Fentanyl – Schmerzmittel oder Suchtstoff?
Den Namen Fentanyl kennen Sie sicherlich nicht nur aus der Apotheke, denn der Wirkstoff macht auch in der Presse immer wieder Schlagzeilen. Erst kürzlich wurde über die Beschlagnahme von 1000 kg berichtet, eine Menge die einen Schwarzmarktwert von mehr als 350 Millionen Euro haben soll. Zum Vergleich: Noch im Jahr 2005 betrug die Weltproduktion pharmazeutischen Fentanyls 2600 kg! Um was also handelt es sich bei Fentanyl und was macht diese Substanz so begehrt und gefährlich?
Herkunft
Fentanyl ist ein sehr stark wirksames Schmerzmittel aus der Gruppe der Opioidanalgetika, also der mit Morphin verwandten Stoffe. Es unterliegt daher in Deutschland dem Betäubungsmittelgesetz und seine Abgabe und Anwendung werden streng überwacht. Im Gegensatz zu Morphin kommt es nicht natürlich vor, sondern wird synthetisch hergestellt. Es ist auch keine wirklich neue Substanz, wurde bereits 1960 erstmals synthetisiert und ab 1963 als starkes Schmerzmittel zur Injektion verwendet.
Anwendung
Aufgrund der Lipophilie des Wirkstoffes, also der guten Fettlöslichkeit, wurden seit den 90er Jahren transdermale Systeme entwickelt, die die Schmerztherapie revolutionierten. Fentanyl kann kontrolliert aus Pflastern freigesetzt werden, wird gut über die Haut resorbiert und ist so hervorragend in der (Langzeit-)Therapie starker Schmerzen einsetzbar. Die Pflaster sind mit definierten Wirkstoffmengen beladen, welche über komplexe Matrixsysteme mit einer festen Rate pro Stunde (z.B. 12 oder 25 Mikrogramm/Stunde) freigesetzt werden; die Pflaster müssen erst nach 3 Tagen gewechselt werden, ehe die Freisetzungsrate absinkt. Bei der Anwendung von Fentanyl-Pflastern ist der Wirkeintritt verzögert, da sich der Fentanyl-Blutspiegel erst über mehrere Stunden aufbauen muß, dann aber konstant gehalten wird, weshalb bei Pflasterwechsel Uhrzeiten möglichst präzise eingehalten werden müssen. Seit einigen Jahren stehen auch Sublingualtabletten, Lutschstäbchen und Nasensprays mit Fentanyl zur Verfügung. Hierbei erfolgt ein sehr schneller Wirkeintritt binnen weniger Minuten durch schnelle Resorption des Wirkstoffes über die Mund- bzw. Nasenschleimhaut. Diese Darreichungsformen werden daher zur Behandlung von Durchbruchsschmerzen genutzt, insbesondere in der Tumorbehandlung. Geben Sie Fentanylpräparate nie an andere weiter und entsorgen sie auch „verbrauchte“ Pflaster sicher und endgültig, um jeglichen Mißbrauch zu vermeiden!
Wirkung
Fentanyl wirkt schon in kleinster Dosierung sehr stark schmerzstillend und sedierend. Es ist in seiner Wirkung ca. 100-fach stärker als Morphin, wird also nur in sehr kleinen Mengen benötigt. Zur Narkoseeinleitung werden – je nach Körpergewicht des Patienten - Mengen von 50 – 200 Mikrogramm gespritzt (1 Mikrogramm = 1 Millionstel Gramm!). Bei i.v.-Injektion tritt die schmerzstillende und sedierende Wirkung innerhalb weniger Sekunden ein. Fentanyl wird in der Leber verstoffwechselt und über die Niere nur zu einem sehr geringen Prozentsatz (unter 4 %) unverändert mit dem Urin ausgeschieden. Die Wirkdauer ist im Vergleich zu vielen anderen Opioiden deutlich kürzer, die Substanz wird also sehr viel schneller ausgeschieden. Die Eliminationshalbwertszeit beträgt ca. 3,5 Stunden, bei der abgewandelten ultrakurz wirkenden Substanz Remifentanil nur 5 bis 10 Minuten!
Nebenwirkungen
Wie alle Opioidanalgetika hat natürlich auch Fentanyl Nebenwirkungen, die beachtet, aber nicht in jeder Dosierung auftreten müssen. Wichtigste unerwünschte Wirkung ist die Atemdepression, die länger anhält als die schmerzstillende Wirkung. Ein Absenken des Blutdrucks wurde ebenso beobachtet wie Übelkeit und Erbrechen; in sehr seltenen Fällen kann die Pulsfrequenz absinken. Als Wirkungen auf das Zentralnervensystem werden Agitiertheit und Delirium beschrieben. Diese euphorisierende Wirkung macht die Substanz für die Drogenszene interessant. Bei mißbräuchlicher Anwendung und Überdosierung kommt es zu völliger Bewußtlosigkeit, zum Verlust jeglichen Reaktionsvermögens und bei Überdosierung zum Tod.
Fluch und Segen
Wie so oft in der Pharmazie und Medizin liegen Fluch und Segen dicht beieinander. Oft macht die Dosierung den Unterschied. Starke Opioide sind unverzichtbare Wirkstoffe in der effektiven Schmerztherapie, haben aber alle ein Sucht- und Abhängigkeitspotential. Dies ist für die notwendige Behandlungsdauer in Kauf zu nehmen. Das Absetzen von Fentanyl kann bei hohen Dosierungen nicht abrupt erfolgen; ein langsames Ausschleichen ist notwendig. Wurden Opiate früher oft zu selten und zu spät eingesetzt – auch wegen der strengen Überwachung und der Komplexität der Verordnungsmodalitäten -, ist heute in manchen Ländern ein zu laxer Umgang mit diesen Substanzen festzustellen. „Zu häufig, zu viel, zu lange“ lautet der immer wieder erhobene Vorwurf. Vertrauen Sie also erfahrenen Ärzten, die verantwortlich mit diesen Mitteln umgehen und sie angepaßt an die Patientensituation sinnvoll dosieren und einsetzen. Und machen sie sich in Palliativ-Situationen, in den keine Heilung möglich ist und es darum geht, die verbleibende Lebenszeit erträglich zu gestalten, keine Gedanken um Abhängigkeit und Gewöhnung. Oft ist die Anwendung jedoch, bedingt durch mögliche operative Eingriffe oder andere kurative Therapieoptionen, nur eine begrenzte Zeit notwendig.
Mißbrauch
Abschließend noch ein Wort zur Suchtproblematik und zur großen Anzahl von „Fentanyl-Toten“, insbesondere in den USA. Hier wird Fentanyl oft verschnitten oder es werden synthetisch abgewandelte „Designer-Fentanyle“ verwendet, die nochmals deutlich stärker wirksam sind als Fentanyl selbst. Um dem Laien eine Vorstellung von der Stärke dieser Substanzen zu vermitteln: Die analgetische Wirksamkeit von Alpha-Methylfentanyl ist 600 mal stärker als von Morphin, für cis(+)-3-Methylfentanyl beträgt der Faktor 6600 und für Carfentanil 10000! Ob die euphorisierende Wirkung analog ansteigt, ist unbekannt, das Überdosierungspotential jedoch steigt ganz erheblich, da Mengen im Bereich von wenigen Millionstel Gramm enorme Wirkungen haben und kaum mehr exakt dosiert werden können. So kommt es alljährlich in der Drogenszene zu Tausenden von Todesfällen durch Überdosierung mit derartigen Substanzen.
Prominentes Opfer ist der amerikamischen Sänger Prince, der 2016 im Alter von 57 Jahren an einer Überdosis Fentanyl starb.
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Apotheker