Chirurgischer Ratgeber:

Wie werden Hand- und weitere Verletzungen bewertet?
Die sogenannte Gliedertaxe

Alle Jahre wieder, immer drastischer werdend, wirken sich die Folgen des Silvester Feuerwerkes  dramatisch in Form von Verletzungen aus. Jetzt im April denkt wohl kaum noch einer an die Pressemitteilungen nach Neujahr.
Die Betroffenen werden lebenslang daran denken müssen, weil dass, was geschehen ist, bleibend behindert, zu fühlen und zu sehen ist.

Beginnend vom späten Silvesterabend bis weit über den Neujahr-Feiertag hinaus haben Unfallchirurgen alle Hände voll zu tun, um oft krasse Verletzungsmuster zu „reparieren“. Leider besteht eben nicht immer die Hoffnung mit „die machen das schon wieder dran“. Ein Beispiel für all‘ die schlimmen Bilder kann betrachtet werden:


Die Unfallversicherung
Den Verlust von Fingern, Händen, Armen, Beinen, dem Sehen, Hören und weiteren stellt die Betroffenen vor Herausforderungen grundlegender Art und so ist es in Deutschland 1884 im Rahmen der Bismarck’schen Sozialgesetzgebung zur Einführung der Unfallversicherung gekommen.
Schon damals wurde gesetzlich festgelegt, dass nicht die Arbeiter den Beitrag zur Unfallversicherung finanzieren mussten, sondern der Arbeitgeber die Prämie komplett zu übernehmen hatte.
Anders als in der gesetzlichen Unfallversicherung gilt der Versicherungsschutz der privaten in der Regel rund um die Uhr und weltweit. Die gesetzliche Absicherung hingegen gilt nur bei der Arbeit oder auf dem Weg zum Arbeitsplatz.

Die „Gliedertaxe“
Nach dem 1. Weltkrieg begannen Unfallversicherungen in Verbund mit erfahrenen Chirurgen bei Begutachtungen von Verletzungsfolgen eine Vergleichbarkeit zu schaffen.
Diese Tabellen sind keine allgemeinverbindlichen Normen, sondern lediglich Arbeitsmittel nach Art einer Richtlinie zu Gleichbehandlung aller Versicherten. Im jeweiligen Einzelfall dürfen diese Tabellen jedoch der jeweils gebotenen individuellen Einschätzung nicht entgegenstehen.
Die Gliedertaxe ist die Basis der Invaliditätsberechnung in der privaten Unfallversicherung und dient zum Beurteilen des jeweiligen Invaliditätsgrades.
In Wikipedia nachlesbar, versteht man unter Invalidität die dauernde Beeinträchtigung der körperlichen und/oder geistigen Leistungsfähigkeit aufgrund von Krankheit oder Gebrechen, die zu einer ebenfalls dauernden Dienst- beziehungsweise Berufsunfähigkeit geführt hat. Kriegsversehrte bezeichnete man historisch als Invalide.
Der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) gibt Empfehlungen für die Festlegung der Gliedertaxe – jede Versicherung kann jedoch eigene Werte bestimmen: 

Grade der „normalen“ Gliedertaxe
Invaliditätsgrad bei Verlust oder vollständiger Funktionsunfähigkeit:
eines Armes im Schultergelenk 70 %
eines Armes bis oberhalb des Ellenbogengelenks 65 %
eines Armes bis unterhalb des Ellenbogengelenks 60 %
einer Hand im Handgelenk 55 %
eines Daumens 20 %
eines Zeigefingers 10 %
eines anderen Fingers 5 %
eines Beines über der Mitte des Oberschenkels 70 %
eines Beines bis zur Mitte des Oberschenkels 60 %
eines Beines bis unterhalb des Knies 50 %
eines Beines bis zur Mitte des Unterschenkels 45 %
eines Fußes im Fußgelenk 40 %
einer großen Zehe 5 %
einer anderen Zehe 2 %
eines Auges 50 %
des Gehörs auf einem Ohr 30 %
des Geruchs 10 %
des Geschmacks 5 %

 

Wie sollte man nach einer der genannten Verletzungen vorgehen?
Im Vordergrund steht natürlich zunächst die fachärztliche Behandlung. Innerhalb von 3 Tagen, muss die Unfallversicherung schriftlich über das Geschehen informiert werden (Unfallmeldung), bei schweren Verletzungen sofort.
Die Einschätzungen der Schweregrade (Gliedertaxe) erfolgen in entsprechenden fachärztlichen Gutachten.
Wenn Sie glauben, dass die Einschätzung des Grades nicht Ihrer Erwartung entspricht, haben Sie das Recht auf einen fristgerechten Einspruch.  
Das Gutachten wird dann der Versicherung vorgelegt. Für den Fall, dass Unstimmigkeiten vorliegen könnten, ist die Inanspruchnahme von anwaltlicher Hilfe zu empfehlen.

Das heißt:

Der Großteil der Unfälle (im Haushalt oder bei Freizeitaktivitäten) ist nicht durch den gesetzlichen Unfallschutz abgedeckt. 
Da Vorbeugen besser ist als Heilen, sollte schon im Kindesalter eine private Unfallversicherung bestehen.

Über den Autor

Dr. med. Klaus-Dieter Schiebold
Dr. med. Klaus-Dieter Schiebold

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