändert und verbessert hat. Der Unterschied zur klassischen Chemotherapie, welche die schnelle Zellteilung der Krebszellen ausnutzt, ist bei der gezielten Krebstherapie unter anderem die Berücksichtigung spezieller Merkmale der Krebszellen des Patienten. Da diese Merkmale auf gesunden Körperzellen kaum vorkommen, sollen diese Therapien gezielter und somit verträglicher sein. Solche Therapien haben zum Beispiel beim Lungenkrebs oder Darmkrebs erfolgreich die angewendeten Therapieregime verändert.

Weltweit suchen Forscher weitere Therapiekonzepte. An der Universität Marburg ist es zum Beispiel einer Forschergruppe für chemische Biologie um die Juniorprofessorin Olalla Vázquez gelungen, einen Mechanismus zu entwickeln, der Krebszellen untergehen lässt. Grundlage des noch jungen Forschungszweiges (Interaktomik) ist das komplexe Zusammenspiel von Eiweißen, den Proteinen, in einer Zelle. Diese Proteine dienen der Zelle, zum Beispiel um Informationen aus dem Zellkern bzw. der DNA abzurufen und diese dann in einen Bauprozess umzusetzen, damit in der Zelle benötigte Stoffe erzeugt werden können. Olalla Vázquez und ihr Team haben eine Interaktion von zwei Proteinen genauer betrachtet: ELOB/C und BC-box. Diese beiden Proteine gehen mit einer Vielzahl anderer Proteine Bindungen ein. Zusammen formen sie dann neue größere Proteine und beeinflussen so die Reaktion der Zelle auf eine Sauerstoffunterversorgung oder auch die Zerstörung oder den Erhalt anderer stoffwechselwichtiger Proteine der Zelle. Eine Beeinflussung der Bindung zwischen den beiden Proteinen erschien dem Forscherteam deshalb als ein vielversprechender Ansatz, um eine Zelle zu beeinflussen. Gerade Krebszellen benötigen zum Überleben die funktionierende Verbindung zwischen ELOB/C und BC-box.

Um das eine Protein (ELOB/C) zu blockieren, entwickelte die Arbeitsgruppe ein kurzes, proteinartiges Molekül, ein so genanntes Peptid. Es ahmt die Bindungsstruktur des anderen Proteins (BC-box) nach und kann sich mit dem ELOB/C-Protein verbinden. In der Folge können andere Proteine dort nicht mehr ankoppeln. Das Täuschungsmanöver führt dazu, dass so behandelte Zellen in einer Zellkultur vermehrt ein Zelltodprogramm einleiteten, das zum Absterben der Zelle führt – die sogenannte Apoptose.

Die Wirksamkeit dieser Strategie auf Zellebene ist somit bewiesen und kann als Ausgangspunkt dienen, um weitere neuartige Medikamente gegen Krebs zu entwickeln.

Quellen:

Über den Autor

Dr. med. Tobias Achenbach
Dr. med. Tobias Achenbach
Chefarzt Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie

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