
„ . . . mein Bauch tut so weh!“
Über Dreimonatskoliken bis zur abdominalen Migräne im Jugendalter
Nach der Appetitlosigkeit gehören Leibschmerzen zu den häufigsten Klagen mit denen Kinder und Jugendliche dem Pädiater und Allgemeinmediziner vorgestellt werden.
Auch wenn die Schmerzen bei Kleinkindern oft auf den Nabel als „emotionaler Mittelpunkt des Bauches“ projiziert werden, müssen Bauchbeschwerden immer ernst genommen und wegen ihrer vielfältigen Ursachen abgeklärt werden – im potentiell lebensbedrohlichen Akutfall ebenso wie bei hartnäckig quälenden oft intermittierenden Dauerbeschwerden.
Das pädiatrisch - gastroenterologische Vorgehen zur Abklärung von Bauchschmerzen sollte nach weltweitem Expertenstandard (“Rome IV-Kriterien“) erfolgen, denn Kinder sind keine kleinen Erwachsenen! Unverzügliche ärztliche Hilfe muss insbesondere bei hohem Fieber, unstillbarem Erbrechen, häufig wässrig, blutigem? Durchfall und schweren Koliken angefordert werden! In der Schmerzanamnese des Arztes geht es möglichst genau um: Wo tut es weh, seit wann, periodisch, tags-nachts, als Kolik, mit Erbrechen, Durchfall, Verstopfung, Gewichtsabnahme, Lymphknoten-schwellung, Schweißausbruch, Fieber, Blässe, Bewusstseinszustand sowie Beurteilung der altersgemäßen Entwicklung samt Voroperationen, Infekten in der Umgebung, Vergiftung, Ernährungsgewohnheiten oder einen Verdacht auf Nahrungsunverträglichkeit! Die Erfassung der bio-psycho-sozio-ökologischen Situation des Säuglings wie des jugendlichen Patienten ist wesentlicher Bestandteil der Diagnostik. Eine Fremdanamnese kann durch Befragung von Bekannten oder Betreuern sei es in Kita, Schule oder Verein bei der Abklärung der Situation zusätzlich hilfreich sein. Die sorgfältige, empathische Ganzkörperuntersuchung entscheidet über die Notwendigkeit zusätzlicher Maßnahmen wie Labor, bildgebender Verfahren mit Sonographie - Röntgen - CT/ MRT - Endoskopie gar Operation z.B. im Fall einer akuten Blinddarmentzündung, Nieren - oder Gallensteine, Missbildungen samt Darmverschluss
Bauchschmerzen im Säuglingsalter
treten nicht selten -bis zu 20% - auch schon bei Neugeborenen auf. Sie äußern sich durch regelmäßig wiederholende, blähende, krampfartige Attacken, die als Dreimonatskoliken bei „Schrei -und Speikindern“ bekannt sind. Man spricht von einer „funktionalen Störung“, wenn keine konkrete Organdiagnose gestellt werden kann - das betrifft bis zu 70 % aller Fälle! Über eine „Darmunreife“ oder kurze „Ernährungsfehler“ helfen nach Beratung meist entblähende und beruhigende auch pflanzliche Präparate. Die bemitleidenswert, sichtlich sehr leidenden Säuglinge - häufig auch Frühgeborene - gedeihen jedoch fast immer altersgemäß. Eine Kontrolle ist durch die im Gelben Vorsorgeheft dokumentierten Befunde und Vergleichsskalen jederzeit möglich. In vielen Familien sind solche unruhigen „schlaf- und nervenraubenden Zeiten“ bekannt – eine genetische Prädisposition wurde durch Zwillingsuntersuchung bestätigt. Diagnostik und Therapie nicht selten monatelanger Beschwerden erfordern von allen Beteiligten allermeist viel Zeit und vor allem Geduld.
Welche Erkrankungen müssen bei heftigen Beschwerden – und dies nicht nur im Säuglingsalter - ausgeschlossen werden: Invagination (Einklemmung) und Hernien (Bruch) im Darm/Leistenbereich oder eine Pylorusstenose (Magenpförtnerkrampf) werden je nach Befund operativ beseitigt. „Nabelbrüche“ sind meist harmlos und verursachen keine Beschwerden. Angeborene Missbildungen an Speiseröhre, Zwerchfell, Magenausgang oder Stoffwechseldefekte wie Diabetes mellitus oder ein AGS -Salzverlustsyndrom, eine Sichelzellanämie oder Mittelmeerfieber müssen ebenso ausgeschlossen werden wie Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Intoleranzen z.B. gegen Fruktose, Sorbit, Gluten oder Laktose auch Proteine als „Kuhmilchallergie“ oder eine Zöliakie werden mittels Labortests (Atemtest bei älteren Kindern) abgeklärt. Bei Verdacht auf eine Milchallergie stehen spezielle hypoallergene, hydrolysierte „HA-Nahrungen“ zur Verfügung. Auszuschließen sind akute Infektionen z.B. mit Entero-/Rotaviren aus dem Umfeld der Familie, mit hohem Fieber bei Scharlach oder Harnwegsentzündungen wegen mangelnder Hygiene ebenso wie Spul-/ Madenwurmbefall durch Stuhluntersuchungen. Eine geduldige, liebevolle Pflege und eine beruhigende Umgebung sollten so selbstverständlich sein wie das Vermeiden von Übervorsorge durch überladendes Füttern: zu häufig, zu schnell, ohne „Verschnaufpause“ für ein „Bäuerchen“. Das Köpfchen soll bei häufigem Spucken oder Erbrechen immer leicht erhöht gelagert werden, sanfte Bauchmassagen können ebenfalls den Schmerz lindern. Therapeutisch sind krampflösende, beruhigende symptomatische Mittel u.a. „Lefax“,“SAB simplex“! gegen Blähungen, Magrogol bei Obstipation, „Vomex/Emesan“ gegen Erbrechen und zur Schmerztherapie bei Nabelkoliken, Paracetamol in gewichtsgerechter und zeitlich begrenzter Dosierung hilfreich. Phytotherapeutische Präparate z.B. Belladonna, Pfefferminzöl und Probiotika können zur weiteren Beruhigung und Darmregulierung eingesetzt werden. Muttermilch – solange ausreichend verfügbar – ist die beste Nahrung im Säuglingsalter auch in der Krankheit! Meist dauern diese Beschwerden so lange, wie sie heißen . . .
Bauchschmerzpatienten im Kleinkind- und Kindergartenalter
In diesem Alter können Kinder ihre Beschwerden oft schon selbst beschreiben. Entweder treten diese als rezidivierende „Nabelkoliken“ oder „Reizdarmsyndrom“ (mindestens über 2 Monate 1x/Woche), oft im Zusammenhang mit grippalen Infekten samt Angina, aber auch Pneumonien und „alten“ Kinderkrankheiten wie Masern und Windpocken auf. Impfschutz nach STIKO vollständig? Nahrungsmittelallergien, aber viel häufiger handfeste Ernährungsfehler nehmen seit Jahren ungebremst durch übermäßigen Genuss und das Angebot von verführerischen Süßigkeiten, unnötig gesüßten Nahrungsmitteln und Getränken aller Art ungebremst zu. Allergien können sich in jedem Lebensalter entwickeln. Dauerbauchschmerzen wie episodenhaftes Auftreten müssen ärztlich abgeklärt werden: Blutbild (zum Ausschluss von Anämie, Infektion (CRP), Antikörpernachweis bei Allergieverdacht im Serum, Urin (Harnwegsinfekt, Steine?), Stuhl (Wurm/Madenbefall, Blut, Konsistenz). Vergiftungen (Beeren, „Alkoholreste vom Vortag“…) oder Verschlucken von Gegenständen können ebenfalls zu heftiger Darmsymptomatik führen. Eine weitergehende eingreifende Diagnostik ist in diesem Alter eher selten erforderlich. Die seelische Beteiligung bei Bauchschmerzen - bereits im frühen Alter mit depressiven Gemüts-schwankungen oder auch Aggression verbunden entsteht durch Ängste, Geschwisterrivalitäten oder Druck bei nicht selten überhöhten Anspruchserwartungen, überstrengen Erziehungsregeln zu Hause oder in der Kita durch Mobbing, Hänseln, Streitereien und Gewalttaten, häufig auch bei Kindern, die bereits mit einem Handycap belastet sind. Die alte Weisheit: „Den ganzen Tag erzählt der Bauch dem Kopf Geschichten“ ist heute unverändert gültig. Klärende Gespräche über Erziehungsstil, die oft nicht einfache soziale Integration in eine nur noch selten unkomplizierte neue Umgebung sollten sowohl im Familienverband als auch mit Kitabetreuern gesucht und gepflegt werden. Medikamentös lindernd und unterstützend sind auch in diesem Alter pflanzliche Beruhigungs- und krampflösende Substanzen zu empfehlen.
Bauchschmerzen im Schul- und Jugendalter
treten chronisch oder intermittierend (mindestens 1x in 3 Monaten) häufiger bei körperlich oftmals schlanken, eher psycho - vegetativ labilen Heranwachsenden mit einer Häufigkeit von bis zu 30% („Reizdarmsyndrom“) in beiderlei Geschlechtern, Mädchen häufiger als Jungen auf. Im Verlaufe der „Coronapandemie“ wurde ein Anstieg deutlich verminderter Lebensqualität auf 40 % beobachtet! Eine Erkenntnis, die deutlich gegen eine primäre Ernährungs- oder organische Ursache der Bauchschmerzen spricht. Grundsätzlich müssen alle der für das Kleinkindalter erwähnten Ursachen auch in der älteren Altersgruppe bei der Diagnosesuche in Betracht gezogen werden – zusätzlich gynäkologische Erkrankungen im Zusammenhang mit der Pubertät z.B. als Menstruationsschmerzen. Differentialdiagnostisch muss jetzt eher auch an eine Appendizitis, Meningitis oder Hirntumore gedacht werden oder chronische Darmentzündungen bei Systemerkrankungen z.B. Morbus Crohn, Colitis ulcerosa sowie Magen-Darmgeschwüre verursacht durch Suchtverhalten von Alkohol über Nikotin, Drogen Haschisch bis Morphium, scharf gewürzte Lieblingsspeisen oder bei Dauerstress. Infektionen mit Helicobacter pylori oder primär bösartige intestinale Krebserkrankungen werden auch im Jugendalter eher selten beobachtet, dürfen aber nie aus den Augen verloren werden. „Moderne Auslöser“ von Bauchschmerzen treten in den heutzutage aufregend, turbulenten Pubertätszeiten immer häufiger in den Vordergrund: Diese Bauchschmerzen sind psychosomatisch „verarbeitete“ Ängste und Erlebnisse aus ihrem Umfeld in der Familie, Peer Group, Schule oder Verein. Unfassbar in allen Altersgruppen ist der bereits schon in frühesten Lebensjahren zunehmende sexuelle Missbrauch, der oft chronische Bauchschmerzen mit schweren Depressionen und auch „abdominaler Kopfschmerzmigräne“ zur seelischen Bewältigung zur Folge hat. Gezieltes Mobbing ebenso, wie eine zunehmend soziale Verwahrlosung bei mannigfaltig häuslichen Problemen mit täglich miterlebten Trennungstragödien, Arbeitslosigkeit mit drohender Armut, Schulversagen, fehlendem Selbstwertgefühl können jederzeit neben diversen vielfältigen Verhaltensstörungen zu psychosomatischen Bauchschmerzen führen -nicht selten auch als „Langeweile Syndrom“. Ein viel zu oft ungenügend und inkonsequent kontrollierter Internetkonsum ist für viele bereits schon im Kleinkindalter als Dauerunterhalter und später als Lebensratgeber in seinen faszinierend verführerischen, sehr oft zeitlich und inhaltlich überfordernden Angeboten zur Ursache durchaus ernster körperlich wie geistig einschränkender Lebensqualität geworden. Bauchschmerzen jeder Art, Migräne, Konzentrationsstörungen mit Leistungsabfall, Depressionen sowie Einschränkung bis Verlust von lebenswichtigen Sozialkontakten gar Magersucht oder Bulimie werden immer häufiger beobachtet.
Bewährt hat sich in der Diagnostik unklarer chronischer Bauchschmerzen das „Zeichnenlassen der Schmerzempfindung“. Dabei beobachteten Kinder- und Jugendlichenpsychologen, dass bei „konkret organischen“ Bauchschmerzen junge Patienten nur kurz, widerwillig, mit Unlust und meist dunklen Farben ihre Symptomatik samt Empfindungen zu Papier brachten, während Betroffene mit der Vordiagnose „funktionale Bauchschmerzen“ sich bereitwillig zu bunter Malerei mit Freude und viel Phantasie öffneten.
Die Betreuung und Behandlung all solcher ernster und tiefer Befindlichkeitsstörungen in jungen Jahren erfordert allermeist viel Zeit und positiv -aufbauende Zuwendung seitens der Familie, der Freunde, der Pädagogen sowie der frühzeitigen Hilfe durch erfahrene ärztliche und psychologische Therapeuten nicht selten als „kleine Psychotherapie“. Die Befürchtung einer „Überdiagnostik“ bei handfesten Gesundheitsbeeinträchtigungen darf in keinem Lebensabschnitt zur Verzögerung einer erfolgversprechenden, frühen Therapie sein.
Weitere Hilfen:
https://meine-bauchstelle.com
https://wwwkinder-und jugend-arzt.de/Literaturverzeichnis
„Der Kinderarzt“ von Drs. Gunhild Kilian Kornell und Annette Eiden im Südwestverlag
Über den Autor

Kinder-Jugendarzt/Allergologie, Wetzlar