Übergewicht einfach wegspritzen?

Was kann die „Abnehmspritze“?


Bereits 1979 entdeckte der Arzt Werner Creutzfeld ein von neuroendokrinen Darmzellen (L-Zellen) produziertes Hormon, das die Insulinsekretion und damit den Blutzuckerspiegel beeinflusst. Wegen seiner Wirkung, die dem des damals bekannten Glucagons ähnlich erschien, wurde es Glucagon-like-Pepitd 1 (GLP-1) genannt. Die Eigenschaften und Wirkungen des Hormones auf den Stoffwechsel wurden in den Folgejahren weiter erforscht und das therapeutische Potential für die Diabetesbehandlung erkannt. Für eine pharmazeutische Nutzung war jedoch die kurze Wirkdauer des GLP-1 ein Problem, da es innerhalb weniger Minuten nach seiner Freisetzung im Blut durch ein Enzym (Dipeptidyl-Peptidase-4) abgebaut wird. Erst 2005 kam in den USA erstmals ein Medikament zur Diabetesbehandlung auf den Markt, das dem GLP-1 ähnelt. Die Substanz (Exenatid) wirkt an den gleichen Zellrezeptoren wie GLP-1 und wird daher GLP-1 Agonist genannt. Sein Vorteil im Vergleich zum Original ist eine längere chemische Stabilität bzw. ein langsamerer Abbau. 

Ein Diabetesmedikament, das den Appetit vermindert

Die Wirkung der GLP-1 Agonisten (von denen es mittlerweile mehrere gibt) bleibt jedoch nicht auf den Glukosestoffwechsel beschränkt. Unter anderem stellte sich heraus, dass diese Stoffe auch das Nervensystem beeinflussen, die Magenentleerung verzögern, was das Sättigungsgefühl steigert und zudem über eine Wirkung im Gehirn den Appetit vermindern. Damit können diese Substanzen auch zu einer Gewichtsreduktion beitragen. Das hat in der öffentlichen und medialen Diskussion zu einem Hype um die sogenannte „Abnehmspritze“ als Lifestyleprodukt geführt. In Deutschland sind derzeit drei GLP-1 Agonisten verschreibungspflichtig zur Behandlung von Übergewicht zugelassen. Der nach meinem Kenntnisstand am häufigsten eingesetzte Wirkstoff ist Semaglutid (Wegovy®, seit 07/2023), daneben sind auch Liraglutid (Saxenda®, seit 2016) und Tirzepatid (Mounjaro®, seit 12/2023) auf dem Markt. Die Behandlung mit Wegovy® ist zugelassen bei einem BMI >30 oder bei Erkrankungen, die mit einem Übergewicht assoziiert sind bei einem BMI >27 und sofern keine Kontraindikationen vorliegen.
Besonderheiten der Behandlung
GLP-1 Agonisten führen nicht per se zu einer Gewichtsreduktion. Sie vermindern das Hungergefühl, erleichtern es damit, weniger zu Essen und ermöglicht somit eine Gewichtsabnahme. Wenn dem Körper weniger Energie zugeführt wird als er verbraucht, verliert er Masse, um die notwenige Energie zu erzeugen. Leider wird dabei bevorzugt Muskelmasse und nicht Fett abgebaut. Ein Körper mit weniger Muskelmasse verbraucht weniger Energie und hat es schwerer weiter abzunehmen. Daher ist es wichtig parallel zu einer Diät dem Muskelabbau entgegenzuwirken. Das Trainingsprogramm sollte abhängig vom Grad der Adipositas, Vorerkrankungen und Einschränkungen ärztlich abgestimmt sein. Auch eine diätetische Beratung und Änderung der Lebensgewohnheiten sind für den Erfolg unverzichtbar. Aufgrund zahlreicher Einschränkungen, Kontraindikationen und möglicher Nebenwirkungen der GLP-1 Agonisten darf eine Behandlung nur nach ausführlicher ärztlicher Untersuchung, umfangreicher Beratung und ärztlicher Begleitung während der Therapie erfolgen. Die Behandlung ist in der Regel dauerhaft, da eine Beendigung zur erneuten Gewichtszunahme führt. In der Regel kann mit Hilfe von GLP-1 Agonisten eine Gewichtsreduktion von ca. 15-20% des Ausgangsgewichtes erreicht werden. Es gibt jedoch auch Patienten, die nicht abnehmen. Die Kosten zur alleinigen Behandlung des Übergewichtes werden nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Sie belaufen sich derzeit auf ca. 4.436,12 € (Wegovy®) pro Jahr.

Kontraindikationen und Nebenwirkungen
Schwangere, Stillende, Menschen mit einer Allergie gegen den Inhaltsstoff, Patienten mit Typ-1-Diabetes, stark eingeschränkter Leber- oder Nierenfunktion, schwerer Herzinsuffizienz oder Retinopathie dürfen nicht mit Semaglutid (Wegovy®) behandelt werden. Häufigste Nebenwirkungen (10% und mehr) sind Kopfschmerzen sowie Magen-Darm-Beschwerden wie Völlegefühl, Aufstoßen, Erbrechen, Bauchschmerzen, Durchfall oder Verstopfung. Deutlich seltener treten Probleme der Galle, eine Bauchspeicheldrüsenentzündung, eine akute Entleerungsstörung des Magens oder ein Darmverschluss auf. Im Tiermodell wurde bei GLP-1 Agonisten ein erhöhtes Auftreten von Schilddrüsen- und Bauchspeicheldrüsenkrebs beobachtet.  Ob das Auftreten zufällig war oder ein ursächlicher Zusammenhang besteht und ob dieser ggf. auf den Menschen übertragbar wäre, ist derzeit nicht abschließend geklärt. Hingegen gilt als sicher, dass Menschen mit Übergewicht ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und auch für einige Krebsarten haben.

Spritze gut, alles gut? Fazit
GLP-1 Agonisten sind keine Lifestyleprodukte, sondern Medikamente. Wie bei allen Medikamenten gibt es mögliche Nebenwirkungen, Kontraindikationen und sie können auch schaden. Die Einnahme eines Medikamentes setzt immer eine Abwägung von Nutzen und Risiken voraus. GLP-1 Agonisten wurden in erster Linie zur Behandlung des Diabetes Typ 2, der häufig mit Adipositas verbunden ist, entwickelt. Zur Behandlung von Übergewicht können sie auch ohne Diabetes beitragen, wenn sie nach korrekter Indikationsstellung eingebettet in ein ärztlich begleitetes Gesamtkonzept eingesetzt werden. Der Nutzen kann dann erheblich sein

Über den Autor

Dr. med. Roger Agne
Dr. med. Roger Agne
Chefarzt Innere Medizin
Dill-Kliniken

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