Gifte ohne und mit „Zeitzünder“

Teil 1: Die bei Notfällen vom forensischen Toxikologen häufig nachzuweisenden Fremdstoffe (Medikamente, Pestizide, Metallgifte u.a.) kann man hinsichtlich des Wirkungseintritts grundsätzlich in 2 Hauptgruppen unterteilen.

Auf der einen Seite gibt es schnell wirkende Gifte, andererseits können Gifte aber auch erst nach einer gewissen Verzögerung (Latenzzeit) ihre häufig tödliche Wirkung (Toxizität) entwickeln. Diese besonders gefährlichen Substanzen mit „fehlender Initialsymptomatik“ sollen im Vordergrund dieses Beitrages stehen. Zunächst soll im nachfolgenden ersten Teil aber auf Gifte mit rasch einsetzender Wirkung eingegangen werden.

1. Schnell wirkende Gifte:

Dieser Typ ist dadurch gekennzeichnet, dass die Wirkung unmittelbar nach der Aufnahme oder nur kurze Zeit später eintritt (Abb. 1).

Beispiele

Zyanid: Der beispielsweise in vielen Krimis beschriebene „Sekundentod“ tritt in der Regel nur bei aziden (sauren) Verhältnissen im Magen und dadurch bedingter rascher Freisetzung von Blausäure auf.

Der zeitliche Verlauf einer Blausäurevergiftung ist für die Selbsttötung von Heinrich Himmler dokumentiert: Himmler starb am 23. Mai 1945 in Lüneburg in Anwesenheit von britischen Vernehmungsoffizieren zwölf Minuten nach dem Zerbeißen einer in einer Zahnlücke im Unterkiefer versteckten Zyankalikapsel, die er nach Aussage seiner Frau seit dem ersten Kriegsjahr ständig bei sich getragen habe. Die Wirkung trat somit rasch ein, von einem „Sekundentod“ kann aber sicher nicht zwangsläufig gesprochen werden.

Bei vollem Magen erfolgt häufig lediglich eine Hydrolyse (Umwandlung) zu Kalilauge (aus Kaliumzyanid). Damit verbunden ist nicht selten ein qualvoller Tod durch Verätzung von Speiseröhre, Magen und anderen Körperteilen.

Gelegentlich kann eine tödliche Vergiftung jedoch auch „unüblich“ verlaufen, wie das folgende Fallbeispiel 1 zeigt.

Fallbeispiel 1 mit „ungewöhnlichem“ Untersuchungsmaterial

Eine junge Frau wird von ihrem Ehemann nach dessen Rückkehr von einer längeren Geschäftsreise mit lückenlosem Alibi tot in der Wohnung aufgefunden.

Das Obduktionsergebnis beweist eindeutig eine Zyanidvergiftung. Der Fall ist trotzdem zunächst unklar, da im Magen kein Zyanid nachgewiesen werden kann, sondern lediglich im Blut tödliche Konzentrationen feststellbar sind.

Das Ergebnis der akribischen kriminalistischen Ermittlungen: Das Zyanid wurde von dem Ehemann vor Antritt der Reise in einen Tampon gefüllt und von dort später im Körper der Ehefrau über die Vaginalschleimhaut resorbiert. Der Täter hatte dabei kaltblütig kalkuliert, dass die Menstruation seiner Ehefrau und die damit verbundene Giftaufnahme erst eine Woche nach seiner Abreise zu erwarten war.

Dieser spektakuläre Fall war auch Gegenstand einer TV-Dokumentation unter Beteiligung des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Gießen.

Parathion (E 605): Dieses früher sehr häufig benutzte Pestizid (bekanntester Mordfall Christa Lehmann in den 1950er Jahren) wirkt meist rasch, kann allerdings ebenfalls erst nach lang andauernden heftigen Krämpfen zum Tod führen.

Kohlenmonoxid: Übereinstimmend wird von wenigen Überlebenden über einen raschen und subjektiv als nicht schmerzhaft empfundenen Wirkungseintritt berichtet. Daher steht Kohlenmonoxid (nicht zuletzt auch wegen seiner leichten Verfügbarkeit als Auspuffgas oder bei Grillfeuern) in vielen Ländern an der Spitze der „ranking liste“ der Suizidmittel.

Eine detaillierte Darstellung zum Thema „Tod durch Kohlenmonoxid.“ wurde bereits im Gesundheitskompaß (3/2017) publiziert.

Weitere rasch wirkende Giftstoffe:

Kohlendioxid (z.B. in Bergwerken, Gärkellern, Futtersilos).

Chloroform und Ether (z.B. zum Betäuben von Opfern bei Straftaten).

Fallbeispiel: Einleiten von Narkosemittel durch einen dünnen Schlauch in die Fahrerkabine von LKWs um anschließend die Fracht zu rauben.

Alkohol (z.B. bei unsinnigen Trinkwetten).

Schnell wirken können selbstverständlich auch alle Sedativa und Hypnotika (Beruhigungs- und Schlafmittel), insbesondere wenn sie intravenös (i.v) verabreicht werden. Nach oraler Applikation hängt der Wirkungseintritt dagegen von der Resorptionsgeschwindigkeit ab, die häufig eng mit dem Füllungsgrad des Magens und zahlreichen anderen Faktoren verbunden ist.

Häufig besteht eine günstige Prognose hinsichtlich der Folgen einer Vergiftung, selbst wenn es sich um hochtoxische Substanzen handelt. So kann z.B. eine lege artis behandelte Intoxikation mit Zyanid, Kohlenmonoxid oder Alkohol weitestgehend spätfolgenlos verlaufen und der Patient bereits nach wenigen Tagen aus der Klinik entlassen werden.

Über den Autor

Prof. Dr. rer. nat. Harald Schütz
Prof. Dr. rer. nat. Harald Schütz
Forensischer Toxikologe
Institut für Rechtsmedizin der Universität Gießen

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