
Sprich mit mir!
Handys weg – mehr Zeit für Kinder
Wie oft sieht man schon kleinste Kinder im Buggy mit dem Handy oder einem Tablet, während Mama und Papa das Handy am Ohr haben oder selbst am Spielen sind. Jugend- und Gesundheitsämter haben deshalb schon vor geraumer Zeit deutschlandweit die Kampagne „Sprich mit mir!“ ins Leben gerufen, die aus Kindersicht nachdrücklich mehr Zuwendung und vor allem gemeinsames Sprechen fordert. Schon Babys brauchen Augenkontakt und Kommunikation – nicht nur, um selbst irgendwann sprechen zu lernen, sondern vor allem auch um seelisch stabil aufwachsen zu können. Die Kritik am Handykonsum der Erwachsenen ist im Bilderbuch angekommen – humorvoll und ohne mahnenden Zeigefinger, aber dennoch deutlich: Handys weg!
Schon das Cover des Bilderbuchs „Ich sehe was, was ihr nicht seht“ (Annette Betz, 32 S., 16,- €) zeigt deutlich, worum es hier geht: Während vier Erwachsene ihre Welt durchs Handy sehen, geht das Kind gut gelaunt und handyfrei vorneweg und passt am Zebrastreifen auf, dass keiner der Großen einfach weiterläuft. Katharina Grossmann-Hensel hält uns Erwachsenen in ihren fröhlichbunten doppelseitigen Bildern einen sch(m)erzhaften Spiegel vor, wenn sie das Kind aus der Ich-Perspektive erzählen lässt und es schon als Baby kaum mehr von seinen Großen zu sehen bekommt als halbe Gesichter hinter großen Plastikrechtecken. Klar, dass auch das Kind gern ein Handy hätte, aber davon halten die Erwachsenen in der Geschichte nichts – ohne zu merken, dass all ihre Argumente dagegen auch sie selbst betreffen! Und so lotst das phantasievoll als Biene verkleidete Kind seine Eltern sicher durch den Tag, während deren Augen fest am Bildschirm haften. Ein Highlight dabei: Als das Kind im Park über die kleine Brücke geht, stapfen die Eltern direkt daneben durch den Fluss, ihrem Navigationsgerät blind vertrauend, ohne ihre unmittelbare Umwelt sinnvoll wahrzunehmen. Immer wieder bringt einen die Künstlerin mit ihrem wachen Blick und der schonungslosen Umsetzung ihrer Beobachtungen zum Schmunzeln, so dass dieses Bilderbuch eine bemerkenswerte Grätsche schafft: Trotz unverhohlener Elternkritik macht das Buch so viel Spaß, dass man es immer wieder gemeinsam anschauen will – und irgendwann kommt die Botschaft sicher auch an!
Mit „Ein Tiger im Zug“ (Jumbo, 40 S., 16,- €) setzen Mariesa Dulak und Rebecca Cobb eher auf Fantasie. Spannenderweise ist es auch bei ihnen das Kind, das seine Geschichte selbst erzählt: „Du errätst nie, was bei unserem Ausflug ans Meer passiert ist ...“ Mit diesem Einstieg ist man sofort dabei, und schon nach dem Umblättern ist klar, dass hier etwas Großartiges auf uns wartet. Neben dem kleinen Jungen sitzt riesengroß und mit Zylinder auf dem Kopf ein Tiger, der zwar liest, sich dem Kind aber trotzdem freundlich zuwendet – während Papa in sein Handy guckt und alles verpasst. Auch von der Schar von Krokodilen, den Tee trinkenden Nilpferden und der Horde kleiner Schweinchen bekommt er nichts mit. Immer turbulenter wird die Zugfahrt, bis endlich alle aussteigen müssen, der Tiger mit einem Haps Papas Smartphone verschluckt und mit dem Kind auf dem Rücken aus dem Zug springt. Erst jetzt wird auch der Papa wach und endlich Teil der Geschichte: Ohne Handy kann er sich ganz auf seinen Sohn einlassen, der überglücklich ist, mit seinem Papa zu spielen. Und das dumpfe Handyklingeln aus dem Tigerbauch stört sie dabei zum Glück nicht! Bunt und fröhlich und fantasievoll liefert auch dieses immer wieder gern gelesene Buch die perfekte Alternative zum Handy!
Aus ganz anderer Perspektive lernen etwas ältere Kinder das Handy in dem comicartigen Bilderbuch „Superglitzer“ (Luftschacht, 38 S., 24, €) kennen. Hier bleibt ein Handy auf dem Waldboden liegen und die Tiere entdecken das merkwürdige „Tier“ für sich, machen (versehentlich) Selfies und bestellen am Ende sehr erfolgreich eine Pizza. Das graphisch sehr ungewöhnliche und per Siebdruck in knalligen Neonfarben gestaltete Buch braucht schon etwas Bereitschaft, um sich darauf einzulassen, aber das ist es unbedingt wert! Melanie Laibl und Nele Brönner erzählen mit feinem Humor eine ausgesprochen skurrile und witzige Geschichte für Kids im Grundschulalter, die selbst schon lesen können und Spaß an den pfiffigen Dialogen und der bisweilen sehr gewählten Ausdrucksweise der Tieren haben. Großartig und absolut empfehlenswert!
Auch in Francesca Pirrones „Bruno hat 100 Freunde“ (Alibri, 28 S., 18,- €) bleibt ein Handy im Wald zurück. Bär Bruno findet es und ist fasziniert von dem Ding, in dem so viele Bilder, Wörter und Geräusche stecken, die er noch nie gehört, hat. Vor allem aber begeistern ihn die vielen Freunde, die er jetzt plötzlich überall auf der Welt hat. So viele sind es, dass er für seine beiden bisherigen Bärenfreunde keine Zeit mehr hat. Standen in den beiden ersten Bilderbüchern die Eltern im Fokus, sind es jetzt die Kinder, die an Brunos Seite erfahren, dass Freunde im Handy einen nicht zu Nussbrötchen mit Honig einladen oder umarmen können. Genau das aber machen Brunos echte Bärenfreunde, als die Batterie des Mobiltelefons zur Neige geht, Bruno auf einen Schlag 500 Freunde verliert und darüber sehr verstört und traurig ist: Sie sind wirklich für ihn da! Das in warmen Tönen groß bebilderte Buch hilft Kindern dabei, einen etwas kritischeren Blick auf das Handy zu haben und nicht nur seine Vor-, sondern vor allem auch seine Nachteile zu sehen. Schön ist, dass es mit den geduldigen und liebevollen Bärenfreunden eine wunderbare Alternative zu dem kleinen Gerät gibt!
Abschließend bleibt zu hoffen, dass auch die vorlesenden Erwachsenen sich auf die in den Bilderbüchern vermittelte Botschaft einlassen, ihr Handy endlich zur Seite legen und sich mit ungestörter Konzentration ihren Kindern widmen. Es gibt nichts Wichtigeres!
Über den Autor

Lese- und Literaturpädagogin
Phantastische Bibliothek Wetzlar
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