Chirurgischer Ratgeber:


Dornen-Nägel-Nadeln-Messer
Stichverletzungen bergen große Gefahren

Jeder Chirurg ist traurig, wenn er nach langer erfolgloser Behandlung eines schwer entzündeten Fingers, denselben oder Teile davon amputieren muss, weil die Erstversorgung einer scheinbar belanglosen Stichverletzung nicht fachgerecht erfolgte.

Informationen sind reichlich im Internet vorhanden

Ist irgendetwas geschehen, wird die Frage dem Smartphon gestellt und in Sekunden öffnet das Internet mit den Antworten. Dabei ist allerdings zu beachten, dass trotz dieser Ratschläge leider im Einzelfall unzureichende 1. Hilfe möglich ist. Wo sind die Probleme und warum werden sie oft unterschätzt? Sie werden unterschätzt, weil die „kleine“ Einstichwunde eigentlich gar nicht „schlimm aussieht“, oft nicht besonders schmerzt und auch nicht besonders blutet.

Unsere Haut ist ein „Schutzwall“

Unsere Haut ist 1 bis 2 Millimeter dick und besteht aus 3 Schichten: Oberhaut, Lederhaut und Unterhaut. An den Handinnenflächen und den Fußsohlen ist die Oberhaut bis zu mehrere Millimeter dick und wird umgangssprachlich „Hornhaut“ genannt, praktisch ein „Schutzwall“.

Die Haut schützt den Organismus vor dem Eindringen von Krankheitserregern („Keimen“) und gasförmigen, flüssigen oder festen Fremdsubstanzen im weitesten Sinn.

Tiefe der Verletzung nicht unterschätzen

„Autsch“, ein Rosendorn steckt in der Zeigefingerkuppe. Herausziehen und fertig? Das Problem liegt in der Tiefe des Einstiches. Durchdringt der Stich die Haut komplett und erreicht die darunter liegende weiche, aus lockerem Bindegewebe bestehende Unterhaut (Subcutis), beginnen die möglichen Komplikationen. Die „Keime“, in diese Schicht eingebracht, können nicht mehr heraus und sie vermehren sich in der Tiefe. Ein ungewollter Entzündungsvorgang tritt ein, der Körper versucht die Abwehr und über Nacht liegt eine „Vereiterung“ mit klopfendem Schmerz vor. Spätestens jetzt sollte eine ärztliche Behandlung in Anspruch genommen werden.

Verletzungen mit Kanülen sind besonders problematisch

Jährlich werden rund 50.000 NVS an die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) gemeldet, die mit Patientenmaterial verschmutzt waren, die Dunkelziffer dürfte sehr viel höher liegen.

Das Risiko, sich mit einer Nadelstichverletzung (NSV) mit einer Erkrankung zu infizieren, ist schwerwiegend. HIV oder Hepatitis B und C sind höchst gefährliche Folgen. Als Nadelstichverletzung (NSV) wird eine Stich-, Schnitt oder Kratzverletzung der Haut durch ein stechendes oder schneidendes Instrument bezeichnet, das mit Patientenmaterial verschmutzt ist.

Der Tritt in einen langen rostigen Nagel

In Opa’s Haus und Garten soll „aufgeräumt werden“. Manches Brett am Boden liegend birgt die Möglichkeit, mit zu leichtem Schuh ohne feste Schuhsohle drauftretend, eine tiefe Stichverletzung der Fußsohle/Zehen auszulösen. Der rostige Nagel ist äußerst gefährlich!

Fingervereiterungen, Sehnenscheidenentzündungen, Handphlegmone

An der Beugeseite der Hand (Finger/Hohlhand) liegen fixierte Hautpartien vor, die in der Tiefe ein System von vorgegebenen Kanälen und Hohlräumen umschließen. Schnell kommt es zur Schwellung und zu einer entzündungsbedingten Druckerhöhung mit weitreichenden Zerstörungen. Ein Eiterherd liegt in der Regel dann vor, wenn der Verletzte „pochende Schmerzen“ angibt und wenn er eine Nacht wegen dieser “pochenden Schmerzen“ nicht schlafen konnte.

Fortschreitende Entzündung und Sepsis

Leider bleibt es nicht bei einer „banalen Entzündung“, eine Infektion kann außer Kontrolle geraten. Wenn die natürlichen Abwehrmechanismen des Körpers nicht ausreichen, können sich die gefährlichen Mikroorganismen ungehindert vermehren, in den Blutkreislauf geraten und sich im gesamten Organismus verbreiten. So ungehindert und außer Kontrolle entsteht eine lebensgefährliche Situation, die man Sepsis nennt.

Was soll man tun, wenn es „passiert ist“?

Ein Fremdkörper, der zu den geschilderten Verletzungen führt, ist NIE „sauber“.

Kleine Holzsplitter, der Rosendorn und ähnliche, sorgfältig mit Pinzette komplett herausziehen, nicht „drücken, dass es ausbluten soll“, Hand säubern, Wunde desinfizieren und mit einem Pflaster verbinden. Eine Eigenkontrolle der Unterlagen über den Tetanusschutz ist nötig („Deutschland sucht den Impfausweis“), da jede, auch noch so kleine Verletzung die Tetanuserkrankung auslösen kann.

Jede tiefere und verschmutzte Stichverletzung gehört in die Hand der ärztlichen Versorgung!

Ein in die Fußsohle eingetretener Nagel sollte (samt Brett, durch das er spießt!) verbleiben, da die sofortige chirurgische Versorgung in sehr speziellen Techniken die „Stichkanäle“ dadurch genau verfolgen und behandeln kann.

Tiefe Stichverletzungen unter Gewalteinwirkung mit Messern

Sollten Sie, liebe Leser, ungewollt in der Nähe einer Messerattacke sein oder sie beobachten, rufen sie unter Beachtung, sich nicht in Gefahr zu bringen, die Notfallnummern der Polizei und des Rettungsdienstes an.

Es ist leicht zu formulieren, welche Möglichkeiten der 1. Hilfe bestehen, in der Praxis sie umzusetzen ist sehr schwer. Eine spritzende Blutung benötigt eine „Gegendruck“, also Kompression (mit der Hand)), an den Extremitäten durch „Abbinden/Blutsperre“ oberhalb.

Die spritzende Blutung am Hals darf nicht durch einen Druckverband um den Hals gestillt werden, da dadurch die gesunde Seite mit unterbrochen wird und das Gehirn nicht mehr durchblutet wird, es bleibt nur der Versuch, die Blutung zu vermindern.

Liegt ein Verletzter am Boden und die Stichwunde befindet sich im Bauch, kann man kräftig den Bauch dauerhaft eindrücken, bis der Rettungsdienst erscheint.

Die Verletzung des Brustkorbes mit den lebenswichtigen Organen (Herz-Lunge-Körperschlagader/Venen) birgt neben der massiven Blutung die lebensgefährlichen Atemstörungen, die man Pneumothorax und Spannungspneumothorax nennt. Die eingeatmete oder eindringende Luft führt zum Zusammenfallen der Lunge beziehungsweise deren Kompression.

Es besteht immer akute Lebensgefahr!

Der sich anschließende Beitrag „Lebensretter Thoraxpflaster“ (Bundespolizei Kompakt 01/2021) beschreibt die Möglichkeit einer schnellen 1. Hilfe!

Über den Autor

Dr. med. Klaus-Dieter Schiebold
Dr. med. Klaus-Dieter Schiebold

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Aktuelle Ausgabe03.10.