Was macht Cannabis im Gehirn?

Cannabis ist eigentlich die lateinische Bezeichnung für die Hanfpflanze. Der Begriff wird jedoch im Allgemeinen für Produkte verwendet, die den in der Cannabispflanze enthaltenden rauschauslösenden Wirkstoff THC enthalten. Die getrockneten Blüten der weiblichen Pflanze werden als Marihuana oder Gras bezeichnet. Haschisch nennt man das gepresste Harz der Pflanze.

Als Cannabis in der Hippie-Szene Hochkonjunktur hatte, wusste niemand, warum ein Joint ein berauschendes Hochgefühl erzeugen kann. Cannabis besteht aus mehreren hundert Inhaltsstoffen. Die wichtigsten Wirkstoffe Cannabidiol (CBD) und Tetrahydrocannabinol (THC) wurden erstmals 1963 und 1964 isoliert und chemisch entschlüsselt. Eine Erklärung für die Wirkung der Stoffe fand man jedoch erst mit der Entdeckung der Cannabinoid-Rezeptoren (1990) und des Endocannabinoid-Systems durch Raphael Mechoulam im Jahre 1992.

Das (körpereigene) Endocannabinoid-System (ECS)

Das ECS ist Teil des menschlichen Nervensystems. Es beeinflusst wichtige Körperfunktionen wie z.B. Blutzirkulation, Verdauung, Körpertemperatur und Stimmung.
Es besteht im Wesentlichen aus Rezeptoren, die Cannabinoidrezeptoren genannt werden, Botenstoffen, welche an die Rezeptoren binden und Enzymen, die die Synthese und den Abbau dieser Botenstoffe regulieren. Die Hauptrezeptoren sind CB1 und CB2.

Die CB1-Rezeptoren befinden sich vor allem im
Gehirn mit einer besonders hohen Dichte in den Hirnregionen Hippocampus, Amygdala und präfrontalem Cortex. Der Hippocampus ist für die Gedächtnisbildung wichtig, der Amygdala werden die Verarbeitung und Regulation von Emotionen zugeschrieben, während der präfrontale Cortex für höhere kognitive Funktionen wie z.B. Entscheidungsfindung und Impulskontrolle zuständig ist.

Die CB2-Rezeptoren sind hauptsächlich im peripheren Nervensystem und in Immunzellen vorhanden. Ihre Aktivierung beeinflusst das Immunsystem und entzündliche Prozesse, was zu den entzündungshemmenden Eigenschaften von Cannabinoiden beiträgt.

Als körpereigene Botenstoffe wurden Anandamid und 2-Arachidonylglycer (2-AG) gefunden. Sie werden zusammengefasst als Endocannabinoide (endo = körpereigen) bezeichnet.

THC und CBD

Die Cannabis Inhaltsstoffe THC und CBD beeinflussen das menschliche Endocannabinoid-System. THC ist die primär psychoaktive Substanz in Cannabis. Es imitiert die Wirkung der körpereigenen Cannabinoide und bindet an Cannabinoid-Rezeptoren im Gehirn, insbesondere an CB1-Rezeptoren. Da die Dosis i.d.R. viel höher ist als die der körpereigenen Cannabinoide treten andere und stärkere Wirkungen auf. Im Hippocampus vermindert THC die Gedächtnisleistung. Bei Menschen, die längere Zeit öfter kiffen, konnten hier sogar verminderte Hirnvolumina gemessen werden. In der Amygdala verändert THC die Emotionen, was oft als beruhigend mitunter euphorisch, gelegentlich aber auch angstauslösend oder angstverstärkend erlebt wird. Im präfrontalen Cortes kommt es zu einer veränderten Zeitwahrnehmung, verstärkten Sinneswahrnehmungen (Farben, Klänge), aber auch zu einer Abnahme der Konzentrationsfähigkeit und Beeinträchtigung des Denkens.
THC aktiviert das Belohnungssystem des Gehirns, was zu einem Gefühl von Vergnügen und Wohlbefinden führt aber auch das Risiko von Abhängigkeit beeinhaltet.

CBD ist ein nicht-psychoaktives Cannabinoid, das eine Vielzahl von potenziell therapeutischen Wirkungen hat. Im Gegensatz zu THC hat CBD eine geringe Affinität zu CB1- und CB2-Rezeptoren. Stattdessen moduliert es indirekt das Endocannabinoid-System, indem es die Wiederaufnahme und den Abbau von endogenen Cannabinoiden wie Anandamid hemmt. CBD hat entzündungshemmende, anxiolytische (angstlösende) und antipsychotische Eigenschaften und wird daher in der Behandlung von Angststörungen, Epilepsie und bestimmten Formen von chronischen Schmerzen untersucht.

Folgen des Cannabis-Konsums bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen

Die nicht körpereigenen Cannabinoide THC und CBD stören das körpereigene Cannabionid-System.
Der regelmäßige berauschende Konsum von Cannabis wirkt sich negativ auf die Ausreifung des Gehirns aus. Diese gilt mit etwa 25 Jahren als abgeschlossen. In Studien konnte gezeigt werden, dass die graue Hirnsubstanz bei Cannabis konsumierenden Jugendlichen schrumpft. Der Prozess ist dosisabhängig: je mehr Konsum, desto mehr Hirnschrumpfung. Die strukturellen Auffälligkeiten gehen mit kognitiven Defiziten einher.
Darüber erhöht Cannabis bei Jugendlichen das Risiko psychischer Erkrankungen wie Angststörungen schweren Depressionen und Psychosen, insbesondere bei genetischer Prädisposition.
Unabhängig vom Alter besteht durch die Wirkung auf das Belohnungssystems im Gehirn das Risiko einer schleichenden Abhängigkeit.

Folgen bei Menschen, die älter als 25 Jahre sind

Auch bei Erwachsenen hat Cannabis einen negativen Einfluss auf Aufmerksamkeit, Konzentration und Gedächtnis. Darüber hinaus können emotionale Defizite auftreten. Je länger und intensiver der Konsum, desto größer der Schaden. Eine Studie bezifferte den Verlust der Denkfähigkeit im Alter von 38 Jahren gar mit 6 IQ-Punkten – einem Unterschied, der im Alltag noch nicht stark wahrnehmbar, aber in spezifischen Tests gut fassbar ist. Und immer mehr Studien deuten darauf hin, dass die Einschränkung im Denken auch bestehen bleibt, wenn der Patient längst nicht mehr häufig kifft.

Probleme der Dosierung

1968, zu Zeiten des Woodstock-Festivals, lag der THC-Gehalt unter einem Prozent. Heute sind es durchschnittlich 13 Prozent. Grund dafür ist die gezielte Zucht „hochprozentiger“ Pflanzen sowie die häufige Beimischung von künstlichem THC. Journalisten der Zeit-Redaktion haben 2021 in zehn großen deutschen Städten Marihuana gekauft, um es in einem Labor untersuchen zu lassen (Die ZEIT Nr. 40/2021). Im Ergebnis enthielten nur fünf Proben das, was versprochen wurde. Vier enthielten kein THC (CBD-Gras ohne THC) und in einer Probe war in gefährlich hoher Dosis synthetisches THC beigemischt. Die Beimischung von synthetischem THC ist nicht nur deshalb kritisch, weil so sehr hohe Dosen erreicht werden, sondern auch weil das THC/CBD Verhältnis so verändert wird, dass das Risiko hefitger Nebenwirkungen steigt. Die Dosis von illegal erworbenem Cannabis kann also stark variieren und das ist mit erheblichen Risiken verbunden. Die Zahl der Krankenhausbehandlungen wegen Cannabiskonsums ist in den Jahren 2010 bis 2018 um das sechsfache gestiegen.

Fazit

Cannabis besteht aus einer Vielzahl von Inhaltsstoffen, darunter THC und CBD. THC stört das menschliche Cannabinoidsystem. Das führt nicht nur zu den von den Konsumenten erwünschten Wirkungen, sondern auch zu geistigen und emotionalen Beeinträchtigungen. Bei Menschen unter 25 Jahren stört Cannabis die Hirnreifung, und beeinträchtigt die Intelligenz negativ. Auch bei Erwachsenen sind bleibende Schäden möglich. Je länger und intensiver der Konsum, desto größer der Schaden.
Auch wenn der Konsum von Cannabis legal ist, ist er deshalb nicht ungefährlich. Cannabis schadet dem Gehirn. Wer im Kopf fit bleiben möchte, sollte auf Cannabis verzichten.

Über den Autor

Dr. med. Roger Agne
Dr. med. Roger Agne
Chefarzt Innere Medizin
Dill-Kliniken

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