Narbenbrüche - wenn die Operationsnarbe nicht mehr hält!
Herr Schmidt ist verwundert! Seit seiner Bauchoperation mit Entfernung eines Darmstücks vor zwei Jahren hatte er sich eigentlich gut von dem Eingriff erholt. Vor wenigen Tagen bemerkte er einen leichten ziehenden und manchmal drückenden Schmerz am Bauch, vor allem tagsüber und bei Tätigkeiten im Haus, das er gerne renoviert. Gestern sah er plötzlich nach dem Duschen eine nicht bekannte Schwellung über dem Bauchnabel, die er dann auch tasten konnte. Seltsamerweise verschwindet die Beule im Liegen! Und wenig später bemerkt er, dass er die Schwellung selbst wieder hineindrücken kann.
Diese frei erfundene Geschichte beschreibt wohl ziemlich gut die Symptome und das Auftreten eines Narbenbruches!
Symptome eines Narbenbruchs
benbrüche werden nicht selten gar nicht bemerkt, da sie ohne Beschwerden des Patienten auftreten oder im Unterhautfettgewebe nicht auffallen. Dies ist natürlich immer abhängig von der Grösse und dem Inhalt des Narbenbruches sowie der körperlichen Konstitution des Patienten.
Ein Bruch - egal ob in der Leiste, im Nabel oder an einer anderen Stelle der Bauchdecke - ist immer ein geschwächtes Areal der Bauchdecke mit einer Lücke, einem Bruchsack aus durchtretendem Bauchfell und einem Inhalt (grundsätzlich sind dabei alle Strukturen des Bauchraums möglich).
Welche Symptome bemerke ich als Patient?
• Vorwölbung, in der Regel stärker bei körperlicher Anstrengung
• Schmerzen beim Heben, Pressen oder Husten
• ggfs. Rötung und Schmerzen beim Drücken
• zunehmende Stuhlgangsunregelmässigkeiten
• krampfartige Bauchschmerzen, Fieber, Übelkeit im Falle der Einklemmung. Dann lässt sich der Bruch auch nicht mehr zurückdrücken.
Ob eine Operationsnarbe in ihrer Struktur verschlossen und belastbar bleibt, ist eine Folge verschiedener Faktoren. Grundsätzlich ist Narbengewebe natürlich bezüglich der Reissfestigkeit und der Belastbarkeit dem nicht vernarbten Gewebe unterlegen.
Narbenbrüche - Auftreten bei bis zu 20 % der Patienten nach Mittellinien-Bauchoperationen innerhalb von zwei Jahren
Bei der Vielzahl der Bauchoperationen (über 30 % aller Menschen müssen sich im Laufe des Lebens einer Bauchoperation unterziehen, jenseits des 60. Lebensjahres noch weit häufiger) in der heutigen Zeit ist das Krankheitsbild eines Narbenbruches eine durchaus häufig gestellte Diagnose. Allein in Deutschland werden jährlich ca. 60.000 Narbenbruchoperationen durchgeführt - und das ist nur die sprichwörtliche Spitze des Eisbergs.
Narbenbrüche treten zu 30 % innerhalb der ersten 6 Monate auf, über die Hälfte innerhalb eines Jahres und zu 75 % innerhalb von 2 Jahren!
Ist eine Bauchoperation durch den Bauchchirurgen, den Gefäßchirurgien, den Gynäkologen oder durch den Urologen erforderlich, ist damit automatisch das Risiko eines Narbenbruches verbunden! Auch wenn mittlerweile sehr viele Operationen zum Vorteile des Patienten mit kleinen Schnitten, d,h. in konventioneller respektive roboterassistierter Schlüssellochtechnik vorgenommen werden und offene Verfahren oft nur noch in speziellen Fällen erforderlich sind, ist der Narbenbruch nicht von der Bildfläche verschwunden und wird dies auch in Zukunft nicht tun.
Dabei spielt nicht nur die Grösse und der Ort des Operationszuganges (Mittellinie) eine Rolle, weitere Risikofaktoren sind eine gestörte Wundheilung bei Wundinfektion (nicht zuletzt durch die zugrundeliegende Erkrankung), die Methodik des Operateurs beim Bauchdeckenverschluss, das männliche Geschlecht und auch das Körpergewicht des Patienten.
Als Hochrisikogruppen für das Auftreten von Narbenbrüchen sind laut Studien nach geplantem Mittellinienschnitt PatientInnen mit erhöhtem Körpergewicht, Eingriffe an einer Aussackung der Bauchschlagader (Aortenaneurysma), Dickdarmoperationen sowie das gleichzeitige Vorliegen einer sogenannten Rektusdiastase (Auseinanderweichen der geraden Bauchmuskeln) anzusehen.
Wer bereits einen Narbenbruch hatte, hat damit bereits ein höheres Risiko, einen erneuten Narbenbruch zu entwickeln. Möglicherweise sind dabei auch Unterschiede im genetisch definierten Gewebeaufbau jedes einzelnen entscheidend. Weitere Risikofaktoren sind Rauchen, die Immunabwehr beeinflussende Medikamente und auch der Diabetes mellitus.
Kleine Schnitte sind nicht immer möglich - vor allem bei Notfalleingriffen!
Narbenbrüche entstehen zu über 50 % im ersten Jahr nach der Operation, typischerweise sind sie ein Phänomen der ersten Jahre nach der Operation. Eingeweidebrüche, die im Bereich von Operationsnarben entstehen, sind dabei ein komplexes Thema im Bereich der Hernienchirurgie.
Eingeweidebruch des künstlichen Darmausgangs - der Narbenbruch des Stomas!
Ebenso können Brüche im Bereich von künstlichen Darmausgängen entstehen, was dann als eine sogenannte parastomale Hernie bezeichnet wird. Diese können im ungünstigen Fall dazu führen, dass der künstliche Ausgang nicht mehr richtig funktioniert, Schmerzen entstehen und die Versorgung des Stomas erschwert wird. Manchmal entstehen Einklemmungen, die eine sofortige Notfalloperation erforderlich machen.
Geht es auch ohne Operation?
Narbenbrüche führen in aller Regel zu einer deutlichen Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit und Funktionsfähigkeit und stören häufig in der Ausübung alltäglicher Beschäftigungen. Die Lebensqualität wird häufig eingeschränkt.
Nicht zuletzt stören die Brüche die eigene Körperwahrnehmung.
Der Narbenbruch bedingt sicher nicht in allen Fällen die Gefahr der Einklemmung. Das Fehlen von Symptomen ist aber keine Garantie, dass keine Gefährdung besteht. Im Falle der Einklemmung ist eine Operation im Notfall erforderlich, die ihre speziellen Risiken hat und häufig nicht alle Operationstechniken bieten kann.
Tendenziell neigt der Narbenbruch zur Vergrößerung. Je grösser der Bruch wird, umso aufwendiger und technisch schwieriger wird die Operation.
Das Tragen einer Bauchbinde oder eines Mieders schützt nur bedingt, weil es dem Patienten eine scheinbare Stabilität vortäuscht. Die Gefahr der Einklemmung wird dadurch nicht vermindert. Deswegen sollte diese Therapie nur in den Fällen Anwendung finden, in denen aufgrund von schweren Erkrankungen und / oder hohem Alter eine Operation nicht mehr vertretbar erscheint!
Narbenbrüche sollten - wenn möglich - operiert werden!
Im Hintergrund besteht immer die Gefahr der Einklemmung und damit der Möglichkeit des Untergangs von Bruchsackinhalt (in der Regel Darmanteile). Einklemmungen sind ein Notfall! Eine unverzügliche Vorstellung in der Notfallklinik ist erforderlich!
Eine operative Versorgung der Narbenhernie im Notfall ist fast immer mit schlechteren Ergebnissen verbunden! Wie gross das Gefährdungspotential ist, kann der Patient im persönlichen Gespräch mit dem Arzt erörtern.
Welche Operationstechniken gibt es?
In diesem Zusammenhang hat die Bruchchirurgie gerade in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. Heutzutage können dem Patienten eine Vielzahl von Operationstechniken angeboten werden. Man spricht dann von einer maßgeschneiderten Lösung für den Patienten. In einem persönlichen Gespräch mit dem Chirurgen kann dieser die für die Größe des Bruches, die äußeren Umstände und die Wünsche des Patienten perfekte Operationsmethode festlegen. Entscheidend ist dabei natürlich auch, welche Erwartungen der Patient an das Leben „nach dem Bruch“ stellt und welche Vor- und Nachteile der verschiedenen Verfahren für jeden individuellen Fall existieren.
Minimal-invasive Techniken senken das Risiko von Komplikationen während und nach der Operation!
In aller Regel wird der Bruch mit einem Netz verstärkt. Dies sorgt dafür, dass die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Bruches erheblich gesenkt wird! Heutige Netze bestehen zumeist aus Kunststoff, welcher sich im Körper nicht auflöst. Die Netze sind gut verträglich, heilen gut und fest ein und bedingen eine ausgezeichnete spätere Stabilität der Bauchwand.
Folgende Operationsvarianten können angeboten werden:
1. Operationen mit Nahtverschluss des Bruches (eher selten, bei sehr kleinen Brüchen)
2. Operationen mit Netzverstärkung des Bruches (heute die Regel).
A. offene Standardmethoden mit Platzierung des Netzes hinter den geraden Bauchmuskel
B. minimal-invasiv mit Netzeinlage in den Bauchraum (sog. laparoskopisches IPOM-Verfahren)
C. minimal-invasiv mit Netzeinlage in die Bauchdecke ausserhalb des Bauchraumes (MILOS, eMILOS, eTEP)
Jede einzelne Methode hat ihre eigenen Vor- und Nachteile!
Bei grossen oder komplexen Brüchen kann man heute auch mit folgendem Vorgehen die anatomische Rekonstruktion der Bauchdecke wahrscheinlicher machen:
• BOTOX-Injektionen vor der Operation: ca. 6 Wochen vor der Operation bewirkt dies eine Entspannung der seitlichen Bauchdecke, damit ist ein dann ein spannungsfreier Verschluss des Bruches in der Operation möglich!
• Fasziotens: während des Eingriffs wird die Bauchdecke über eine längere Zeit unter kontrollierten Zug gesetzt, auch dies bewirkt durch Substanzgewinn einen besseren Verschluss des Bruches.
Wie läuft die Vorbereitung ab? Wie lange ist der Patient stationär?
Körpergewicht reduzieren und das Rauchen aufgeben, das sind Forderungen vor der Operation, die oft gar nicht so einfach umzusetzen sind!
Narbenbruchoperationen können selten ambulant durchgeführt werden. Ein kurzer stationärer Aufenthalt ist, je nach Grösse des Bruches und Allgemeinzustand des Patienten, empfehlenswert.
Welche Nachbehandlung, welche Kontrollen erwarten mich?
Je nach patienteneigenen Faktoren und angewandtem OP-Verfahren entscheidet sich, wie die Nachbehandlung abläuft.
In aller Regel kann der Patient schon bald nach Entlassung seine alltäglichen Tätigkeiten wieder aufnehmen. Eine feste Hebeeinschränkung in Kilogramm existiert nicht.
Mindestens für zwei Wochen, manchmal bis zu vier Wochen, wird angeraten, Kraft-und Athletiksport zu vermeiden. Arbeitsunfähigkeit besteht für mindestens zwei Wochen, bei körperlich anstrengender Arbeit für 3-4 Wochen.
Ein speziell verordnetes und angepasstes Kompressionsmieder kann dafür sorgen, dass sich weniger Wundwasser in der Wunde ansammelt (für mehrere Wochen).
Nikotinverzicht (Rauchen reduziert den Vitamin-C-Pegel, der wichtig ist für die Bildung von Bindegewebe) und Gewichtsreduktion (durch Verminderung des Druckes in der Bauchhöhle) erhöhen die Chance, dass die Wunde gut verheilt und stabil bleibt.
Der verantwortliche Hernienchirurg wird dann spätere Kontrolltermine vereinbaren!
Was erwartet der Narbenbruchpatient?
Neben der Beseitigung des Bruches erwartet den Patient eine schmerzarme Operationstechnik mit schneller Rekonvaleszenz und die Sicherheit, dass der Narbenbruch mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht wiederkommt. All das können die modernen Operationsverfahren bieten!
Narbenbrüche - wenn die Operationsnarbe wieder hält!
Die moderne Hernienchirurgie ermöglicht heute eine an den individuellen Fall angepasste Operationsstrategie.
In einem Informationsgespräch kann der Hernienchirurg zusammen mit dem Patienten das im jeweiligen Falle passende Operationsverfahren auswählen.
Die Gefahr, dass ein Narbenbruch erneut auftritt, ist zwar nicht komplett ausgeschlossen, ist aber sehr unwahrscheinlich!
Nach Abschluss der Therapie können die Patienten ihren vorherigen Tätigkeiten und Beschäftigungen wieder nachgehen, je nachdem, welche Belastungsfähigkeit und welcher körperlicher Zustand vor der Operation bestand.
Bei Vorliegen eines Narbenbruchs sollte sich der Patient nicht scheuen, mit Experten in der Nähe einen Termin zu einem Beratungsgespräch zu vereinbaren
Über den Autor
Chefarzt des Zentrums für Allgemeine, Viszerale und Onkologische Chirurgie
Lahn-Dill-Kliniken Wetzlar