Voller Durchblick!
Wie Bilderbücher Lust auf Brillen machen
Richtig sehen zu können ist eine Grundvoraussetzung für Partizipation – Kinder fühlen sich sicherer, können Situationen besser einschätzen und finden besser ins Lesen, wenn mit ihren Augen alles rundum in Ordnung ist. Doch nicht alle Kinder sind begeistert, wenn ihnen eröffnet wird, dass sie eine Brille brauchen.
Da helfen die aktuellen Bilderbücher, in denen Brillen den absoluten Coolness- und Spaßfaktor haben und somit einen wichtigen Beitrag dazu leisten, Vorbehalte oder gar Ängste seitens der Kinder abzubauen.
Zunächst einmal muss ein Kind verstehen, was das überhaupt ist, so eine Brille. Dazu helfen nicht nur die Broschüren bei Ophthalmologen und Optikern, sondern auch Sachbücher, mit denen schon Kindern ab 3 Jahren erklärt wird, wie Augen funktionieren, was eine Sehschwäche ist und wie beim Augenarzt untersucht werden kann, ob eine Brille nötig ist.
Pauline Ouds „Ich brauche jetzt eine Brille“ (Coppenrath, 40 S., 15,- €) erzählt am Beispiel der kleinen Hanna, was alles unternommen werden muss, als die Familie herausfindet, dass Hanna eine Sehschwäche hat. Einfühlsam begleitet die Autorin ihre kleine Heldin durch das Buch und legt den Fokus dabei immer auf das Positive: die freundliche Augenärztin, die spannenden Sehtests, das besser Sehvermögen. In teils ganzseitigen, teils aufgeteilten farbigen Seiten durchlaufen wir alle Untersuchungen mit und sind gespannt, was für eine Brille sie sich schließlich aussucht.
In „Hurra, ich trage eine Brille“ (Trötsch Verlag, 40 S., 9,95 €) macht schon die lustig gestreifte Brille auf dem Cover neugierig: Sie gehört Paul, der sich gerade an sie gewöhnt und uns selbst erzählt, wie er sie bekommen hat. In 15 doppelseitigen Kapiteln wird hier Kindern ab etwa 4 Jahren nicht nur der Besuch beim Augenarzt und die Funktionsweise der Brille erklärt, wir erhalten auch faszinierende Informationen über die Historie der Brille: Seit wann gibt es überhaupt Sehhilfen? Was passierte früher mit Menschen, die nicht gut sehen konnten oder gar blind waren? Und was für besondere Sehgewohnheiten gibt es in der Tierwelt? Auch die Fantasie wird hier angeregt: Wie muss die ideale Brille der Zukunft aussehen?
Gut verständlich, mit ansprechenden Bildern sind beide Bilderbücher sehr zu empfehlen, wenn es um die informativen Hintergründe des Brilletragens geht.
Ältere Kinder, die schon mehr Text vertragen und Spaß daran haben, ein Buch mitzugestalten, finden ähnliche Informationen und noch viel mehr im umfangreichen Sach- und Mitmachbuch „Brillante Brillen“ (Helvetiq, 80 S., 19,90). Hier wird nicht nur erklärt, sondern das richtige Sehen auch aktiv herausgefordert – etwa mit einem „Unterschiede“-Rätselbil, Labyrinthen und Punkt-Rätselbildern. Auch hier ist Platz, um die Brille von morgen zu entwerfen, außerdem verblüffen optische Täuschungen auch diejenigen unter uns, die glauben, richtig gut gucken zu können. Mit comicartigen Panels, viel Farbe und kurzen Textpassagen zu den kuriosesten Themen ein tolles Brillenstöberbuch, das man nicht von vorne bis hinten lesen muss, sondern in das man immer wieder hineinschmökern kann. Perfekt für Augenarztpraxen!
Um eine schmerzlich vermisste Brille dreht es sich in dem kleinen Pappbilderbuch „Wo ist die Brille von Max Maulwurf“ (Beltz&Gelberg, 12 S., 10,- €). Morgens hat er sie noch gehabt, weiß Max, und er sucht im ganzen Haus. Kleine Kinder ab etwa 2 Jahren können ihm helfen und hier dank der stabilen Klappen in Schränke, hinter Kellertüren und in Kisten gucken, bevor sie die Brille endlich an einem unverhofften Ort finden. Einfache Reime und klare leuchtende Farben regen zum genauen Hinsehen und Entdecken an, die Auflösung macht großen Spaß!
Auch der Bär von Leo Timmers sucht seine Brille. Ohne Brille sieht er nicht so gut, er muss sie dringend finden. Wer vorm Buch sitzt, grinst verzückt: Schon auf dem Cover von „Bär und seine Brille“ (aracari, 36 S., 15,- €) ist gut zu sehen, wo sich die Brille versteckt hat – sie sitzt oben auf dem Kopf! Leider hilft es wenig, Bär das zu sagen. Er vermutet sie bei der Giraffe und stapft los, einmal quer durchs witzig illustrierte Bilderbuch. Was er dabei zu sehen bekommt, interpretiert er anders als wir. Den verzweigten Baum sieht er als Hirsch, den flachen Strauch als Krokodil und den großen grauen Felsen als Elefanten. Als er die Giraffe endlich findet und sie ihm die Brille auf die Nase setzt, erzählt er ihr von seinen Begegnungen. Aber merkwürdig: Jetzt, wo er die Brille aufhat, kann er Krokodil und Co nicht wiederfinden. Dafür wartet auf der letzten Seite eine ganz besondere Überraschung ... Mit sehr wenig Text, unaufgeregten Bildern, eine klaren Leserichtung und richtig viel Humor ist dieses Bilderbuch perfekt für Kinder, die noch nicht viel Bilderbucherfahrung haben, sich dieses Buch aber sicher immer wieder ansehen wollen! Absoluter Tipp, auch gut für Kitas geeignet.
Ein gestalterisch ganz besonders schönes Bilderbuch haben Ann Marie von Löw und Marika Haensch mit „Winifred will mehr sehen“ (Fischer Sauerländer, 32 S., 16,- €) geschaffen: Ganz in farbigen Collagen wird hier die Geschichte eines kleinen Nashornmädchens gezeigt, das leider total verpflastert ist, weil es sich ständig irgendwo stößt oder seine Freunde anrempelt. Winifred kann nicht gut sehen. Gut, dass die Ameisen eine Lösung haben. Sie bauen eine gefundene Menschenbrille so um, dass sie Winifred perfekt auf ihr Nashorn-Horn passt! Der Clou dieses Bilderbuchs ist, dass Kinder die Möglichkeit haben, sich anhand von Winifreds Nöten wiederzuerkennen: Stolpern sie selbst auch manchmal? Erkennen sie Freunde auf der anderen Straßenseite nicht? Stoßen sie sich und sind traurig, weil sie beim Ballspielen nicht mitmachen können? Das ideale Buch, um sich mit einem Kind gemeinsam an das Thema Brille heranzutasten – und ein Kind, das sich wie Winifred von allein für die Brille entscheidet, wird sich viel offener auf alle Untersuchungen und Prozesse einlassen können. Psychologisch einfühlsam und richtig gut!
Toll, dass es all diese Bücher gibt, die auch manch Erwachsenem noch zu einem besseren Durchblick verhelfen!
Über den Autor
Lese- und Literaturpädagogin
Phantastische Bibliothek Wetzlar