Physiotherapie für Parkinson-Patienten (Teil I)

Physiotherapie (PT) ersetzt seit 1994 in Deutschland den Begriff "Krankengymnastik". Historisch gesehen ist PT eine Form der äußerlichen Anwendung bestimmter Heilverfahren und beinhaltet die ganzheitliche Therapie des Körpers und seiner besonderen Gegebenheiten und Einschränkungen durch gezielte Reize, wie z.B. Wärme, Kälte oder Druck. Neben bzw. zusätzlich zur "Krankengymnastik" beinhaltet die PT also auch die gesamte Palette der physikalischen Therapie, welche mit Massagen, Strömen, Wasser und Wärme arbeitet.

In den modernen Physiotherapie Lehrbüchern wird in der Zwischenzeit auch der Begriff "Krankengymnastik" nicht mehr verwendet, da sich durchaus auch gesunde Menschen dieser Verfahren im Sinne einer Prophylaxe bedienen und insbesondere für bereits Erkrankte der Terminus "Gymnastik" nicht den Kern trifft. Aus Krankengymnastik wurde "Bewegungstherapie", aus meiner Sicht ein sehr sinnvoller Wandel. Der neue Begriff umfasst einen flexiblen Behandlungsprozess, welcher sich an den Möglichkeiten des Patienten im Heilungsprozess anpasst.

Trotz bester Medizin ist die Krankheit bis heute nicht heilbar. Sie entwickelt sich mehr oder weniger fortschreitend und das Ausmaß der Bewegungseinschränkung mit Parkinson-spezifischen Gang- und Haltungsstörungen nehmen zu. Zwei amerikanische Parkinson-Experten haben aus diesem Grund 1987 eine Schweregradeinteilung entwickelt, welche nach ihnen benannt wurde, die Hoehn & Yahr (HY) Stadien der Parkinson-Krankheit (1).

Stadieneinteilung nach Hoehn & Yahr (--> www.parkinson-web.de)

Stadium

Ausmaß der motorischen Beeinträchtigung

1

einseitige Erkrankung

2

beidseitige Erkrankung ohne Gleichgewichtsstörungen

2,5

beidseitige Erkrankung mit Ausgleich beim Zugtest*

3

leichte bis mäßige beidseitige Erkrankung - es besteht eine leichte Haltungsinstabilität, der Patient ist aber körperlich noch unabhängig

4

starke Behinderung -

der Patient kann aber noch ohne fremde Hilfe laufen oder stehen

5

der Patient ist ohne fremde Hilfe an den Rollstuhl gefesselt oder bettlägerig


Die Hoehn-Yahr-Skala ist eine grobe Stadieneinteilung aufgrund der motorischen Beeinträchtigung. Nichtmotorische Symptome, wie Angst, Verstopfung, Inkontinenz, werden nicht berücksichtigt. Eine sinnvolle Bewegungstherapie sollte sich mit ihren Zielen und der Auswahl der Therapie jedoch nach diesen Stadien richten.

Die Wirksamkeit von physiotherapeutischen Behandlungsansätzen wurde lange Zeit angezweifelt. Aus diesem Grund wurden viele Studien durchgeführt, um den Anforderungen einer evidenzbasierten wissenschaftlichen Bewertung und Erfolgskontrolle gerecht zu werden. Je nach Güte einer Aussage unterscheidet man Evidenzklassen 1 - 4 und Evidenzlevel A bis D. In den letzten Jahren ist die Zahl dieser Publikationen über die Wirksamkeit verschiedener physiotherapeutischer Verfahren sprunghaft gestiegen. Um sich mit anderen Verfahren vergleichen zu können, wird in den meisten Arbeiten die international verwendete Skala zur Beurteilung der motorischen und nichtmotorischen Behinderung durch die Parkinson-Krankheit, die UPDRS (Unified Parkinsons disease rating scale) als Messverfahren eingesetzt (2) (--> www.parkinson-web.de). Diese Skala wird seit Jahrzehnten in Zulassungsstudien für neue Medikamente gegen Parkinson verwendet. Erstaunlich ist, dass einige der im Folgenden genannten Therapieverfahren ähnlich gute Verbesserungen in der UPDRS erzielen konnten, wie Parkinson-Medikamente in ihren Zulassungsstudien. Dies sollte insbesondere Krankenkassen zu denken geben, aber auch denjenigen Patienten, welche den Nutzen einer regelmäßigen aktivierenden Begleittherapie bisher für sich noch nicht erkennen konnten.

Bei Morbus Parkinson ist die PT jedoch nicht nur eine sinnvolle Ergänzung zur medikamentösen oder operativen Therapie, sondern für eine ganzheitliche Behandlung unbedingt erforderlich und unverzichtbar, da sich zahlreiche parkinson-typische Krankheitssymptome sowohl der modernen medikamentösen Kombinationsbehandlung, als auch den operativen Verfahren entziehen, wie z.B. die nach vorn gebeugte Körperhaltung, auch Kamptokormie genannt, oder die Parkinson-typische Gangstörung mit "Festkleben" der Füße am Boden (Freezing). Da sie nicht altersabhängig auftreten, sind durchaus auch jüngere Patienten davon betroffen. Zudem ist die Muskulatur eines Parkinson-Patienten ständig angespannt, trotz bester Medikation. Dieser konstant erhöhte Muskeltonus führt - wenn nicht aktiv gegengesteuert wird - neben Schmerzen und vorzeitiger Erschöpfung und ständiger Müdigkeit zu Folgeerkrankungen der Wirbelsäule und der großen Gelenke. Aus diesem Grund ist vom Zeitpunkt der Diagnosestellung an ein regelmäßiges muskelentspannendes Training erforderlich, um späteren Haltungsstörungen vorzubeugen.

Ich empfehle deshalb meinen Patienten von Beginn an ein tägliches Pflichtprogramm von 30 Minuten, welches Dehn- und Streckübungen (heute auch Stretching genannt) von Kopf bis Fuß beinhaltet. Dehnen erhöht die Beweglichkeit der Gelenke, festigt das Bindegewebe, stärkt Sehnen und Bänder, erwärmt die Muskulatur und entspannt den Körper. Diese Übungen sollten zum Alltag gehören, wie das tägliche Frühstück. Da wir Menschen "Gewohnheitstiere" sind, rate ich, diese Übungen täglich zur selben Zeit in den Tagesablauf einzubauen. Sie sind überall ohne Hilfsmittel durchführbar, am besten im Bett oder auf einer Trainingsmatte.

Beispiel (ein Teil dieser Übung): Sie liegen auf dem Rücken, die Arme liegen neben ihnen: Bauchmuskeln anspannen, Beine angewinkelt nach oben heben und mit beiden Beinen in der Luft "Fahrrad fahren", jeweils zehnmal vorwärts, dann rückwärts usw.

Physiotherapeuten unterscheiden statisches und dynamisches, aktives und passives Dehnen. Geeignete Hilfsmittel für Dehnübungen: Thera-Band, Gymstick Streching-Stick, Deuser-Band, Stretch-Rite®, Flexi-Bar (Schwingstab), Pezzi-Ball etc. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten sich zu dehnen und sich dabei helfen zu lassen, nicht zuletzt an guten Geräten in Fitness-Zentren. Gute Dehnübungen beschreibt Frau Vaitiekunas in ihrem Buch "Physiotherapie bei Parkinson-Syndromen" (3). Eigentlich ist das Buch als Anleitung für Physiotherapeuten gedacht, daher ist der Text nicht unbedingt Patienten-freundlich. Alle ihre Übungen sind jedoch umfangreich bildlich dargestellt, so dass Übungen auch allein anhand dieser Bilder gut nachvollzogen werden können.

In der nächsten Ausgabe werden einzelne Therapieverfahren vorgestellt.

Über den Autor

Dr. med. Ilona Csoti
Dr. med. Ilona Csoti
Ärztliche Direktorin
Gertrudisklinik Biskirchen

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