Sollte jeder über 65 Jahre eine Smartwatch tragen?

Weltweit steigt die Häufigkeit von Vorhofflimmern an und beträgt aktuell 2 – 4 %. Berechnungen zu Folge wird jeder dritte 55-jährige in seinem Leben an Vorhofflimmern erkranken.

Vorhofflimmern ist nicht nur mit einer Minderung der Lebensqualität und einer erhöhten Sterblichkeit verbunden, sondern kann auch eine Herzschwäche sowie einen Schlaganfall hervorrufen. Deshalb wird ein Screening zum frühzeitigen Erkennen und Behandeln von Vorhofflimmern immer mehr diskutiert. Screening wird in der Medizin bei Menschen ohne Beschwerden zum Früherkennen von Erkrankungen genutzt, um sie frühzeitig zu behandeln, die Prognose zu verbessern und eventuell sogar eine Heilung zu erzielen. So sind Screening-Programme für Brust- oder Darmkrebs gut etabliert.   
Unter Wearables werden tragbare Sensoren verstanden, die u.a. Smartwatches umfassen. Aufgrund der einfachen Handhabung und ubiquitären Verfügbarkeit nehmen diese bei der Detektion von Vorhofflimmern im klinischen Alltag deutlich zu. Besonders wichtig ist hier die Unterscheidung, ob die Smartwatch mittels direkter EKG-Aufzeichnung arbeitet oder aber ob (lediglich) eine Smartwatch mit Photoplethysmographie (PPG) vorliegt, die aufgrund von Pulsunregelmäßigkeiten Rückschlüsse auf möglicherweise vorliegendes Vorhofflimmern liefern kann, aber zur Diagnose von Vorhofflimmern unzureichend ist. 
Die PPG-Diagnostik basiert auf einer Pulswellenanalyse und ist Grundlage vieler Smartwatches und Apps. Viele Smartwatches können aktuell beides, Herzfrequenzanalyse mittels PPG sowie 1-Kanal-EKG-Streifen aufzeichnen. Diese technische Unterscheidung der Systeme ist in Bezug auf die Rhythmusdiagnostik wichtig. Denn für die Diagnose einer Rhythmusstörung muss die Smartwatch in der Lage sein, ein 1-Kanal-EKG ableiten zu können.

Was spräche für das Tragen einer Smartwatch bei jedem Menschen über 65 Jahren?

Da Patienten mit höherem Lebensalter ein erhöhtes Schlaganfallrisiko bei Vorliegen von Vorhofflimmern haben, ist die Bevölkerungsgruppe der über 65-jährigen und besonders der Patienten, die älter als 75  Jahre sind, von großem Interesse. Die frühzeitige Diagnose von Vorhofflimmern ist wichtig, um die weitere Prognose eines Patienten zu verbessern. So kann das Auftreten von Herzschwäche und Schlaganfall bei frühzeitiger Diagnose sowie frühem Beginn einer Behandlung reduziert werden. Eine systematische, früh eingeleitete rhythmuserhaltene Therapie reduziert das Schlaganfallrisiko bei Patienten um ca. ein Drittel.  
Aber solch ein Screening weist auch bedeutsame Limitationen und Gefahren auf. So werden Patienten durch ein falsch-positives Ergebnis unnötig beunruhigt, das zudem zu überflüssigen diagnostischen Tests führt. Des Weiteren beschäftigen sich Patienten mit Vorhofflimmern, die Smartwatches tragen, eher mit Symptomen ihres Herzens, berichten mehr über Bedenken hinsichtlich ihrer Behandlung des Vorhofflimmerns und nehmen häufiger Gesundheitsressourcen wie EKG, Echokardiogramme und Ablationen in Anspruch. Etwa jeder Fünfte berichtet über Ängste und Befürchtungen als Reaktion auf Benachrichtigungen über Rhythmusstörungen. Ein ähnlicher Anteil kontaktiert routinemäßig einen Arzt, wenn die EKG-Ergebnisse der Smartwatch abnormal waren oder auf mögliches Vorhofflimmern hindeuten. Ein generelles Tragen von Smartwatches wird daher zu bedeutsamen psychischen Belastungen und zu erheblichen Kosten für das Gesundheitssystem führen. 
Zudem werden Schlaganfälle weitaus weniger als erwartet reduziert. In durchgeführten Studien mussten 200 Patienten, bei denen Vorhofflimmern mittels Smartwatches festgestellt wurde, behandelt werden, um einen Schlaganfall zu verhindern. Wurden nur schwere Schlaganfälle betrachtet, mussten sogar 350 Patienten behandelt werden, um einen schweren Schlaganfall zu verhindern. Der klinische Nutzen dieser Maßnahme war daher nicht sehr groß. 

Fazit
Bislang konnte nicht gezeigt werden, dass mit Screening von Vorhofflimmern das Risiko für Begleitkomplikationen wesentlich gesenkt werden kann. Deshalb sollte angesichts unklarer therapeutischer Konsequenzen ein generelles Screening auf Vorhofflimmern bei > 65-Jährigen mit Smartwatches zum jetzigen Zeitpunkt nicht empfohlen werden. Möglicherweise spielt zukünftig ein KI-basiertes Screening auf Vorhofflimmern in der Risikobewertung und der Vermeidung von Schlaganfällen und Herzschwäche eine größere Rolle

Über den Autor

Prof. Dr. med. Martin Brück
Prof. Dr. med. Martin Brück
Chefarzt der Medizinischen Klinik I
Klinikum Wetzlar

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