Pädiatrischer Ausblick auf das neue Jahr 2024 –
Altlasten und Hoffnungen

Die Covid-Pandemie hatte unsere Gesellschaft seit dem Frühjahr 2020 mehr oder weniger fest im Griff. Diese Gefahr ist jedoch noch immer nicht gebannt, weitere Anstrengungen sind unerlässlich, um die gefährliche Seuche weltweit zu beenden. Für das nächste Jahr sei an „alte“ pädiatrische Problemfelder erinnert, die trotz wiederholt vielseitiger Anmahnung bisher nicht zufriedenstellend zu einer endgültigen Entscheidung bearbeitet wurden. Dabei geht es immer wieder um das viel zitierte unverzichtbar wertvolle „Kindeswohl“.

Long/Postcovidsyndrom bezeichnet den beeinträchtigten Gesundheitszustand nach einer Infektion mit dem SARS-Cov-2-Virus, der innerhalb von 3 Monaten mindestens 2 Monate anhaltende teils auch mittlerweile jahrelange Verläufe gekennzeichnet ist. Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren waren bei insgesamt 1.449.493 Erkrankungen mit etwa 5% also 72 000 Patienten (Stand 2/2023) eher in geringem Maße betroffen. Grippeähnliche Symptome klangen in der Akutphase oft schneller ab als bei Erwachsenen. Doch entwickelten sich nach Fieber, Husten, Hals-, Kopf- und Bauchschmerzen auch schwere Organschäden an Herz (Rhythmusstörungen, Herzschwäche), Atemwegen (Asthma, Pneumonie) und Nervensystem mit Konzentrationsstörungen, Unwohlsein, Müdigkeit bis zur Erschöpfung insbesondere bei Jugendlichen ein nur schwer zu behandelndes „Chronic fatigue syndrom“, das nicht selten mit Angst- und Zwangsvorstellungen oder Depressionen einhergeht und gezielter kinder-jugendpsychiatrischer Diagnostik und intensiver Therapie, einschließlich Reha- Maßnahmen bedarf. Alle Spezialisten sind unverändert sowohl in der Coronavirusforschung, in der Produktion von Impfstoffen als auch in der Organisation einer möglichst optimalen therapeutischen Patientenbetreuung intensiv engagiert. In unserer Region haben sich spezialisierte Diagnostik- und Behandlungszentren an den Universitätskinderkliniken in Gießen und Marburg etabliert.

Welche „offene Baustellen“ gilt es im neuen Jahr zu schließen?

Frühförderung

Fehlende Kindergartenplätze gibt es in der BRD mehr als 300 000 (Hessen 30 000) – bei ständig steigendem Bedarf durch starke Zuwanderung. Seit 10 Jahren ist das Recht auf Kinderbetreuung ab dem 3. Lebensjahr gesetzlich verankert, doch überall mangelt es an Personal, Gebäuden, Einrichtung und deren

Finanzierung. Jedem ist bekannt, dass in den ersten Lebensjahren der Grundstein für ein gesundes und glückliches Leben in allen Facetten gelegt wird: Sei es Motorik, Sprache samt Musik und Malen, jede Form von sozialer Kommunikation, Emotionalität, Ernährung. Jedes Kind muss früh gefordert und gefördert werden.

Eine vergleichbar defizitäre Situation findet sich auch an unseren Schulen - alle Kinder und Jugendliche haben das Recht auf eine möglichst optimale Förderung. Deutschland braucht dringendst eine grundsätzliche

Schulreform ohne föderale Zersplitterung und Bürokratie. Die allerneueste weltweit standardisierte „Pisastudie“ zur Beurteilung von Schülerleistungen in

Grundfächern wie Lesen, Schreiben, Rechnen ist eine einzige Blamage für Pädagogen und verantwortliche Politiker. Der hohe Immigrationsanteil von

Kindern sollte keine „Entschuldigung“ sondern eher Ansporn zu schneller und systematischer Integration sein.

Unfallprävention

Nachdem in den letzten Jahren die Zahl nicht selten schwerer Unfälle bei Kindern und Jugendlichen im Straßenverkehr rasant gestiegen ist, stellt die BAG

(Bundesarbeitsgemeinschaft) „Mehr Sicherheit für Kinderund Jugendliche e.V.“ ein umfangreiches Programm für alle Altersstufen mit differenzierten Informationen für Kita, Schule, Ärzte und Eltern zur Verfügung. So häufen sich aktuell die Unfallzahlen bei Smartphone Nutzung im öffentlichen Straßenverkehr rasant: 44% der Jugendlichen berichten über Beinaheunfälle durch Ablenkung! Intensive Aufklärung und Überwachung ist dringlich geboten.

Impfprophylaxe

Nach wie vor geben Experten der STIKO Ständige Impfkommission) und des Paul Ehrlich Instituts in Berlin die Empfehlungen im offiziellen Impfkalender für alle Alters- und Risikogruppen vor. Durch die systematischen Kindergesundheitsvorsorgen vom Säuglings- bis zu Jugenduntersuchungen

(U1 -J2) der Impfstatus – Sechsfachimpfserie plus Pneumokokken und Meningokokken sowie mit einem Jahr Masern, Mumps, Röteln und Windpocken weitgehend „unter Kontrolle“ ist, gibt es noch weitere empfohlene und wirksame Schutzimpfungen, die schwere Erkrankungen verhindern können.

Grippeimpfung Influenzaviren: Jährlich empfohlen für Senioren ab 6o sowie Kinder und Erwachsene mit chronischen Vorerkrankungen/Immunschwäche

Coronavirus Sars -Covid -19 Auffrischimpfung ab 15. Lbj. wegen neuer Subtypen insbesondere für Ältere ab 60. Lbj sowie bei schweren Grunderkrankungen oder Immunschwäche

HPV-Impfung Humanes Papilloma Virus: Auslöser von sexuell übertragenem Gebärmutterhalskrebs bei Mädchen und Krebs im Mund und Rachenbereich bei Jungen. Die ab dem Alter von 15 Jahren für beide Geschlechter empfohlene Impfung wird leider noch immer viel zu wenig akzeptiert.

FSME-Zeckenimpfung schützt gegen Hirnhautentzündung nach Stich durch infizierten Holzbock in mittlerweile vielen Regionen Deutschlands und Europas. Landkarten regelmäßig aktualisiert werden. Impfung ab dem 1. Lbj („FSME-Junior“) zugelassen! Landkarten mit entsprechend markierten Risikogebieten werden regelmäßig aktualisiert veröffentlicht.

Herpes Zoster Varizellenviren können – insbesondere bei Immunschwäche im Alter oder schwerer Krankheit bei einer Zweitinfektion Windpocken in gürtelförmiger Bläschenanordnung mit akut und chronischen Schmerzen auslösen. Eine Auffrischimpfung wird ab dem 60. Lebensjahr empfohlen.

Reiseimpfungen aktuelle Einreisevorschriften und Empfehlungen für Fernreisen – z.B. gegen Gelbfieber, Malaria, Pocken, Polio usw. beachten!

 

Kindermarketingverbot für ungesunde Lebensmittel

Übergewichtigkeit bis schwerste Adipositas hat sich bei Kleinkindern und Jugendlichen nicht nur in Deutschland zu einer gefährlichen Gesundheits-bedrohung in vielerlei Hinsicht entwickelt. Der übermäßige, teils suchtartige Genuss von Zucker sowie Fett- und Salzkonsum muss gestoppt werden. Nicht nur Pädiater fordern daher ein gesetzlich verankertes Marketingverbot für ungesunde Lebensmittel, wie es bereits einige Länder – auch mit Empfehlung der WHO und OECD - mit Erfolg eingeführt haben. Ziel ist es, der Nahrungsmittelindustrie zu verbieten, altersbedingt unmündigen, leicht verführbaren Kindern oder „labilen“ Jugendlichen durch eine systematische Werbung in verschiedensten Medien mit schönen, bunten Bildern, Katalogen, Plakaten, Kurzfilmen mit Gewinnaktionen, Comics oder „sprechenden Tieren“ vorzugsweise im Privatfernsehen oder durch Influencer wie in Tik Tok oder Instagram zum Zwecke der Umsatzsteigerung den Konsum schmackhaft zu machen. Mittlerweile gibt es ausreichend seriöse Studien, die zeigen, dass ein totales Werbeverbot zu Tages– und Abendzeiten (Zeit Slot), in denen Kinder und Jugendliche „medial“ beschäftigt sind, den Konsum deutlich reduzieren kann – und somit Gesundheit und Gesundheitsbewusstsein fördern. Die deutsche Regierung plant derzeit wohl eine vergleichbare Regelung. Sie sollte mit großem Nachdruck zügig auf den Weg gebracht werden. Vereinbarungen auf freiwilliger Basis waren allesamt wirkungslos – wie bei Alkohol, Nikotin und Drogen samt Cannabis bekannt.

Dysregulierter Bildschirm- und Medienkonsum

Der unkontrollierte Dauerfreizeitgebrauch elektronischer Medien ist im Kindes- und Jugendalter seit vielen Jahren als potentielle Gefahrenquelle für mentale Entwicklungsstörungen wie verringerte Konzentrationsfähigkeit oder Bewegungsdefizit wegen mangelnder körperlicher Fitness in vielen Studien wissenschaftlich nachgewiesen. Dies gilt für häufigen Einsatz von TV, Computerspiele, Tablets und Smartphone ebenso wie für Social Media Influencer wie Tik Tok oder Instagram. Der versuchsweise systematische Einsatz von Medientechnologie in Kita und Vorschule wurde in mehreren Ländern bereits wieder abgebrochen, nachdem bedenklich negative Erfahrungen zur Entwicklung von Grundkenntnissen, Sozialverhalten oder der körperlichen Entwicklung auftraten. „Handschreiben wie Kopfrechnen bleibt besser im Gedächtnis und handfester Sport mach fitter und mehr Spaß als digital!“

Mittlerweile wurden Leitlinien für den Mediengebrauch von Fachgesellschaften verschiedener Professionen (u.a. Ärzte/Pädagogen/ Psychologen) erarbeitet, die nicht nur für Eltern eine kompetente Hilfe zum täglichen Umgang mit diesen „neuen“ Freizeitangeboten sind.

 

Weitere Informationen:

Unfallprohylaxe: www.kindersicherheit.de

Deutscher Kinderschutzbund „Starke Eltern - Starke Kinder“, dksb.de

Medienmissbrauch: https://bitly.ws/WVo7

Impfen: Ständige Impfkommission stiko.de Robert Koch Institut. rki.de

Pharmainfo: zecken.de/Pfizer.de

 

Über den Autor

Dr. med. Josef Geisz
Dr. med. Josef Geisz
Kinder-Jugendarzt/Allergologie, Wetzlar

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