„Kindes- und Jugendwohlgefährdung“

- ein trauriges Dauerthema unserer „Wohlstandsgesellschaft“

Dringliche Aufmerksamkeit sowie schnelles und konkret sozialpolitisch verantwortliches Handeln aller Entscheidungsträger zum Thema „Kindes-Jugendwohl“ ist schon lange überfällig. In vielen Bereichen gilt es sattsam bekannte Defizite zu beseitigen und damit unserer jungen Generation in einem zunehmend verwirrenden Umfeld eine gute und sichere Zukunft in einer empathisch toleranten Gesellschaft zu garantieren. Mit diesem Anliegen hat der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) auf seiner Delegiertenversammlung 2024 einen „Pakt für Kindergesundheit“ mit den Krankenkassen und der Sozialpolitik in Bund und Ländern geschlossen. Prävention muss verstärkt, die medizinische Versorgung verbessert und die betroffene Jugend wesentlich aktiver eingebunden werden. Dieses bisher einmalige Projekt wird bundesweit mit wachsendem Interesse aufgenommen – (vorbildlich in Bayern)

Gesundheitsprävention – aktuelle Beispiele

Hitzeschutz ist für alle Altersgruppen angesichts der Klima-Erderwärmung ein solches Präventionsthema. Besonders betroffen bei Temperaturen über 25 Grad - wie in der diesjährigen Hitzeperiode mit Spitzen bis 39 Grad/C so auch in jedem Süden- gar Tropenurlaub. Dies zeigen alarmierende Studien als konkrete Lebensgefahr für Neugeborene und Säuglinge. Durch intensives Sonnenbaden über 30 Grad stieg das Risiko behandlungs-

bedürftiger Hitzeschäden ins 9 fache! Sonnenstich mit hochrotem Kopf und Hautrötung, Atemstörung - insbesondere bei Allergikern - sowie Krämpfe, Erschöpfungszustand mit Müdigkeit, Kreislauf -und Schlafstörungen bedurften oft einer Notfall- gar Krankenhausbehandlung. Für einen sicheren Hitzeschutz ist eine frühzeitige, kindgerechte Information durch Eltern, Kita und Schule unverzichtbar: kühle, schattige Orte aufsuchen, entsprechende luftige Kleidung samt Sonnenhut, viel trinken, keine übermäßige körperliche Belastung, Wohn- und Schulräume kühl halten, Sonnenbad mit direkter Bestrahlung grundsätzlich vermeiden, prophylaktisch reichlich Sonnenschutzlotion mit Mindestlichtschutzfaktor 50 wiederholt auftragen, Ablaufdatum beachten -Vorjahresprodukte meist schutzlos!) Mangelnde Aufsicht seien es Eltern, Freunde oder offizielles Personal führt immer wieder zu schweren Notfällen auch mit tödlichem Ausgang.

Impfschutz – vollständig? wichtiger denn je - gerade in Zeiten, in denen viel und in frühem Alter weltweit gereist wird. Antiimpfkampagnen zeugen von verantwortungsloser Ignoranz. Alle von der STIKO (Ständige Impfkommission beim Gesundheitsministerium) zugelassenen Impfstoffe schützen - dank großer medizinischer Fortschritte im Kampf gegen viele teils schwere, gar tödlich verlaufende Infektionskrankheiten (u.a. Tetanus, Malaria, Typhus). In Deutschland beginnt die Impfmedizin für den Säugling in einem lange bewährt und ständig aktualisierten Vorsorgeprogramm mit der U3 (4.-5. Lebenswoche) begleitet durch eine intensive Aufklärung durch den betreuenden Arzt, Informationen im Impf- und Gelbem Vorsorgeheft bis in die Pubertät zur J-2. Die Grundimmunisierung: Tetanus, Diphtherie, Keuchhusten, Hämophilus Influenca (Hib), Polio, Hepatitis B, Pneumokokken, Meningokokken B+C,- im 11. Monat wird ergänzt durch Masern, Mumps, Röteln und Windpocken. „Impfmüdigkeit“ führt immer wieder zu regionalen Ausbrüchen für längst ausgestorben geglaubte „Kinderkrankheiten“ samt Komplikationen. Aktuell zunehmend gemeldete zum Teil schwere Masernverläufe! Im Impfpass werden Auffrischimpfungen angemahnt - auch für Erwachsene! Zur vollständigen Impfprophylaxe gehört für Mädchen und Jungen die Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs (Humanes Papilloma Virus) zwischen dem 9. und 14. Lebensjahr. Die Durchimpfungsrate mit 55% der 15jährigen Mädchen und 34% der Jungen ist leicht steigend aber noch deutlich zu niedrig! Auch meldepflichtiger Keuchhusten tritt wieder vermehrt auf: 2024 über 20.000 Fälle mit Lebensgefahr für Neugeborene bei 81% ungeimpfter Mütter. Keuchhustenauffrischimpfung vor/in der Schwangerschaft ist empfohlen! Die seit Jahrzehnten weltweit bewährte jährliche Grippeimpfung wird in Deutschland sträflich vernachlässigt. Im Frühjahr bis in den Winter sind Zecken als Virusüberträger der FSME -Meningitis aktiv. Ein wirksamer Impfstoff (z.B. „Encepur“) wird in altersgerechter Dosierung bereits ab dem 1. Lebensjahr empfohlen - insbesondere in 180 bekannten Risikolandkreisen (STIKO)- in Deutschland bei steigenden Fallzahlen. „Rotarix“ als Schluckimpfung schützt Säuglinge/Frühgeborene vor Rotavirus Darminfektion. Gegen Herpes Zoster ist bei Erwachsenen als sehr schmerzhafte und langwierige Gürtelrose als Zweiterkrankung nach in der Kindheit „durchgemachten“ Windpocken, eine Folgeimpfung wirksam. Bei Fernreisen sollte sich jeder individuell über mögliche und regional oft obligatorische Impfungen frühzeitig informieren z.B. Malaria, Polio, Gelbfieber, Tetanus bei ihrem betreuenden Arzt, Ärztin oder Apotheker.

Allergien und Unverträglichkeiten – nehmen bereits im Kindes- und Jugendalter nach neuesten Studien weltweit seit Jahren dramatisch zu: rund 40 % zeigten bereits Vorstufen einer allergischen Erkrankung wie Nahrungs- oder Arzneimittelunverträglichkeit, Neurodermitis, Asthma bronchiale, Heuschnupfen oder eine Insektengiftallergie als häufigste Ursache einer lebensbedrohlichen Anaphylaxie. Pädiater fordern eine frühe Aufklärung der Bevölkerung sowie ein Allergiescreening als Primärprävention, um Risikokinder bei familiärer Erbanlage möglichst früh erkennen, beraten und behandeln zu können.

Suchtverhalten im frühen Lebensalter stellt ein vielfältiges Gesundheitsrisiko und schier unaufhaltsam trauriges Kapitel einer nicht selten hilflosen, inkonsequenten sozialpädagogischen Erziehungspolitik der Erwachsenen in einer Überflussgesellschaft dar.

Dabei geht es um sogenannte „Alltagsdrogen“ wie Alkohol in unzähligen Varianten und Anlässen, Energie-Drinks, Nikotin als Zigarette, E-Zigarette (Vapor), Tabakschnupfen, Cannabiskonsum, Kokain bis Heroin im Rahmen von gesellschaftlicher Gruppenakzeptanz und -Stimulation samt eigenem Selbstbewusstsein, das sich ja noch entwickeln muss und von ungezählten Verlockungen leicht beeinflussbar ist – da von allgegenwärtigen Risiken und Gefahren von Gebrauch und Missbrauch wenig bis keinerlei eigene Erfahrungen hat.

In den letzten Jahren ist in der Sozialwissenschaft der unkontrollierte Umgang mit KI= Künstliche Intelligenz als „neue Suchtdroge“ für Kleinst- und Kindergartenkinder Schüler und Studenten selbst für „gestandene“ Erwachsene zu einem Problem geworden. KI ist ein noch nicht erfasster Gewinn in der Technik, mannigfaltig in seiner Anwendung und nicht mehr wegzudenken. Gefahren bestehen durch unkontrollierte Berieselung und oft kritiklos zeitraubende Suche nach Befriedigung durch jederzeit verfügbares Handy, Fernseher, Computer, Tiktok Programm als „Bibel für Alles und Jeden“, sind mittlerweile beängstigend häufige Ursache langwieriger, psychosomatischer oft langwierig behandlungsbedürftiger Verhaltensstörungen: Isolation, Ängste, Aggression, Schulphobie Konzentrationsstörungen, ADHS (Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom), Schulversagen – es fehlen Schulpsychologen und Kinderpsychologen/pädiater!

Benutzungszeiten von KI müssen altersgemäß regelhaft vereinbart, kontrolliert befolgt = konsequent durchgesetzt werden. Hier sind Eltern, Kitapersonal, Pädagogen aller Art bei Jugendlichen auch Juristen - u.a. wegen „Cat Calling“, Cyberflashing, Grooming, Pornographie (sexuelle Anmache) oder Mobbing als cyberkriminelle Vergehen zu ahnden, gefordert. Diese verantwortungsvolle Beratungs- und Aufklärungsarbeit steht im Vordergrund einer empathisch sachlichen Aufklärung über die jeweilige Droge und deren potentielle Gefahren. Alle zuständigen Politiker sind dringend gefordert sowohl für die personelle Aufrüstung der Pädagogen wie auch für die Bereitstellung der notwendigen Gebäude/Räume incl. Toiletten und Ruheoasen zu sorgen.

Ein motivierend anregender Zustand regt zur Teilnahme an- bisher zu oft vernachlässigten Bewegungs- und Wohlfühlangeboten durch altersgerechte Spielplätze, Freizeit und Ruhezonen, Schwimm- und Turnhallen samt entsprechend stimulierendem Übungsmaterial. Wünschenswert wäre auch ein freier Zutritt außerhalb der Regelschulzeit. Zur Förderung von Bewegung und gemeinsamen Aktivitäten sollten lokale Sport- und andere Vereine z.B. für Musik oder andere Hobbies aktiv angesprochen werden. Das wäre ein praktikabler – auch ethisch wertvoller - Baustein zur Suchtprävention und psychomotorischer Anregung sowie sozial mentaler Stärkung aller Kinder und Jugendlichen – ob klein oder groß, ungeachtet ihrer Herkunft und aktueller Familiensituation.

„Jedes Kind hat das Recht auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit“

(Artikel 24 der UN-Menschenrechtskonvention - von Deutschland 1992 ratifiziert)

Empfehlung zu weiterer Information:

www.kinderaerzte -im-netz.de

www.kindersicherheit.de / www.BZgA.de

für Ärzte: www.riskid.de

Über den Autor

Dr. med. Josef Geisz
Dr. med. Josef Geisz
Kinder-Jugendarzt/Allergologie, Wetzlar
Aktuelle Ausgabe4/2025