Mutig voran!
Mit Bilderbüchern (neuen) Mut schöpfen

In Wetzlar wird seit 2016 der heute deutschlandweit schon sehr anerkannte HUCKEPACK-Bilderbuchpreis verliehen. Den nominierten Titel dieses Jahres ist eines gemein: Sie zeigen, wie man sich selbst aus einer schwierigen Situation holen kann, indem man mutig einen Schritt vorangeht: heraus aus Angst und Traurigkeit, gegen Unterdrückung oder Mobbing. Es sind Bilderbücher, die nicht nur Kindern zu neuer innerer Stärke verhelfen!

 

Die jüngsten Kinder werden „Meck und Schneck – ein Löwe ist kein Kuscheltier“ (Ravensburger) lieben, will doch der schüchterne Held des Bilderbuchs hier zum Beweis seines Muts einen Löwen fangen. Keine leichte Aufgabe für eine Schnecke, auch wenn ihr ein noch kleinerer Freund zur Seite steht. Aber wenn sich zwei immer wieder gegenseitig bestärken, dann können sie auch das scheinbar Unmögliche schaffen!

Unmöglich erscheint es auch dem „Träumer“ (Ravensburger) in Mark Janssens gleichnamigem Bilderbuch, etwas zu erreichen oder auch nur dazu zu gehören. Als Kind, das sich nur schwer konzentrieren kann, zählt er in der Schule weder zu den Machern noch zu den Denkern. Sein Vater jedoch sieht die Stärken eines Träumers, seine Phantasie und seine schöpferische Kraft. Und obwohl sich das Kind während der Antwort schon wieder in bunten und wunderbaren Träumen verliert, bekommt es doch die ermutigende Kernbotschaft mit. Ein großartiges und sehr ermutigendes Bilderbuch mit einem beeindruckenden Nachwort.

„Sei, wer du bist!“ steckt auch in Marc Majewskis zauberhaftem „Schmetterlingskind“ (von Hacht Verlag). Sich als Schmetterling zu verkleiden und im Wald zu tanzen sind Momente des größten Glücks für den kleinen Jungen dieser Geschichte. Die anderen Kinder zeigen wenig Verständnis und zerstören grausam die schönen Flügel. Der Vater sieht, dass sein Sohn unglücklich ist. Ohne viele Worte zeigt er durch sein stilles Dasein, dass er sein Kind bedingungslos liebt. Das gibt dem kleinen Jungen die Kraft, neue Flügel zu basteln. Durch den Vater und seine Zuneigung gestärkt, tritt der Junge den Kindern nun mit neuem Selbstbewusstsein und erhobenem Kopf entgegen, bleibt durch seine aufrechte Haltung unbehelligt – und tanzt! Ein schmetterlingszartes und dabei unglaublich starkes Buch, das kaum Text braucht und alle Ermutigung in die ausdrucksvollen und blumenbunten doppelseitigen Illustrationen legt. Toll!

In „Ein kleiner Fisch mit großem Mut“ (Jumbo) stellt sich der Fisch Benjamin entschlossen gegen alle zehn Fische des coolen Schwarms, die er für seine neuen Freunde gehalten hat. Als er erkennt, dass sich der Schwarm bedrohlich gegen andere Fische und schließlich auch gegen Benjamins alte Freunde wendet, ist für ihn Schluss. Obwohl er so klein ist, stellt er sich den anderen entgegen – und erzielt damit eine erstaunliche Wirkung: Nacheinander schwimmen immer mehr Fische aus dem Schwarm an Benjamins Seite, bis ein neuer Schwarm entsteht. Der ist cool, weil er andere mitmachen lässt und niemanden ausgrenzt. Grandioses Buch für Kita- und Grundschulkinder!

Thematisch sehr ähnlich, aber für ältere Kinder ist Stefan Karchs „Vincent und ich“ (Tyrolia). Auch hier erkennt der anfangs unscheinbare Protagonist erst im Lauf seiner Freundschaft zu Vincent, dass nicht alles gut ist, was dieser macht. Doch bis zum aktiven Entgegentreten ist es noch ein bedeutsamer und mutiger Schritt. Eine minimalistisch gestaltete und dabei sehr beeindruckende Geschichte um Zivilcourage.

In „Nicht immer nur blau“ (Atrium Verlag) wird eine Welt entworfen, in der die Regierung nur die Farbe blau erlaubt. In wenigen von Yvonne Hergane sehr gut ins Deutsche übertragenen Reimen und Bildern wird hier ein unglaublicher Spannungsbogen aufgebaut! Strenge Gesetze, Unterdrückung, Angst – und dort hinein leuchtet die verbotene Sammlung aus gelben Gegenständen, die ein kleiner Junge in seinem (blauen) Schrank verborgen hält. Als ihn der Vater ertappt, halten wir den Atem an: Was passiert jetzt?! Dass der Vater über Nacht das ganze Haus gelb streicht und damit ein klares Statement setzt, ermutigt auch andere Menschen, ihre Häuser regenbogenbunt zu malen berührt zutiefst.

„In der Schlange der Träume“ (Knesebeck) trägt ein Vater seinen Sohn im Rahmen einer Fluchtgeschichte durch alle Bedrohungen und Enttäuschungen, indem er aus allem Düsteren immer etwas Hoffnungsvolles und Positives herausdeutet. Ein eindringliches Buch über die ermächtigende Wirkung des Erzählens!

Auch die an Krebs erkrankte Mutter in „Als Mama einmal unsichtbar war“ (Klett Kinderbuch) wächst über sich hinaus, als sie trotz ihrer Erkrankung noch die Kraft findet, ihre Tochter im Umgang mit all den durch den Krebs verursachten beängstigenden Veränderungen zu unterstützen.

Eines der am schwersten zu deutenden und dabei doch umso nachhaltiger in Erinnerung bleibenden Bilderbücher ist das aus dem Norwegischen übersetzte „So dunkel“, in dem ein Junge verbotenerweise allein mit dem Fahrstuhl fährt und prompt stecken bleibt. Gefangen zwischen der Angst, dort auf ewig auszuharren und der Sorge, mit dem Drücken des roten Knopfes ein weiteres Verbot zu brechen, erinnert er sich an seinen Vater und einen schönen gemeinsamen Tag im Wald. Dieses Traumbild gibt ihm in der Enge des Fahrstuhls den Mut, endlich das Richtige zu tun. Ein packendes Bilderbuch, das starke Nerven fordert und Mut schenkt.

Eine seltsame Phantasiewelt schafft Pija Lindenbaum in „Der erste Schritt“ (Klett Kinderbuch). Hier leben viele Kinder zusammen – die einen klar privilegiert, die anderen unterdrückt. Doch was, wenn eins der bevorzugten Kinder freiwillig zurücktritt und die Rollen tauscht? Und was, sie alle gemeinsam einen Schritt aus dem unsinnigen Regelwerk heraus wagen? Grandios gemachte Parabel über den Kampf gegen Ungerechtigkeit!
Mit „Nicht mehr da“ (Knesebeck) erzählt das letzte Buch der Nominierungsliste vordergründig die Geschichte eines geschmolzenen Schneemanns. Doch wer genau hinguckt, kann im Subtext auch die Geschichte vom Älterwerden uns Sterben eines geliebten Menschen erkennen. Ein einfühlsames Bilderbuch um die Kraft, nach einem Verlust nach vorn zu schauen, ohne dabei zu vergessen.

 

Am 26. April 2024 wird einem dieser Bücher im Rahmen eines pädagogischen Fachtages der diesjährige HUCKEPACK Bilderbuchpreis verliehen. Daran dürfen alle Menschen teilnehmen, die sich beruflich oder privat für die stärkende Kraft von Bilderbüchern interessieren. Die begleitenden Workshops werden unter anderem vom Team „Charly und Lotte“ vom Hospiz Mittelhessen und engagierten Kitas der Region geleitet. Das vollständige Programm und mehr Informationen zu den nominierten Büchern finden sich auf der Homepage der Phantastischen Bibliothek Wetzlar unter www.phantastik.eu.

Über den Autor

Maren Bonacker
Maren Bonacker
Lese- und Literaturpädagogin
Phantastische Bibliothek Wetzlar

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